Schauspiel
Nathan der Weise
Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen von Gotthold Ephraim LessingWelches ist die wahre Religion? Diese Frage und der gewaltsam verteidigte Anspruch auf die scheinbar "wahren" Antworten bewegt, trennt und vernichtet Menschen seit Hunderten von Jahren. Lessing, selbst in einen publizistischen Religionsstreit verwickelt und mit Veröffentlichungsverbot belegt, unternimmt 1779 mit "Nathan der Weise" den Versuch einer märchenhaft anmutenden Antwort.
Jerusalem, besetzt vom muslimischen Sultan Saladin; die gewaltsame Lautlosigkeit eines Waffenstillstands. Auf das Haus des Juden Nathan wird ein Anschlag verübt, den seine Tochter Recha nur Dank der Rettung durch einen christlichen Tempelritter überlebt. Der Moslem Saladin benötigt Geld vom Juden Nathan und setzt ihn mit der Frage nach der wahren Religion unter Druck; die Jüdin Recha und ihr christlicher Retter verlieben sich ineinander. Die Konflikte scheinen unter den gegebenen Umständen unlösbar. Nathan kann mit der Ringparabel, dem legendären Gleichnis von Toleranz zwischen den Religionen, seinen Kopf aus der Schlinge ziehen, doch alle Beteiligten werden von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt. Recha ist eine geborene Christin, die von Nathan, der selbst bei einem Pogrom Frau und Söhne verlor, in einem Akt der Vergebung und Nächstenliebe aufgenommen wurde. Der Tempelritter ist ihr Bruder. Ihr gemeinsamer Vater ist Assad, ein Bruder von Saladin - beide sind also Nichte und Neffe des muslimischen Sultans. Die Feinde erkennen sich als eine Familie.
Doch ein Waffenstillstand ist kein Frieden … bis heute nicht.
Eine Klassikerinszenierung vonGösta Knothe ,
beklemmend intensiv und aktuell.
Premiere: 29. Februar 2008
Abgespielt.
Jerusalem, besetzt vom muslimischen Sultan Saladin; die gewaltsame Lautlosigkeit eines Waffenstillstands. Auf das Haus des Juden Nathan wird ein Anschlag verübt, den seine Tochter Recha nur Dank der Rettung durch einen christlichen Tempelritter überlebt. Der Moslem Saladin benötigt Geld vom Juden Nathan und setzt ihn mit der Frage nach der wahren Religion unter Druck; die Jüdin Recha und ihr christlicher Retter verlieben sich ineinander. Die Konflikte scheinen unter den gegebenen Umständen unlösbar. Nathan kann mit der Ringparabel, dem legendären Gleichnis von Toleranz zwischen den Religionen, seinen Kopf aus der Schlinge ziehen, doch alle Beteiligten werden von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt. Recha ist eine geborene Christin, die von Nathan, der selbst bei einem Pogrom Frau und Söhne verlor, in einem Akt der Vergebung und Nächstenliebe aufgenommen wurde. Der Tempelritter ist ihr Bruder. Ihr gemeinsamer Vater ist Assad, ein Bruder von Saladin - beide sind also Nichte und Neffe des muslimischen Sultans. Die Feinde erkennen sich als eine Familie.
Doch ein Waffenstillstand ist kein Frieden … bis heute nicht.
Eine Klassikerinszenierung von
beklemmend intensiv und aktuell.
Premiere: 29. Februar 2008
Abgespielt.
Mit dem Titel Fragmentenstreit wird die bedeutendste theologische Auseinandersetzung des 18. Jahrhunderts in Deutschland und die wohl wichtigste Kontroverse zwischen der Aufklärung und der orthodoxen lutherischen Theologie bezeichnet.
Seit 1774 gibt Lessing unter dem Titel Fragmente eines Ungenannten die christentumskritischen Schriften des Hamburger Orientalisten Hermann Samuel Reimarus (1694-1768) heraus. In diesen Schriften wird z.B. behauptet, die Leiche Jesu sei von den Jüngern nur gestohlen worden, die Auferstehung sei also nur vorgegaukelt, weil die Jünger einmal gewonnene Privilegien nicht haben aufgeben wollen. Lessing geht es bei der Herausgabe nicht so sehr um den Inhalt als vielmehr um den Anspruch, auf breiter Basis über religionskritische Thesen diskutieren zu dürfen. Daher stellt er den Fragmenten seine Gegensätze des Herausgebers zur Seite, in denen er sich kritisch von den Thesen distanziert und einen eigenen Deutungsweg entwickelt, der sich vor allem gegen als unantastbar zu gelten habende Wahrheiten richtet.
Dagegen und um die Frage, ob Lessings Veröffentlichungen der Fragmente überhaupt statthaft seien, dreht sich der erbitterte Streit, der sich in der Folge vor allem mit dem Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze (1717-1786) entwickelt. Auf dessen Kritik erwidert Lessing mit seinen polemischen Anti-Goeze-Briefen. Besonders deutlich wird die inhaltliche Position Lessings in Die Erziehung des Menschengeschlechts (1777/80) und in Über den Beweis des Geistes und der Kraft (1777). In Die Erziehung des Menschengeschlechts erklärt er den Verstand zum Leitorgan des Menschen und ist optimistisch, dass der Mensch das Gute nicht wegen in Aussicht gestellter Belohnungen, sondern des Guten wegen tun wird: "Nein; sie wird kommen, sie wird gewiß kommen, die Zeit der Vollendung, da der Mensch, je überzeugter sein Verstand einer immer bessern Zukunft sich fühlet, von dieser Zukunft gleichwohl Bewegungsgründe zu seinen Handlungen zu erborgen, nicht nötig haben wird; da er das Gute tun wird, weil es das Gute ist, nicht weil willkürliche Belohnungen darauf gesetzt sind, die seinen flatterhaften Blick ehedem bloß heften und stärken sollten, die inneren bessern Belohnungen desselben zu erkennen."
Lessings Hinweis auf die Bedeutung des Verstandes führt im Bezug zum Christentum zu einer kritischen Position, die aber nicht - so wie Reimarus es tut - alle religiösen Glaubenswahrheiten über Bord wirft.
