Der 21. November 1811 ist ein klirrend kalter Tag. Die Wirtsleute des Gasthofs "Stimmings Krug" am Kleinen Wannsee sind deshalb um so mehr verwundert, als die beiden einzigen Gäste, ein junges Paar Anfang 30, Kaffee und Rum ans Ufer bestellen. Sie sind vergnügt, geradezu euphorisch. Ein Tagelöhner der kleinen Gaststätte wird später zu Protokoll geben, er habe das Paar schäkernd am Ufer entlang laufen sehen, sich jagend wie kleine Kinder. Doch kurz darauf hallen zwei Schüsse durch die Herbstlandschaft. Heinrich von Kleist hat in einer kleinen Senke erst Henriette Vogel eine Kugel ins Herz gejagt, danach sich selbst durch den Mund ins Gehirn geschossen.
In Schattenbildern, die von den Geistern Heinrichs und Henriettes und zwei Schutzengeln bevölkert werden, spekuliertMonika Radl über Motive und Verwirrungen eines Doppelselbstmords, der der Literaturgeschichte seine rätselhaften Spuren hinterließ. Ihr gelingt ein poetischer Balanceakt zwischen schrägem Humor und teilnehmender Ehrlichkeit.
"Wann hast du aufgehört, an ein Wunder zu glauben, wann?"
Uraufführung
In Kooperation mit dem Deutschen Bühnenverein Landesverband Ost und den Kleistfesttagen
Premiere: 12. Oktober 2007
Abgespielt.
In Schattenbildern, die von den Geistern Heinrichs und Henriettes und zwei Schutzengeln bevölkert werden, spekuliert
"Wann hast du aufgehört, an ein Wunder zu glauben, wann?"
Uraufführung
In Kooperation mit dem Deutschen Bühnenverein Landesverband Ost und den Kleistfesttagen
Premiere: 12. Oktober 2007
Abgespielt.
(...) was allen Selbstmördern und nur ihnen widerfährt: Man deutet ihr Leben von seinem Ende aus. Ex negativo erhält alles ein Ziel. Wer dagegen jenen Tod stirbt, den man mit einer altmohdischen Wendung "den natürlichen" nennt, wird nie so gelesen und verstanden.
Roger Willemsen
Kleist, Bernd Heinrich Wilhelm von geboren am 18. (nach eigener Aussage am 10.) Oktober 1777 in Frankfurt an der Oder zwei Halbschwestern aus der ersten Ehe des Vaters, drei Schwestern und ein jüngerer Bruder (andere Quellen sprechen von fünf Vollgeschwistern) ca. 1,70 Meter blaue Augen, dunkles Haar "Da in seinem Äußern etwas Finsteres und Sonderbares vorherrschte, so gab ein Fehler am Sprachorgan seinem Eifer in geistreichen Unterhaltungen einen Anschein von eigensinniger Härte, die seinem Charakter wohl nicht eigen war. Wie ein der Meerestiefe entsteigender Taucher sich wenigstens in den ersten Augenblicken nicht auf alles Große und Schöne besinnt, was er in der Wasserwelt gesehen, und es nicht zu erzählen vermag, so schien es bisweilen bey Heinrich von Kleist der Fall zu seyn." (Johann George Scheffner) der Vater stirbt 1788, die Mutter 1793; nach deren Tod führt eine Tante bis zu ihrem eigenen Tod 1809 den Haushalt der Geschwister Kleist nach Aussage der Zeitgenossen einer der größten Virtuosen auf der Flöte und der Klarinette passionierter Pfeifenraucher am 1. Juni 1792 Eintritt in das Garderegiment Potsdam als Gefreiter-Korporal 1793-1795 Teilnahme am Rheinfeldzug 1797 Beförderung zum Leutnant (1806 führt die preußische Armee 50 Offiziere mit Namen Kleist) im März 1799 nimmt Kleist seinen Abschied und beginnt ein Studium (Kameralia und Jus) an der Universität Frankfurt a.d.O. 1799 Verlobung mit Wilhelmine von Zenge 1800 Rückkehr nach Berlin und Würzburger Reise November 1800 Anstellung als Volontär im preußischen Wirtschaftsministerium in Berlin März 1801 Kant-Krise April 1801 