Die publizistische Auseinandersetzung zwischen Lessing und Goeze wird schließlich durch das Zensuredikt vom 13.07.1778 verboten. Lessing wird darin vorgeworfen, er habe durch die Veröffentlichung von Schriften, die das Fundament des Christentums einzureißen drohen, öffentliches Ärgernis hervorgerufen: Die Schriften hätten die Absicht, "(...) die Religion in ihrem Grunde zu erschüttern, lächerlich und verächtlich machen zu wollen (...)".
In einem weiteren Edikt vom 03.08.1778 wird klargestellt, die Dispensation von der Zensur habe wegen des davon gemachten Missbrauchs aufgehoben werden müssen. Lessing hofft zunächst, dass sich diese Bestimmung nur auf Veröffentlichungen im Herzogtum Karls bezieht. Eine am 17.08.1778 nachgeschobene Verordnung untersagt ihm auch dieses, "(...) dass er in Religionssachen, so wenig hier als auswärts, auch weder unter seinem noch anderen angenommenen Namen, ohne vorherige Genehmigung (...)" publizieren darf.
Lessing reagiert auf die Zensuranordnung, indem er die Auseinandersetzung in literarischer Form weiterführt und auf die Bühne verlegt. In einem Brief an Karl Lessing vom 11.08.1778 erinnert er sich an seinen alten Plan und erkennt inhaltliche Gemeinsamkeiten mit den aktuellen Auseinandersetzungen. Außerdem klingt in diesem Brief an, dass auch finanzielle Gründe - möglicherweise sieht Lessing seine berufliche Stellung als Hofbibliothekar auf Dauer gefährdet - dafür verantwortlich sind, dass sich Lessing an die Abfassung eines neuen Stücks macht. In einem Brief an Elise Reimarus, die Tochter von Hermann Samuel Reimarus, schreibt er am 6.09.1778: "Ich muss versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater wenigstens, noch ungestört will predigen lassen."
Im November 1778 beginnt der Dichter mit der Arbeit am Nathan, im März 1779 beendet er bereits den fünften Aufzug; die Erstausgabe ist im Mai 1779 in den Händen der Subskribenten.
In dem Drama lassen sich zahlreiche Bezüge nachweisen, die auf die Lebensumstände hindeuten, in denen sich Lessing bei der Abfassung befunden hat. Neben der religionskritischen Auseinandersetzung, die das Thema und die Aussage des Dramas maßgeblich bereitgestellt hat, finden wir in der Geschichte Nathans, der seine Familie verliert, auch die leidvolle Erfahrung Lessings wieder, der kurz nach Geburt und Tod seines ersten Sohnes am 10.01.1778 auch noch den Tod seiner Ehefrau zu beklagen hat. Die Trauer um den Verlust der Familie, die gesellschaftliche Isolation in der Folge des Fragmentenstreits, das Zensuredikt und schließlich die eigene Erkrankung bestimmen die biografische "Atmosphäre", in der Lessing im zum Arbeitszimmer umgebauten Sterbezimmer seiner Frau den Nathan schreibt.
Mit der Figur des Nathan fühlt sich Lessing über das gemeinsame Schicksal hinaus verwandt. Die Gesinnung des Juden, die sich gegen den Absolutheitsanspruch von Religionen richtet, ist auch die Lessings. So schreibt er in einem Entwurf zur Vorrede zum Nathan: "Nathans Gesinnung gegen alle positive Religion ist von jeher die meinige gewesen."
Ein anderes Vorbild für die Figur des Nathan lässt sich auch in Lessings Freund Moses Mendelssohn ausmachen, der eine Tochter mit Namen Recha hat. Mendelssohn ist im Jahre 1769 vom Pietisten Johann Kaspar Lavater aufgefordert worden, sich zwischen der jüdischen und der christlichen Religion als einzig wahrer Religion zu entscheiden. Erst öffentlicher Druck hat Lavater später zum Einlenken veranlasst.
http://de.wikipedia.org/wiki/Fragmentenstreit
Thomas Möbius: Erläuterungen zu Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise, Königs Erläuterungen und Materialien, Band 10, C. Bange Verlag Hollfeld 2000, S. 13-19.
Seit 1774 gibt Lessing unter dem Titel Fragmente eines Ungenannten die christentumskritischen Schriften des Hamburger Orientalisten Hermann Samuel Reimarus (1694-1768) heraus. In diesen Schriften wird z.B. behauptet, die Leiche Jesu sei von den Jüngern nur gestohlen worden, die Auferstehung sei also nur vorgegaukelt, weil die Jünger einmal gewonnene Privilegien nicht haben aufgeben wollen. Lessing geht es bei der Herausgabe nicht so sehr um den Inhalt als vielmehr um den Anspruch, auf breiter Basis über religionskritische Thesen diskutieren zu dürfen. Daher stellt er den Fragmenten seine Gegensätze des Herausgebers zur Seite, in denen er sich kritisch von den Thesen distanziert und einen eigenen Deutungsweg entwickelt, der sich vor allem gegen als unantastbar zu gelten habende Wahrheiten richtet.
Dagegen und um die Frage, ob Lessings Veröffentlichungen der Fragmente überhaupt statthaft seien, dreht sich der erbitterte Streit, der sich in der Folge vor allem mit dem Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze (1717-1786) entwickelt. Auf dessen Kritik erwidert Lessing mit seinen polemischen Anti-Goeze-Briefen. Besonders deutlich wird die inhaltliche Position Lessings in Die Erziehung des Menschengeschlechts (1777/80) und in Über den Beweis des Geistes und der Kraft (1777). In Die Erziehung des Menschengeschlechts erklärt er den Verstand zum Leitorgan des Menschen und ist optimistisch, dass der Mensch das Gute nicht wegen in Aussicht gestellter Belohnungen, sondern des Guten wegen tun wird: "Nein; sie wird kommen, sie wird gewiß kommen, die Zeit der Vollendung, da der Mensch, je überzeugter sein Verstand einer immer bessern Zukunft sich fühlet, von dieser Zukunft gleichwohl Bewegungsgründe zu seinen Handlungen zu erborgen, nicht nötig haben wird; da er das Gute tun wird, weil es das Gute ist, nicht weil willkürliche Belohnungen darauf gesetzt sind, die seinen flatterhaften Blick ehedem bloß heften und stärken sollten, die inneren bessern Belohnungen desselben zu erkennen."
Lessings Hinweis auf die Bedeutung des Verstandes führt im Bezug zum Christentum zu einer kritischen Position, die aber nicht - so wie Reimarus es tut - alle religiösen Glaubenswahrheiten über Bord wirft.
Die publizistische Auseinandersetzung zwischen Lessing und Goeze wird schließlich durch das Zensuredikt vom 13.07.1778 verboten. Lessing wird darin vorgeworfen, er habe durch die Veröffentlichung von Schriften, die das Fundament des Christentums einzureißen drohen, öffentliches Ärgernis hervorgerufen: Die Schriften hätten die Absicht, "(...) die Religion in ihrem Grunde zu erschüttern, lächerlich und verächtlich machen zu wollen (...)".
In einem weiteren Edikt vom 03.08.1778 wird klargestellt, die Dispensation von der Zensur habe wegen des davon gemachten Missbrauchs aufgehoben werden müssen. Lessing hofft zunächst, dass sich diese Bestimmung nur auf Veröffentlichungen im Herzogtum Karls bezieht. Eine am 17.08.1778 nachgeschobene Verordnung untersagt ihm auch dieses, "(...) dass er in Religionssachen, so wenig hier als auswärts, auch weder unter seinem noch anderen angenommenen Namen, ohne vorherige Genehmigung (...)" publizieren darf.
Lessing reagiert auf die Zensuranordnung, indem er die Auseinandersetzung in literarischer Form weiterführt und auf die Bühne verlegt. In einem Brief an Karl Lessing vom 11.08.1778 erinnert er sich an seinen alten Plan und erkennt inhaltliche Gemeinsamkeiten mit den aktuellen Auseinandersetzungen. Außerdem klingt in diesem Brief an, dass auch finanzielle Gründe - möglicherweise sieht Lessing seine berufliche Stellung als Hofbibliothekar auf Dauer gefährdet - dafür verantwortlich sind, dass sich Lessing an die Abfassung eines neuen Stücks macht. In einem Brief an Elise Reimarus, die Tochter von Hermann Samuel Reimarus, schreibt er am 6.09.1778: "Ich muss versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater wenigstens, noch ungestört will predigen lassen."
Im November 1778 beginnt der Dichter mit der Arbeit am Nathan, im März 1779 beendet er bereits den fünften Aufzug; die Erstausgabe ist im Mai 1779 in den Händen der Subskribenten.
In dem Drama lassen sich zahlreiche Bezüge nachweisen, die auf die Lebensumstände hindeuten, in denen sich Lessing bei der Abfassung befunden hat. Neben der religionskritischen Auseinandersetzung, die das Thema und die Aussage des Dramas maßgeblich bereitgestellt hat, finden wir in der Geschichte Nathans, der seine Familie verliert, auch die leidvolle Erfahrung Lessings wieder, der kurz nach Geburt und Tod seines ersten Sohnes am 10.01.1778 auch noch den Tod seiner Ehefrau zu beklagen hat. Die Trauer um den Verlust der Familie, die gesellschaftliche Isolation in der Folge des Fragmentenstreits, das Zensuredikt und schließlich die eigene Erkrankung bestimmen die biografische "Atmosphäre", in der Lessing im zum Arbeitszimmer umgebauten Sterbezimmer seiner Frau den Nathan schreibt.
Mit der Figur des Nathan fühlt sich Lessing über das gemeinsame Schicksal hinaus verwandt. Die Gesinnung des Juden, die sich gegen den Absolutheitsanspruch von Religionen richtet, ist auch die Lessings. So schreibt er in einem Entwurf zur Vorrede zum Nathan: "Nathans Gesinnung gegen alle positive Religion ist von jeher die meinige gewesen."
Ein anderes Vorbild für die Figur des Nathan lässt sich auch in Lessings Freund Moses Mendelssohn ausmachen, der eine Tochter mit Namen Recha hat. Mendelssohn ist im Jahre 1769 vom Pietisten Johann Kaspar Lavater aufgefordert worden, sich zwischen der jüdischen und der christlichen Religion als einzig wahrer Religion zu entscheiden. Erst öffentlicher Druck hat Lavater später zum Einlenken veranlasst.
http://de.wikipedia.org/wiki/Fragmentenstreit
Thomas Möbius: Erläuterungen zu Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise, Königs Erläuterungen und Materialien, Band 10, C. Bange Verlag Hollfeld 2000, S. 13-19.
Wenn man sagen wird, dieses Stück lehre, daß es nicht erst von gestern her unter allerlei Volke Leute gegeben, die sich über alle geoffenbarte Religion hinweggesetzt hätten, und doch gute Leute gewesen wären; wenn man hinzufügen wird, daß ganz sichtbar meine Absicht dahin gegangen sei, dergleichen Leute in einem weniger abscheulichen Lichte vorzustellen, als in welchem der christliche Pöbel sie gemeiniglich erblickt: so werde ich nicht viel dagegen einzuwenden haben.
Denn beides kann auch ein Mensch lehren und zur Absicht haben wollen, der nicht jede geoffenbarte Religion, nicht jede ganz verwirft. Mich als einen solchen zu stellen, bin ich nicht verschlagen genug: doch dreist genug, mich als einen solchen nicht zu verstellen. -
Wenn man aber sagen wird, daß ich wider die poetische Schicklichkeit gehandelt, und jenerlei Leute unter Juden und Muselmänner wolle gefunden haben: so werde ich zu bedenken geben, daß Juden und Muselmänner damals die einzigen Gelehrten waren; daß der Nachteil, welchen geoffenbarte Religionen dem menschlichen Geschlechte bringen, zu keiner Zeit einem vernünftigen Manne müsse auffallender gewesen sein, als zu den Zeiten der Kreuzzüge, und daß es an Winken bei den Geschichtsschreibern nicht fehlt, ein solcher vernünftiger Mann habe sich nun eben in einem Sultane gefunden.
Wenn man endlich sagen wird, daß ein Stück von so eigner Tendenz nicht reich genug an eigner Schönheit sei: - so werde ich schweigen, aber mich nicht schämen. Ich bin mir eines Ziels bewußt, unter dem man auch noch viel weiter mit allen Ehren bleiben kann.
Noch kenne ich keinen Ort in Deutschland, wo dieses Stück schon jetzt aufgeführt werden könnte. Aber Heil und Glück dem, wo es zuerst aufgeführt wird. -
(,Nathan der Weise' wurde erstmalig aufgeführt am 14. IV. 1783 in Berlin. ‚Die Vorrede' wurde von Lessing zurückgenommen.)