mit Ulrike Reise nach Paris November 1801 Reise in die Schweiz im Frühjahr 1802 löst sich die Verlobung mit Wilhelmine von Zenge, als diese sich nicht bereit zeigt, mit Kleist ein Schweizer Bauernleben zu führen Februar 1803 erscheint als erstes Werk Kleists anonym Familie Schroffenstein im Oktober 1803 vernichtet Kleist in Paris das Manuskript des Robert Guiskard; dem folgt der körperliche und seelische Zusammenbruch Kleists im Juni 1804 Rückkehr nach Berlin und im Herbst Wiedereintritt in den preußischen Staatsdienst 1806 gibt Kleist die Beamtenlaufbahn endgültig auf Februar bis Juli 1807 befindet sich Kleist in französischer Gefangenschaft; in dieser Zeit gibt Adam Müller in Dresden den Amphitryon heraus 1808 gibt Kleist zusammen mit Adam Müller die Monatsschrift Phöbus heraus, in der u.a. Teile Kleistscher Werke abgedruckt werden am 2. März 1808 führt Goethe in Weimar den Zerbrochenen Krug in einer eigenen Bearbeitung auf; die Aufführung fällt mit Pauken und Trompeten durch Oktober 1810 bis März 1811 gibt Kleist Die Berliner Abendblätter heraus am 21. November 1811 gegen 16 Uhr stirbt Kleist am Kleinen Wannsee durch eigene Hand, nachdem er zuvor Henriette Vogel auf eigenen Wunsch hin erschossen hat bei der Waffe, mit der Kleist sich erschießt, handelt es sich um eine Lazarino Cominazzo
Klingt der Name Heinrich nicht immer schon an und für sich nach irgend etwas Rechtschaffenem, Immergrünem, nach etwas unausrottbar Deutschem, Jungem? Wie seine Hände ausgesehen haben mögen? Trug er einen hohen oder flachen Hut, und ließ er jeweilen seine auf mannigfaltige Art benützten Schuhe rechtzeitig bei einem Schuhmacher sohlen?
Robert Walser, 1936
Roger Willemsen
Kleist, Bernd Heinrich Wilhelm von geboren am 18. (nach eigener Aussage am 10.) Oktober 1777 in Frankfurt an der Oder zwei Halbschwestern aus der ersten Ehe des Vaters, drei Schwestern und ein jüngerer Bruder (andere Quellen sprechen von fünf Vollgeschwistern) ca. 1,70 Meter blaue Augen, dunkles Haar "Da in seinem Äußern etwas Finsteres und Sonderbares vorherrschte, so gab ein Fehler am Sprachorgan seinem Eifer in geistreichen Unterhaltungen einen Anschein von eigensinniger Härte, die seinem Charakter wohl nicht eigen war. Wie ein der Meerestiefe entsteigender Taucher sich wenigstens in den ersten Augenblicken nicht auf alles Große und Schöne besinnt, was er in der Wasserwelt gesehen, und es nicht zu erzählen vermag, so schien es bisweilen bey Heinrich von Kleist der Fall zu seyn." (Johann George Scheffner) der Vater stirbt 1788, die Mutter 1793; nach deren Tod führt eine Tante bis zu ihrem eigenen Tod 1809 den Haushalt der Geschwister Kleist nach Aussage der Zeitgenossen einer der größten Virtuosen auf der Flöte und der Klarinette passionierter Pfeifenraucher am 1. Juni 1792 Eintritt in das Garderegiment Potsdam als Gefreiter-Korporal 1793-1795 Teilnahme am Rheinfeldzug 1797 Beförderung zum Leutnant (1806 führt die preußische Armee 50 Offiziere mit Namen Kleist) im März 1799 nimmt Kleist seinen Abschied und beginnt ein Studium (Kameralia und Jus) an der Universität Frankfurt a.d.O. 1799 Verlobung mit Wilhelmine von Zenge 1800 Rückkehr nach Berlin und Würzburger Reise November 1800 Anstellung als Volontär im preußischen Wirtschaftsministerium in Berlin März 1801 Kant-Krise April 1801 mit Ulrike Reise nach Paris November 1801 Reise in die Schweiz im Frühjahr 1802 löst sich die Verlobung mit