Lessing, Werke, hrsg. v. P. Rilla, Bd. 2, S. 322 f.; zitiert nach: Hans Ulrich Lindken: Erläuterungen zu Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise, Königs Erläuterungen und Materialien, Band 10/10a, C. Bange Verlag Hollfeld 1992.
Denn beides kann auch ein Mensch lehren und zur Absicht haben wollen, der nicht jede geoffenbarte Religion, nicht jede ganz verwirft. Mich als einen solchen zu stellen, bin ich nicht verschlagen genug: doch dreist genug, mich als einen solchen nicht zu verstellen. -
Wenn man aber sagen wird, daß ich wider die poetische Schicklichkeit gehandelt, und jenerlei Leute unter Juden und Muselmänner wolle gefunden haben: so werde ich zu bedenken geben, daß Juden und Muselmänner damals die einzigen Gelehrten waren; daß der Nachteil, welchen geoffenbarte Religionen dem menschlichen Geschlechte bringen, zu keiner Zeit einem vernünftigen Manne müsse auffallender gewesen sein, als zu den Zeiten der Kreuzzüge, und daß es an Winken bei den Geschichtsschreibern nicht fehlt, ein solcher vernünftiger Mann habe sich nun eben in einem Sultane gefunden.
Wenn man endlich sagen wird, daß ein Stück von so eigner Tendenz nicht reich genug an eigner Schönheit sei: - so werde ich schweigen, aber mich nicht schämen. Ich bin mir eines Ziels bewußt, unter dem man auch noch viel weiter mit allen Ehren bleiben kann.
Noch kenne ich keinen Ort in Deutschland, wo dieses Stück schon jetzt aufgeführt werden könnte. Aber Heil und Glück dem, wo es zuerst aufgeführt wird. -
(,Nathan der Weise' wurde erstmalig aufgeführt am 14. IV. 1783 in Berlin. ‚Die Vorrede' wurde von Lessing zurückgenommen.)
Lessing, Werke, hrsg. v. P. Rilla, Bd. 2, S. 322 f.; zitiert nach: Hans Ulrich Lindken: Erläuterungen zu Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise, Königs Erläuterungen und Materialien, Band 10/10a, C. Bange Verlag Hollfeld 1992.
Ein Mann, der Unwahrheit unter entgegengesetzter Überzeugung in guter Absicht ebenso scharfsinnig als bescheiden durchzusetzen sucht, ist unendlich mehr wert als ein Mann, der die beste, edelste Wahrheit aus Vorurteil, mit Verschreiung seiner Gegner, auf alltägliche Weise verteidigt.
Will es denn eine Klasse von Leuten nie lernen, daß es schlechterdings nicht wahr ist, daß jemals ein Mensch wissentlich und vorsetzlich sein selbst verblendet habe? Es ist nicht wahr, sag ich; aus keinem geringern Grunde, als weil es nicht möglich ist. Was wollen sie denn also mit ihrem Vorwurfe mutwilliger Verstockung, geflissentlicher Verhärtung, mit Vorbedacht gemachter Plane, Lügen auszustaffieren, die man Lügen zu sein weiß? Was wollen sie damit? Was anders, als - - Nein; weil ich auch ihnen diese Wahrheit muß zugute kommen lassen; weil ich auch von ihnen glauben muß, daß sie vorsetzlich und wissentlich kein falsches verleumdrisches Urteil fällen können: so schweige ich und enthalte mich alles Widerscheltens.
Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit bestehet. Der Besitz macht ruhig, träge, stolz -
Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte und spräche zu mir: wähle! Ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: Vater gib! die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!
Gotthold Ephraim Lessing
http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=1606&kapitel=1#gb_found
Will es denn eine Klasse von Leuten nie lernen, daß es schlechterdings nicht wahr ist, daß jemals ein Mensch wissentlich und vorsetzlich sein selbst verblendet habe? Es ist nicht wahr, sag ich; aus keinem geringern Grunde, als weil es nicht möglich ist. Was wollen sie denn also mit ihrem Vorwurfe mutwilliger Verstockung, geflissentlicher Verhärtung, mit Vorbedacht gemachter Plane, Lügen auszustaffieren, die man Lügen zu sein weiß? Was wollen sie damit? Was anders, als - - Nein; weil ich auch ihnen diese Wahrheit muß zugute kommen lassen; weil ich auch von ihnen glauben muß, daß sie vorsetzlich und wissentlich kein falsches verleumdrisches Urteil fällen können: so schweige ich und enthalte mich alles Widerscheltens.
Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit bestehet. Der Besitz macht ruhig, träge, stolz -
Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte und spräche zu mir: wähle! Ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: Vater gib! die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!
Gotthold Ephraim Lessing
http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=1606&kapitel=1#gb_found
Menschsein ist keine politische Kategorie, sondern eine private. Als Menschen sind wir ungleich, als politische Akteure können wir Gleichheiten fordern. Wo wir "nichts als ein Mensch zu sein" wünschen, haben wir - politisch - bereits verloren. Wir empfehlen uns, statt uns auf Rechte berufen zu können, der willkürlichen Zuneigung an. Tatsächlich hat Nathan nichts als seine Rhetorik von Menschlichkeit und Freundschaft. Das Stück weist ihm keine Gruppe, Gemeinde, Gemeinschaft zu, deren Teil er wäre. (...) Die Lebensgeschichte Nathans wird kein Teil der Welt, die er mit den anderen teilt. Und damit wird auch er nur zu Teilen Teil dieser Welt. Das ist es, was den Schluss des Stückes so seltsam macht, das ist es auch, warum man, obwohl von "allseitigen Umarmungen" die Rede ist, Nathan beiseite stehen sieht. (...) Was im Ernst auch sollte Nathan bei den Glücklichen! Der Teil der Geschichte, der auf ihm lastet, soll verborgen bleiben und kann doch nicht abgeworfen werden. Er hat keinen privaten und keinen öffentlichen Ort. Wer heute einen "Nathan" schriebe, könnte die Morde von Gath nicht in Schweigen gehüllt stehenlassen (...).