Wilhelmine von Zenge, als diese sich nicht bereit zeigt, mit Kleist ein Schweizer Bauernleben zu führen Februar 1803 erscheint als erstes Werk Kleists anonym Familie Schroffenstein im Oktober 1803 vernichtet Kleist in Paris das Manuskript des Robert Guiskard; dem folgt der körperliche und seelische Zusammenbruch Kleists im Juni 1804 Rückkehr nach Berlin und im Herbst Wiedereintritt in den preußischen Staatsdienst 1806 gibt Kleist die Beamtenlaufbahn endgültig auf Februar bis Juli 1807 befindet sich Kleist in französischer Gefangenschaft; in dieser Zeit gibt Adam Müller in Dresden den Amphitryon heraus 1808 gibt Kleist zusammen mit Adam Müller die Monatsschrift Phöbus heraus, in der u.a. Teile Kleistscher Werke abgedruckt werden am 2. März 1808 führt Goethe in Weimar den Zerbrochenen Krug in einer eigenen Bearbeitung auf; die Aufführung fällt mit Pauken und Trompeten durch Oktober 1810 bis März 1811 gibt Kleist Die Berliner Abendblätter heraus am 21. November 1811 gegen 16 Uhr stirbt Kleist am Kleinen Wannsee durch eigene Hand, nachdem er zuvor Henriette Vogel auf eigenen Wunsch hin erschossen hat bei der Waffe, mit der Kleist sich erschießt, handelt es sich um eine Lazarino Cominazzo
Klingt der Name Heinrich nicht immer schon an und für sich nach irgend etwas Rechtschaffenem, Immergrünem, nach etwas unausrottbar Deutschem, Jungem? Wie seine Hände ausgesehen haben mögen? Trug er einen hohen oder flachen Hut, und ließ er jeweilen seine auf mannigfaltige Art benützten Schuhe rechtzeitig bei einem Schuhmacher sohlen?
Robert Walser, 1936
Vogel, Henriette Sophie Adolphine geborene Kaeber geboren 1780 seit 1799 mit dem Generalrendanten der kurmärkischen Landfeuersozietät und Landschaftsbuchhalter Friedrich Ludwig Vogel verheiratet, der Louis gerufen wird hinterlässt die neunjährige Tochter Pauline lernt Kleist im Frühjahr 1810 durch Adam Müller kennen es werden ihr sowohl mit Adam Müller als auch mit dem Prediger Franz Theremin, der im November 1810 Cäcilie Müller tauft, zu deren Paten Kleist und das Ehepaar Vogel gehören, Liebesaffären nachgesagt Ludwig Vogel heiratet bereits im Mai 1812 ein zweites Mal; die Beziehung zu seiner ersten Frau soll bei deren Tod schon merklich abgekühlt gewesen sein
Ernst Friedrich Peguilhens Aufzeichnung über Kleists Verhältnis
zu Henriette Vogel, 1812
... Madame Vogel war von der Natur bestimmt, die Zierde ihres Geschlechts zu sein, sowohl in Ansehung des Geistes als des Körpers. Daß diesem die Fülle der Gesundheit fehlte und ihr geistreiches Gesicht von den Blattern etwas gelitten hatte, war eine schonende Fürsorge der Vorsehung für unser Geschlecht. Denn sonst hätte es nur von ihr abgehangen, trotz jener Angelika des Bojardo und Ariost, die männliche Jugend zum Kampfe um ihren Besitz zu bewaffnen, und ihrem Vaterlande, das sie so innig liebte, verderblich zu werden. Sie war ein wunderbares, genialisches Wesen, bei der man das Fremdartigste in einem seltenen Verein fand. Ihr Geist durch Shakespeare und Goethe, durch Homer und Cervantes genährt, durch talentvolle Freunde gepflegt, die sie alle überragte, konnte sich auch zu dem Gemeinsten herablassen, und zwar ohne Affektion, welche ihr ganz fremd war. Dieselbe Frau, welche abends durch meisterhaften Vortrag der schwierigsten Kompositionen, durch Spiel und Gesang ihre Freunde entzückte, fand der kommende Morgen mit Ausbessern und Sortieren der Wäsche beschäftiget ...