Die Geschlossenheit der Figur Nathans liegt in seinem Schweigen begründet. Das Angedenken der Morde von Gath ist in seinem Innern verschlossen und gelangt nicht in die Welt. (...) Nathans Geschlossenheit ist die Kehrseite einer Gesellschaft, die, so wie sie auf dem Theater skizziert ist, das Leid aus sich ausschließt. Es droht das Wort von der Menschheitsfamilie, in der alles harmonisch sich verbindet, vor allem Öffentlichkeit und Privatheit ununterscheidbar werden. Die politischen Risiken dieses auch in der Aufklärung selten ganz ernstlich geträumten Traumes brauche ich nicht zu erwähnen (...).
Die Sphäre der Öffentlichkeit kann die Fähigkeit zum Mitleid in vielerlei Weise instrumentalisieren, sehr wohl zum Guten, und der Nachgeschmack nach Kitsch, der zuweilen bleibt, ist uninteressant. Doch gestalten lässt sich, was nicht dem Privaten zugehörig ist, mit diesem Gefühl nicht. Es ist dem bloßen Menschsein verbunden und so wenig politisch wie dieses. Das "bloße Menschsein" und der mitleidige Affekt kommen mit der Komplexität der Wirklichkeit nicht zurecht.
Das macht ihre Kraft in manchen Situationen ebenso aus, wie die Unmöglichkeit, auf ihrer Basis allein umsichtig zu handeln. Im "Nathan" sehen wir Größe und Grenzen des Mitleids in der Szene, wo Nathan seine Erinnerungen dem Klosterbruder mitteilt. "Allgerechter!", sagt dieser und: "Ach! Ich glaubs Euch wohl!", als Nathan über den "unversöhnlichsten Hass" spricht, den er dem Christentum damals zugeschworen habe. Kein Erschrecken, reine Empathie. (...)
Ebenso hört man Nathan immer gegen die leere Allgemeinheit einer Maximenethik angehen. Das ist keine Lebensklugheit, keine Gewitzt- oder Gewetztheit, sondern Ausdruck einer Sorge um die Welt, die aus dem Wissen um ihre Fragilität kommt. (...) Sorge um die Welt, nicht weil sie liebenswert sei, sondern weil Nathan - zu Gath - einen Blick in die Hölle getan hat. Was Lessing aus dem Schmerz um Frau und Kind, einer Lebenskatastrophe, (...) empathisch zugänglich war, lesen wir und können es mit Recht historisch rückprojizieren aus den Lebensgeschichten Überlebender. Was für Nathan, nach Lessings Konzept, nur im privatesten Gespräch seinen Ort hatte, steht heute in der Öffentlichkeit, nicht als Widerlegung, sondern als vexierbildhafte Bestätigung, zu der die Geschichte nötigte. "Wir (haben) gelernt", schreibt Primo Levi, "dass unsere Persönlichkeit zerbrechlich ist, dass sie weit mehr in Gefahr ist als unser Leben. Könnte aus unserem Lager eine Botschaft hinausdringen zu den freien Menschen, so lautete sie: Sorget, dass euch in euerm Heim nicht geschehe, was uns hier geschieht!" Diese Sorge ist das offenbare Geheimnis der Weisheit und scheinbaren Güte Nathans (...).
Jan Philipp Reemtsma in seiner Dankrede zum Lessing-Preis 1997; zitiert nach: Thomas Möbius: Erläuterungen zu Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise, Königs Erläuterungen und Materialien, Band 10, C. Bange Verlag Hollfeld 2000, S. 125ff.
Die Geschlossenheit der Figur Nathans liegt in seinem Schweigen begründet. Das Angedenken der Morde von Gath ist in seinem Innern verschlossen und gelangt nicht in die Welt. (...) Nathans Geschlossenheit ist die Kehrseite einer Gesellschaft, die, so wie sie auf dem Theater skizziert ist, das Leid aus sich ausschließt. Es droht das Wort von der Menschheitsfamilie, in der alles harmonisch sich verbindet, vor allem Öffentlichkeit und Privatheit ununterscheidbar werden. Die politischen Risiken dieses auch in der Aufklärung selten ganz ernstlich geträumten Traumes brauche ich nicht zu erwähnen (...).
Die Sphäre der Öffentlichkeit kann die Fähigkeit zum Mitleid in vielerlei Weise instrumentalisieren, sehr wohl zum Guten, und der Nachgeschmack nach Kitsch, der zuweilen bleibt, ist uninteressant. Doch gestalten lässt sich, was nicht dem Privaten zugehörig ist, mit diesem Gefühl nicht. Es ist dem bloßen Menschsein verbunden und so wenig politisch wie dieses. Das "bloße Menschsein" und der mitleidige Affekt kommen mit der Komplexität der Wirklichkeit nicht zurecht.
Das macht ihre Kraft in manchen Situationen ebenso aus, wie die Unmöglichkeit, auf ihrer Basis allein umsichtig zu handeln. Im "Nathan" sehen wir Größe und Grenzen des Mitleids in der Szene, wo Nathan seine Erinnerungen dem Klosterbruder mitteilt. "Allgerechter!", sagt dieser und: "Ach! Ich glaubs Euch wohl!", als Nathan über den "unversöhnlichsten Hass" spricht, den er dem Christentum damals zugeschworen habe. Kein Erschrecken, reine Empathie. (...)
Ebenso hört man Nathan immer gegen die leere Allgemeinheit einer Maximenethik angehen. Das ist keine Lebensklugheit, keine Gewitzt- oder Gewetztheit, sondern Ausdruck einer Sorge um die Welt, die aus dem Wissen um ihre Fragilität kommt. (...) Sorge um die Welt, nicht weil sie liebenswert sei, sondern weil Nathan - zu Gath - einen Blick in die Hölle getan hat. Was Lessing aus dem Schmerz um Frau und Kind, einer Lebenskatastrophe, (...) empathisch zugänglich war, lesen wir und können es mit Recht historisch rückprojizieren aus den Lebensgeschichten Überlebender. Was für Nathan, nach Lessings Konzept, nur im privatesten Gespräch seinen Ort hatte, steht heute in der Öffentlichkeit, nicht als Widerlegung, sondern als vexierbildhafte Bestätigung, zu der die Geschichte nötigte. "Wir (haben) gelernt", schreibt Primo Levi, "dass unsere Persönlichkeit zerbrechlich ist, dass sie weit mehr in Gefahr ist als unser Leben. Könnte aus unserem Lager eine Botschaft hinausdringen zu den freien Menschen, so lautete sie: Sorget, dass euch in euerm Heim nicht geschehe, was uns hier geschieht!" Diese Sorge ist das offenbare Geheimnis der Weisheit und scheinbaren Güte Nathans (...).