Ihre Wißbegierde kannte keine Grenzen, und nichts verschmähte sie, was ihre Kenntnis bereichern konnte, die gemeinsten Fertigkeiten waren ihr nicht unbedeutend ... So z. B. bat sie mich öfters, ihr Unterricht im Drechseln zu geben, selbst Fechten wünschte sie zu lernen, und Kleist unterrichtete sie wirklich in den Elementen der Taktik und Kriegskunst. ...
Selbst ganz eigentümlich organisiert, hatte sie ein seltenes Talent, die Eigentümlichkeiten anderer aufzufassen und bemerkbar zu machen, aber nicht etwa Lächerlichkeiten und besondere Angewohnheiten, sondern charakteristische Züge, die den Menschen zu dem machen, was er ist - hervorstechende Individualität, und zwar immer von einer guten Seite. Ihr Scharfblick entdeckte an dem unbedeutendsten Menschen eine interessante Seite, deren Berührung schmeichelhaft sein mußte. ...
Bei dem reinsten Tugendgefühl war sie keine Prüde und wurde nicht durch ein unbedachtes Wort in einer fröhlichen Gesellschaft beleidigt. Sie las die Liaisons dangereuses als ein meisterhaftes Gemälde der Sittenverderbnis der großen Welt mit gleichem Interesse, als das zarte Gemälde der Seele in Werthers Leiden. ...
Sie hat zwar nie für den Druck geschrieben, und ein eigentlich literarischer Nachlaß war nicht vorhanden, aber doch mehrere kleine höchst interessante Aufsätze, welche die Fülle und Eigentümlichkeit ihres Geistes näher dargelegt haben würden, die sie aber aus einem Übermaße an Bescheidenheit kurz vor ihrem Tode vernichtet hat. Jedoch schon jene Fragmente deuten auf echte Originalität und zeigen hinreichend, daß diese Skizze zwar von Freundes Hand angelegt, aber nicht verschönert ist. ...
Sie litt an einem unheilbaren Übel. Schon manches Jahr hatte sie ihren Zustand schmerzlich empfunden, und ein Zustand völliger Behaglichkeit, wie in den letzten Monaten ihres Lebens, war eine seltene Ausnahme. Noch manche Jahre des Leidens standen ihr bevor und der allerfurchtbarste Tod. Der Arzt, der ihren Zustand nach ihrem Tode untersuchte, drückte sich darüber so aus: daß er sich lieber zehnmal lebendig rädern lassen, als den ihr, wenn auch vielleicht erst nach Jahren bevorstehenden qualvollen Tod sterben möchte. Daher sah sie schon seit langem einem schnellen und schmerzlichen Tode als dem Ziele ihrer Leiden mit Sehnsucht entgegen. Sie strebte überall nach dem Höchsten; und ein gesunder Körper ist doch gewiß die erste Bedingung aller irdischen Glückseligkeit; und diese war für sie auf immer unwiderbringlich verloren. Das ganze Streben ihres für Liebe und Freundschaft so empfänglichen Gemüts ging nun dahin, mit einem lieben Freunde vereint die Welt zu verlassen. Sie erlaubte sich öfters Anspielungen auf diesen Wunsch sowohl gegen ihren Gatten als gegen andere Freunde, die freilich erst jetzt Bedeutsamkeit erhalten, brach aber das Gespräch kurz und traurig ab, sobald sie die wenige Empfänglichkeit ihrer Gesellschaft bemerkte.
Durch die zu weit getriebene Offenheit eines geachteten Arztes wurde sie von ihrem Zustande, den sie vorher nur ahnte, völlig unterrichtet. Von dieser Stunde an datiert sich wahrscheinlich der feste Entschluß, eine Welt zu verlassen, von deren Freuden ein herbes Geschick sie ausschloß. Ihr längst genährter Vorsatz wurde lebendiger, und Kleist, dem ihr leisester Wunsch Befehl war, der nur in ihr lebte, an ihren Blicken hing und sich ihr ganz willenlos hingegeben hatte, billigte nicht nur diesen seiner eigenen, alles durch einen schwarzen Flor sehenden Gemütsstimmung zusagenden Wunsch, sondern regte ihn noch mehr an und gab sich ohne Bedenken zu der schrecklichen Tat her ...
Klaus Günzel: Kleist. Ein Lebensbild in Briefen und zeitgenössischen Berichten,
Verlag der Nation Berlin 1984, S. 390-393.
Die Autopsie der Leiche Henriette Vogels zeigte ein schweres körperliches Leiden: ein Gebärmutterkarzinom oder -myom. Dr. Sternemann, Kreisphysikus und Hofmedikus, der die Leichenschau durchführte, notierte in seinem Bericht:
"Den Uterum fanden wir in seiner ganzen Substanz so widernatürlich verhärtet, daß der Cancer Occultus sehr evident sich darbot. Diese Verhärtung hatte fast eine knorpelartige Substanz, welche nur durch den stärksten Druck eines scharfen Scalpells zerschnitten werden konnte. Ex Fundo Uteri floß eine eiterartige Feuchtigkeit heraus. Die Tubae fallopianae, die Ovarie, die Urinblase und die Nieren befanden sich in Normalzustand."
Die Beschreibung der steinharten Gebärmutter läßt an ein verkalktes Myom denken, aber nur selten kommen derartige Myome bei so jungen Frauen vor. (...)
Die Tatsache, daß Henriette Vogel auf eigenes rationales Verlangen hin durch Tötung starb, schließt nicht aus, daß sich ihr Geltungsbedürfnis nicht in der von ihr gewählten Todesart gemeldet hätte. Sie hielt es zweifelsohne für ein ruhmvolles Ende, durch die Hand eines Heinrich von Kleist zu sterben. Auf diese Haltung weisen zahlreiche Stellen in ihren letzten Briefen hin: "Wir beiden, nämlich der bekannte Kleist und ich, befinden uns hier in einem sehr unbeholfenen Zustande, indem wir erschossen daliegen", schreibt sie an E. F. Peguilhen. Dem Brief von Kleist an Sophie Haza-Müller fügt sie unter anderem hinzu: "Lebt wohl denn Ihr, meine lieben Freunde, und erinnert Euch in Freud und Leid der zwei wunderlichen Menschen, die bald ihre große Entdeckungsreise antreten werden." Die Befriedigung ihres Geltungsbedürfnisses ist ohne Zweifel eine Triebfeder gewesen, die bei Henriette Vogels freiwilligem Tod eine, wenn auch vielleicht untergeordnete Rolle gespielt hat. Wenn auch nicht auf den Entschluß zur passiven Selbstvernichtung, so hat dieser Wunsch doch auf die Art eingewirkt, in der Henriette das Leben verlassen wollte. Heinrich von Kleist war für sie sehr wichtig, da er nicht nur bereit war, ihr zum Tode zu verhelfen, sondern ihr zugleich ein ruhmvolles Ende verschaffen konnte. Aus diesem zweifachen Grunde drängte Henriette Vogel Kleist so sehr, sie zu töten. Aus diesen beiden Gründen brachte sie es so weit, daß Heinrich von Kleist am 9. 11. 1811 an Marie von Kleist schrieb: "Nur so viel wisse, daß meine Seele durch die Berührung mit der ihrigen zum Tode ganz reif geworden ist."
Paul Ghysbrecht: Der Doppelselbstmord, übersetzt von W. Friedrich und G. Friedrich-Cain, Ernst Reinhardt Verlag München / Basel 1967.
Ernst Friedrich Peguilhens Aufzeichnung über Kleists Verhältnis
zu Henriette Vogel, 1812
... Madame Vogel war von der Natur bestimmt, die Zierde ihres Geschlechts zu sein, sowohl in Ansehung des Geistes als des Körpers. Daß diesem die Fülle der Gesundheit fehlte und ihr geistreiches Gesicht von den Blattern etwas gelitten hatte, war eine schonende Fürsorge der Vorsehung für unser Geschlecht. Denn sonst hätte es nur von ihr abgehangen, trotz jener Angelika des Bojardo und Ariost, die männliche Jugend zum Kampfe um ihren Besitz zu bewaffnen, und ihrem Vaterlande, das sie so innig liebte, verderblich zu werden. Sie war ein wunderbares, genialisches Wesen, bei der man das Fremdartigste in einem seltenen Verein fand. Ihr Geist durch Shakespeare und Goethe, durch Homer und Cervantes genährt, durch talentvolle Freunde gepflegt, die sie alle überragte, konnte sich auch zu dem Gemeinsten herablassen, und zwar ohne Affektion, welche ihr ganz fremd war. Dieselbe Frau, welche abends durch meisterhaften Vortrag der schwierigsten Kompositionen, durch Spiel und Gesang ihre Freunde entzückte, fand der kommende Morgen mit Ausbessern und Sortieren der Wäsche beschäftiget ...