Jan Philipp Reemtsma in seiner Dankrede zum Lessing-Preis 1997; zitiert nach: Thomas Möbius: Erläuterungen zu Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise, Königs Erläuterungen und Materialien, Band 10, C. Bange Verlag Hollfeld 2000, S. 125ff.
Lessing, der Islam und die Toleranz
Vortrag auf dem Studientag: "Toleranz - ein brauchbarer Begriff im interreligiösen Dialog?" in der Evangelischen Akademie Arnoldshain am 28. September 2004 von Silvia Horsch
(...)
VI Nathan der Weise im 21. Jahrhundert
Was kann uns ein Stück wie der Nathan heute noch sagen? Die Botschaft des Nathan - die Zusammengehörigkeit aller Menschen über die Grenzen der Religionen hinweg und die Möglichkeit einer friedlichen Verständigung - ist schon öfter für tot erklärt worden. Vor dem Hintergrund der Erfahrung zweier Weltkriege, des Holocausts, des Bürgerkriegs auf dem Balkan, des Nahostkonflikts und zuletzt des Terrors islamistischer Extremisten und dem daraufhin erklärten "Kampf gegen den Terrorismus", der bereits zwei Länder mit Krieg überzogen hat, scheint sich die Einsicht aufzudrängen, dass Lessing mit seiner Toleranzbotschaft zuviel verlangt: Ein Regisseur der zahlreichen Nathan-Inszenierung nach den Anschlägen vom 11. September 2001 drückte dies so aus: "Eine sehr große Toleranz, eine nicht lebbare Toleranz aber auch. Das ist die Tragik!" (...)
Lessings Toleranzverständnis wurde beschrieben als eine Haltung des Respekts und der Anerkennung: keine bloße Duldung anderer Überzeugungen, sondern eine ernsthafte und konstruktive Auseinandersetzung mit ihnen. Erfüllen heutige Toleranzmodelle diesen Anspruch oder fallen sie dahinter zurück?
An dieser Stelle bietet sich ein Vergleich von Lessings Toleranzbegriff mit einem Modell an, das gegenwärtig auf relativ breite Zustimmung zu stoßen scheint. Der Frankfurter Philosoph Rainer Forst plädiert unter den verschiedenen Toleranz-Modellen für eine "Respekt-Konzeption", die "Toleranz als Tugend der Gerechtigkeit und als Forderung der Vernunft" begründet. Toleranz beruht in diesem Modell auf einer "moralisch begründeten Form der wechselseitigen Achtung der sich tolerierenden Individuen bzw. Gruppen". Die Anerkennung des anderen in seiner Anders- und Eigenheit wird als moralische Verpflichtung verstanden. Mit dem Begriff des Respekts wird somit die Haltung der Anerkennung, die bereits Lessing und nach ihm Goethe gefordert hat, als Grundlage der Toleranz bestimmt.
Ist die zentrale Bedeutung des Respekts ein Anzeichen dafür, dass Lessings Toleranzbegriff heute allgemeine Anerkennung findet? Jürgen Habermas hat in einer Rede viel stärker den praktischen Nutzen des Toleranzgebotes betont:
"Funktional betrachtet, soll religiöse Toleranz die gesellschaftliche Destruktivität eines unversöhnlich fortbestehenden Dissenses auffangen. Das soziale Band, welches Gläubige mit Andersgläubigen und Ungläubigen als Mitglieder derselben säkularen Gesellschaft verbindet, soll nicht reißen." ("Wann müssen wir tolerant sein?" 2002)
Hier hat die Haltung der Toleranz das Ziel, den gesellschaftlichen Frieden zu sichern. Vielleicht ist das auch alles, was man realistischerweise verlangen kann. Lessing ist jedenfalls weiter gegangen: Der Aspekt der Friedenssicherung spielt zwar auch bei Lessing eine Rolle (so verhindert die Toleranzforderung im Rat des Richters auch, dass sich die Brüder gegenseitig die Köpfe einschlagen), dennoch geht sein Verständnis von Toleranz darüber hinaus. Toleranz bedeutet bei Lessing nicht nur das Zulassen, sondern das Sich-Einlassen auf andere Überzeugungen. Nach diesem Verständnis ist Toleranz die Grundlage für eine produktive Auseinandersetzung mit anderen Ideen und Konzepten: Die Einsicht in andere Perspektiven ermöglicht einen Erkenntniszuwachs und so kann die Beschäftigung mit anderen Religionen und Kulturen zu einer Bereicherung werden.
Mit der Vorstellung, dass dies auch für den Islam zutrifft, stand Lessing schon in der Aufklärung isoliert da. Heute wird der Islam sowenig als Bereicherung gesehen wie je. Die Anwesenheit von mehreren Millionen Muslimen in Europa wird eher als Problem verstanden, und der Islam stellt offensichtlich zur Zeit die größte Herausforderung für die europäische Toleranz dar. In Deutschland kommt es bei Fragen der Religionsausübung von Muslimen, wie dem Schächten, dem Moscheebau oder dem Tragen des Kopftuches regelmäßig zu Kontroversen. In diesen bündeln sich nicht selten alle Ängste, die mit der Anwesenheit einer als "fremd" bis "gefährlich" angesehenen Minderheit verbunden sind.
In Frankreich wie in Deutschland zeigt sich im Zusammenhang des aktuellen "Kopftuchstreits", dass sich die gesellschaftliche und politische Praxis in weiten Teilen nicht an einer als "Respekt" verstandenen Toleranz orientiert, die - so auch Forst - das Kopftuch im Unterricht zu tolerieren (d.h. zu respektieren) hätte. In letzter Zeit scheint sich vor dem Hintergrund der aktuellen weltpolitischen Verhältnissen die nicht nur im "Kopftuchstreit" zu beobachtende Kulturkampf-Rhetorik zu verschärfen. Der vorgeblich religiös motivierte Terrorismus, die Eskalation des Nahost-Konflikts, die neuerliche Rede von "Kreuzzügen" - all dies sind Phänomene, die den von Samuel Huntington geweissagten "Kampf der Kulturen" scheinbar Realität werden lassen und die Tendenz verstärken, von Kulturen als Blöcken zu denken, die auf fest umrissene und unveränderliche Identitäten aufbauen. "Der Islam" und "der Westen" stehen sich in dieser Weltsicht als geschlossene Systeme unvereinbar gegenüber. Und auf beiden Seiten arbeiten die Vertreter dieser Weltsicht sorgfältig an der Pflege der jeweiligen Feindbilder.