Ihre Wißbegierde kannte keine Grenzen, und nichts verschmähte sie, was ihre Kenntnis bereichern konnte, die gemeinsten Fertigkeiten waren ihr nicht unbedeutend ... So z. B. bat sie mich öfters, ihr Unterricht im Drechseln zu geben, selbst Fechten wünschte sie zu lernen, und Kleist unterrichtete sie wirklich in den Elementen der Taktik und Kriegskunst. ...
Selbst ganz eigentümlich organisiert, hatte sie ein seltenes Talent, die Eigentümlichkeiten anderer aufzufassen und bemerkbar zu machen, aber nicht etwa Lächerlichkeiten und besondere Angewohnheiten, sondern charakteristische Züge, die den Menschen zu dem machen, was er ist - hervorstechende Individualität, und zwar immer von einer guten Seite. Ihr Scharfblick entdeckte an dem unbedeutendsten Menschen eine interessante Seite, deren Berührung schmeichelhaft sein mußte. ...
Bei dem reinsten Tugendgefühl war sie keine Prüde und wurde nicht durch ein unbedachtes Wort in einer fröhlichen Gesellschaft beleidigt. Sie las die Liaisons dangereuses als ein meisterhaftes Gemälde der Sittenverderbnis der großen Welt mit gleichem Interesse, als das zarte Gemälde der Seele in Werthers Leiden. ...
Sie hat zwar nie für den Druck geschrieben, und ein eigentlich literarischer Nachlaß war nicht vorhanden, aber doch mehrere kleine höchst interessante Aufsätze, welche die Fülle und Eigentümlichkeit ihres Geistes näher dargelegt haben würden, die sie aber aus einem Übermaße an Bescheidenheit kurz vor ihrem Tode vernichtet hat. Jedoch schon jene Fragmente deuten auf echte Originalität und zeigen hinreichend, daß diese Skizze zwar von Freundes Hand angelegt, aber nicht verschönert ist. ...
Sie litt an einem unheilbaren Übel. Schon manches Jahr hatte sie ihren Zustand schmerzlich empfunden, und ein Zustand völliger Behaglichkeit, wie in den letzten Monaten ihres Lebens, war eine seltene Ausnahme. Noch manche Jahre des Leidens standen ihr bevor und der allerfurchtbarste Tod. Der Arzt, der ihren Zustand nach ihrem Tode untersuchte, drückte sich darüber so aus: daß er sich lieber zehnmal lebendig rädern lassen, als den ihr, wenn auch vielleicht erst nach Jahren bevorstehenden qualvollen Tod sterben möchte. Daher sah sie schon seit langem einem schnellen und schmerzlichen Tode als dem Ziele ihrer Leiden mit Sehnsucht entgegen. Sie strebte überall nach dem Höchsten; und ein gesunder Körper ist doch gewiß die erste Bedingung aller irdischen Glückseligkeit; und diese war für sie auf immer unwiderbringlich verloren. Das ganze Streben ihres für Liebe und Freundschaft so empfänglichen Gemüts ging nun dahin, mit einem lieben Freunde vereint die Welt zu verlassen. Sie erlaubte sich öfters Anspielungen auf diesen Wunsch sowohl gegen ihren Gatten als gegen andere Freunde, die freilich erst jetzt Bedeutsamkeit erhalten, brach aber das Gespräch kurz und traurig ab, sobald sie die wenige Empfänglichkeit ihrer Gesellschaft bemerkte.
Durch die zu weit getriebene Offenheit eines geachteten Arztes wurde sie von ihrem Zustande, den sie vorher nur ahnte, völlig unterrichtet. Von dieser Stunde an datiert sich wahrscheinlich der feste Entschluß, eine Welt zu verlassen, von deren Freuden ein herbes Geschick sie ausschloß. Ihr längst genährter Vorsatz wurde lebendiger, und Kleist, dem ihr leisester Wunsch Befehl war, der nur in ihr lebte, an ihren Blicken hing und sich ihr ganz willenlos hingegeben hatte, billigte nicht nur diesen seiner eigenen, alles durch einen schwarzen Flor sehenden Gemütsstimmung zusagenden Wunsch, sondern regte ihn noch mehr an und gab sich ohne Bedenken zu der schrecklichen Tat her ...
Klaus Günzel: Kleist. Ein Lebensbild in Briefen und zeitgenössischen Berichten,
Verlag der Nation Berlin 1984, S. 390-393.
Die Autopsie der Leiche Henriette Vogels zeigte ein schweres körperliches Leiden: ein Gebärmutterkarzinom oder -myom. Dr. Sternemann, Kreisphysikus und Hofmedikus, der die Leichenschau durchführte, notierte in seinem Bericht:
"Den Uterum fanden wir in seiner ganzen Substanz so widernatürlich verhärtet, daß der Cancer Occultus sehr evident sich darbot. Diese Verhärtung hatte fast eine knorpelartige Substanz, welche nur durch den stärksten Druck eines scharfen Scalpells zerschnitten werden konnte. Ex Fundo Uteri floß eine eiterartige Feuchtigkeit heraus. Die Tubae fallopianae, die Ovarie, die Urinblase und die Nieren befanden sich in Normalzustand."
Die Beschreibung der steinharten Gebärmutter läßt an ein verkalktes Myom denken, aber nur selten kommen derartige Myome bei so jungen Frauen vor. (...)
Die Tatsache, daß Henriette Vogel auf eigenes rationales Verlangen hin durch Tötung starb, schließt nicht aus, daß sich ihr Geltungsbedürfnis nicht in der von ihr gewählten Todesart gemeldet hätte. Sie hielt es zweifelsohne für ein ruhmvolles Ende, durch die Hand e
Paul Ghysbrecht: Der Doppelselbstmord, übersetzt von W. Friedrich und G. Friedrich-Cain, Ernst Reinhardt Verlag München / Basel 1967.
Im Islam hat Djibril 1600 Flügel. Er taucht jeden Tag 360 Mal in den Ozean ein, und wenn er wieder herauskommt, fallen eine Million Wassertropfen von seinen Flügeln, und diese werden zu Engeln.
Nicht nur in der jüdischen, christlichen und islamischen Religion gibt es Engel. Viele Flügelwesen anderer Religionen und Kulturen sind unserer Vorstellung von Engeln durchaus vergleichbar. Engel finden sich bei den alten Ägyptern, bei den Assyrern und in Mesopotamien, bei den Griechen und Etruskern, selbst im Hinduismus, Buddhismus und im Schamanentum. Thomas von Aquin meinte zwar "Engel sind reiner Intellekt", glaubte jedoch auch, daß Engel Tiere ohne Körper seien, die einen Körper annehmen könnten. Kathedralen in Frankreich, Spanien, Italien lassen noch heute fremde Wesen erkennen, Tieren näher als Menschen, ja Monstern, Dämonen gleich. In nordischen Ländern wurden sie mit Katzen- und Vogelköpfen dargestellt, die babylonische Kunst kannte sie mit Adlerkopf und Menschenleib, und der Cherubim ist in der assyrischen Kunst eine Gestalt mit Adler- Stier- oder Sphinxenleib mit einem Löwen oder Menschenkopf. Hingegen nahmen in der persischen, griechischen und römischen Kunst die Götterboten menschliches Aussehen an, wenn sie sich zur Erde bewegten, wie die Flügelfrauen am Grab des Tutenchamon oder die nackten geflügelten Männergestalten am Pergamonaltar.
Als eine der frühest bekannten Engeldarstellungen gilt manchen Forschern eine Stele mit einem Flügelwesen aus sumerischer Zeit, die in der Stadt Ur im Euphrat-Tal gefunden wurde. Spät, erst im Jahr 1215, erlaubte das 4. Laterankonzil die Darstellung der Engel in menschlicher Gestalt und legitimierte damit nur nachträglich, was Malern und Bildhauern seit langem selbstverständlich war. Diese hatten sich bereits im 4. Jahrhundert an heidnischen Genien und der geflügelten, weiblichen Siegesgöttin Nike orientiert, diese zum Modell genommen und sich ihren Engel geschaffen.