Die Vorstellung von eindimensionalen und eindeutig abgrenzbaren Identitäten sollte nicht erst angesichts der Entwicklungen der Globalisierung und der Migration als imaginäres Konstrukt widerlegt sein. Kulturen unterlagen schon immer historischen Wandlungsprozessen und entwickelten sich im gegenseitigen Austausch. Anscheinend ist jedoch die "Rückbesinnung" auf das "Eigene" und die Abgrenzung vom "Anderen" in der Moderne zum Bedürfnis geworden, um sich der eigenen, unsicher gewordenen Identität neu zu versichern. Diese fundamentalistische Konstruktion von Identität ist in islamistischen Strömungen, die den Islam von "fremden" Einflüssen reinigen wollen, genauso zu beobachten wie in Teilen der westlichen Gesellschaften, wo man meint, eine "Leitkultur" vor dem Zerfall bewahren zu müssen.
Lessing hat den Aufbau eines solches Gegenbildes zur eigenen Gesellschaft zweifach unterlaufen: Durch die Charakterisierung des Islam als einer Religion der Vernunft und Toleranz einerseits und den Hinweis auf intolerante und irrationale Elemente der eigenen, christlich-abendländischen Kultur andererseits. Die Aktualität von Lessings Auseinandersetzung mit dem Islam liegt deshalb vor allem in zwei Punkten:
- in der Bereitschaft, grundlegende Werte nicht nur in der eigenen, sondern auch in anderen Kulturen und Religionen zu entdecken und sie damit als universell zu begreifen.
- in der Bereitschaft zur Kulturkritik
In dieser Haltung ist Lessing ein Vorbild - für Muslime wie Nichtmuslime. Zu den Voraussetzungen für einen gleichberechtigten Dialog gehört, sich von essentialistischen Betrachtungsweisen zu lösen. Gegenüberstellung wie rationaler Westen versus irrationaler/fanatischer Islam oder auf muslimischer Seite moralischer Islam versus unmoralischer Westen müssen aufgelöst werden durch die Einsicht in die Komplexität und die Verschiedenheit innerhalb jeder Kultur und Religion selbst.
Außerdem gilt es, über die Unterschiede von Religion und Kultur hinweg, die gemeinsamen Werte zu entdecken, und sich nicht in erster Linie als Angehörige von verschiedenen Religion, sondern als Menschen zu begegnen. Oder wie Nathan es ausdrückt: "Sind Christ und Jude eher Christ und Jude, / Als Mensch?" (II,5).
http://www.al-sakina.de/inhalt/artikel/lessing_islam/lessing_islam.html#VI
Vortrag auf dem Studientag: "Toleranz - ein brauchbarer Begriff im interreligiösen Dialog?" in der Evangelischen Akademie Arnoldshain am 28. September 2004 von Silvia Horsch
(...)
VI Nathan der Weise im 21. Jahrhundert
Was kann uns ein Stück wie der Nathan heute noch sagen? Die Botschaft des Nathan - die Zusammengehörigkeit aller Menschen über die Grenzen der Religionen hinweg und die Möglichkeit einer friedlichen Verständigung - ist schon öfter für tot erklärt worden. Vor dem Hintergrund der Erfahrung zweier Weltkriege, des Holocausts, des Bürgerkriegs auf dem Balkan, des Nahostkonflikts und zuletzt des Terrors islamistischer Extremisten und dem daraufhin erklärten "Kampf gegen den Terrorismus", der bereits zwei Länder mit Krieg überzogen hat, scheint sich die Einsicht aufzudrängen, dass Lessing mit seiner Toleranzbotschaft zuviel verlangt: Ein Regisseur der zahlreichen Nathan-Inszenierung nach den Anschlägen vom 11. September 2001 drückte dies so aus: "Eine sehr große Toleranz, eine nicht lebbare Toleranz aber auch. Das ist die Tragik!" (...)
Lessings Toleranzverständnis wurde beschrieben als eine Haltung des Respekts und der Anerkennung: keine bloße Duldung anderer Überzeugungen, sondern eine ernsthafte und konstruktive Auseinandersetzung mit ihnen. Erfüllen heutige Toleranzmodelle diesen Anspruch oder fallen sie dahinter zurück?
An dieser Stelle bietet sich ein Vergleich von Lessings Toleranzbegriff mit einem Modell an, das gegenwärtig auf relativ breite Zustimmung zu stoßen scheint. Der Frankfurter Philosoph Rainer Forst plädiert unter den verschiedenen Toleranz-Modellen für eine "Respekt-Konzeption", die "Toleranz als Tugend der Gerechtigkeit und als Forderung der Vernunft" begründet. Toleranz beruht in diesem Modell auf einer "moralisch begründeten Form der wechselseitigen Achtung der sich tolerierenden Individuen bzw. Gruppen". Die Anerkennung des anderen in seiner Anders- und Eigenheit wird als moralische Verpflichtung verstanden. Mit dem Begriff des Respekts wird somit die Haltung der Anerkennung, die bereits Lessing und nach ihm Goethe gefordert hat, als Grundlage der Toleranz bestimmt.
Ist die zentrale Bedeutung des Respekts ein Anzeichen dafür, dass Lessings Toleranzbegriff heute allgemeine Anerkennung findet? Jürgen Habermas hat in einer Rede viel stärker den praktischen Nutzen des Toleranzgebotes betont:
"Funktional betrachtet, soll religiöse Toleranz die gesellschaftliche Destruktivität eines unversöhnlich fortbestehenden Dissenses auffangen. Das soziale Band, welches Gläubige mit Andersgläubigen und Ungläubigen als Mitglieder derselben säkularen Gesellschaft verbindet, soll nicht reißen." ("Wann müssen wir tolerant sein?" 2002)
Hier hat die Haltung der Toleranz das Ziel, den gesellschaftlichen Frieden zu sichern. Vielleicht ist das auch alles, was man realistischerweise verlangen kann. Lessing ist jedenfalls weiter gegangen: Der Aspekt der Friedenssicherung spielt zwar auch bei Lessing eine Rolle (so verhindert die Toleranzforderung im Rat des Richters auch, dass sich die Brüder gegenseitig die Köpfe einschlagen), dennoch geht sein Verständnis von Toleranz darüber hinaus. Toleranz bedeutet bei Lessing nicht nur das Zulassen, sondern das Sich-Einlassen auf andere Überzeugungen. Nach diesem Verständnis ist Toleranz die Grundlage für eine produktive Auseinandersetzung mit anderen Ideen und Konzepten: Die Einsicht in andere Perspektiven ermöglicht einen Erkenntniszuwachs und so kann die Beschäftigung mit anderen Religionen und Kulturen zu einer Bereicherung werden.
Mit der Vorstellung, dass dies auch für den Islam zutrifft, stand Lessing schon in der Aufklärung isoliert da. Heute wird der Islam sowenig als Bereicherung gesehen wie je. Die Anwesenheit von mehreren Millionen Muslimen in Europa wird eher als Problem verstanden, und der Islam stellt offensichtlich zur Zeit die größte Herausforderung für die europäische Toleranz dar. In Deutschland kommt es bei Fragen der Religionsausübung von Muslimen, wie dem Schächten, dem Moscheebau oder dem Tragen des Kopftuches regelmäßig zu Kontroversen. In diesen bündeln sich nicht selten alle Ängste, die mit der Anwesenheit einer als "fremd" bis "gefährlich" angesehenen Minderheit verbunden sind.
In Frankreich wie in Deutschland zeigt sich im Zusammenhang des aktuellen "Kopftuchstreits", dass sich die gesellschaftliche und politische Praxis in weiten Teilen nicht an einer als "Respekt" verstandenen Toleranz orientiert, die - so auch Forst - das Kopftuch im Unterricht zu tolerieren (d.h. zu respektieren) hätte. In letzter Zeit scheint sich vor dem Hintergrund der aktuellen weltpolitischen Verhältnissen die nicht nur im "Kopftuchstreit" zu beobachtende Kulturkampf-Rhetorik zu verschärfen. Der vorgeblich religiös motivierte Terrorismus, die Eskalation des Nahost-Konflikts, die neuerliche Rede von "Kreuzzügen" - all dies sind Phänomene, die den von Samuel Huntington geweissagten "Kampf der Kulturen" scheinbar Realität werden lassen und die Tendenz verstärken, von Kulturen als Blöcken zu denken, die auf fest umrissene und unveränderliche Identitäten aufbauen. "Der Islam" und "der Westen" stehen sich in dieser Weltsicht als geschlossene Systeme unvereinbar gegenüber. Und auf beiden Seiten arbeiten die Vertreter dieser Weltsicht sorgfältig an der Pflege der jeweiligen Feindbilder.
Die Vorstellung von eindimensionalen und eindeutig abgrenzbaren Identitäten sollte nicht erst angesichts der Entwicklungen der Globalisierung und der Migration als imaginäres Konstrukt widerlegt sein. Kulturen unterlagen schon immer historischen Wandlungsprozessen und entwickelten sich im gegenseitigen Austausch. Anscheinend ist jedoch die "Rückbesinnung" auf das "Eigene" und die Abgrenzung vom "Anderen" in der Moderne zum Bedürfnis geworden, um sich der eigenen, unsicher gewordenen Identität neu zu versichern. Diese fundamentalistische Konstruktion von Identität ist in islamistischen Strömungen, die den Islam von "fremden" Einflüssen reinigen wollen, genauso zu beobachten wie in Teilen der westlichen Gesellschaften, wo man meint, eine "Leitkultur" vor dem Zerfall bewahren zu müssen.
Lessing hat den Aufbau eines solches Gegenbildes zur eigenen Gesellschaft zweifach unterlaufen: Durch die Charakterisierung des Islam als einer Religion der Vernunft und Toleranz einerseits und den Hinweis auf intolerante und irrationale Elemente der eigenen, christlich-abendländischen Kultur andererseits. Die Aktualität von Lessings Auseinandersetzung mit dem Islam liegt deshalb vor allem in zwei Punkten:
- in der Bereitschaft, grundlegende Werte nicht nur in der eigenen, sondern auch in anderen Kulturen und Religionen zu entdecken und sie damit als universell zu begreifen.
- in der Bereitschaft zur Kulturkritik
In dieser Haltung ist Lessing ein Vorbild - für Muslime wie Nichtmuslime. Zu den Voraussetzungen für einen gleichberechtigten Dialog gehört, sich von essentialistischen Betrachtungsweisen zu lösen. Gegenüberstellung wie rationaler Westen versus irrationaler/fanatischer Islam oder auf muslimischer Seite moralischer Islam versus unmoralischer Westen müssen aufgelöst werden durch die Einsicht in die Komplexität und die Verschiedenheit innerhalb jeder Kultur und Religion selbst.
Außerdem gilt es, über die Unterschiede von Religion und Kultur hinweg, die gemeinsamen Werte zu entdecken, und sich nicht in erster Linie als Angehörige von verschiedenen Religion, sondern als Menschen zu begegnen. Oder wie Nathan es ausdrückt: "Sind Christ und Jude eher Christ und Jude, / Als Mensch?" (II,5).
http://www.al-sakina.de/inhalt/artikel/lessing_islam/lessing_islam.html#VI
Darsteller und Darstellerinnen | |
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Sultan Saladin | Uwe Heinrich |
Sittah, die Schwester des Saladin | Manja Kloss |
Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem | Udo Schneider |
Recha, die angenommene Tochter des Nathan | Susanne von Lonski |
Daja, eine Christin, aber in dem Hause des Juden, als Gesellschafterin der Recha | Elisabeth Zwieg |
Ein junger Tempelherr | Daniele Veterale |
Ein Derwisch | Peter-Benjamin Eichhorn |
Der Patriarch von Jerusalem | Roland Möser |
Ein Klosterbruder | Gerd Opitz |
Inszenierungsteam | |
Regie | Gösta Knothe |
Bühnenbild und Kostüme | |
Dramaturgie | |
Sandra Pagel | |
Regieassistenz | |
Inspizienz | |
Soufflage |
Stand vom 29.02.2008