Mit menschlichem Aussehen hatten die Engel auch alles Bedrohliche verloren, wurden tägliche Begleiter und angerufen in bestimmten Situationen des Lebens. Hunderte kannte man mit Namen und es gab nichts, wofür es nicht einen zuständigen Engel gab: Hajim Engel des Herzens, Aydiel Engel der Arbeit, Rehajel Engel der Gelassenheit, Bairim Engel des Wassers, Mirachar Engel des Frühlings, Myrrhael Engel des Abendlandes, Henael Engel des Suchens und des Findens, Ohriel Engel der Langmut, Amiriel Engel der Leidenschaft, Hamsim Engel der Wunder, Sinar Engel der Klarsicht, Uriel Engel der Dichtkunst, Zurael Engel des täglichen Lebens, um nur einige zu nennen. So führte die Verehrung der Engel auch in der christlichen Religion zu einem Engelskult, vor dem die Kirche vergeblich warnte. Die Lateransynode von 745 ächtete alle jene Engel, die in der Literatur des Judentums und im Henochbuch erwähnt wurden und gab nur noch drei biblische Engel zur Verehrung frei: Michael, Gabriel, Rafael. (...)
"Engel oder ein Geist besteht aus keiner materiellen Substanz, reflektiert daher die Strahlen der Sonne nicht und ist somit unsichtbar. Deshalb sehen wir Engel entweder, weil sie vorübergehend einen physischen Körper annehmen, oder weil das innere oder spirituelle Auge eines Menschen geöffnet wurde", schrieb der Naturforscher Emanuel Swedenborg und beeinflußte nicht nur Goethe und seinen "Faust". Schriftsteller haben sich über die Jahrhunderte hinweg immer wieder mit der Welt der Engel beschäftigt, sich Gedanken über die Reiche des Jenseits gemacht, wie John Milton in seinen großen Epen über das verlorene und das wiedergefundene Paradies, wie Dante Aligheri in der "Göttlichen Komödie" und schließlich Rafael Alberti in seinem Gedichtszyklus "Über die Engel". Gar keine himmlischen Eigenschaften werden da beschrieben, denn seine Engel sind illusionslos, grausam, rachsüchtig, dumm, neidisch, verlogen, raffgierig, nachtwandlerisch, häßlich und falsch.
Setzt man die Texte der Weltliteratur zu einem Puzzle zusammen, entsteht ein vielfältiges Bild, das verwirrt in seiner Widersprüchlichkeit. Wie kein anderes Wesen gibt der Engel Raum für Phantasie, Träume, Sehnsüchte, Wünsche und Projektionen. Er ist poetische Metapher, Metapher für Liebe, Geborgenheit, Gewissen, Frieden, Trost und Hoffnung. Je mehr wir über ihn erfahren, um so geheimnisvoller, rätselhafter wird er, um so unmöglicher scheint es, seinem Geheimnis näherzukommen. Doch gerade das macht ihn so faszinierend.
Isolde Ohlbaum
An der schwelle des XX. jahrhunderts schien es, die engel wären von uns für immer gegangen und alle spur nach ihnen sei verloren.
Sie wurden noch da und dort in den bestattungsinstituten beschäftigt. Zuweilen stützten sie auch die baldachine von gestern. Doch im grunde blichen sie in der untätigkeit dahin und verwandelten sich in rosafarbenen puder.
Die wirkliche renaissance der engel begann mit dem aufschwung der luftfahrt. Man könnte sagen, ohne zu übertreiben, sie seien zur erde zurückgekehrt und hätten die wangenröte des lebens wiedergewonnen. Sie helfen die hoch über den ozeanen hängende laufbrücke passieren. Aus den lautsprechern in den flughäfen sickern ihre hohen und irrealen stimmen mild, als wollten sie uns überzeugen, es gäbe noch eine rettung.
Sie sprechen in allen zungen, doch für die himmelfahrt und für die katastrophe haben sie nur ein einziges lächeln.
Zbigniew Herbert
Immerhin gibt es mindestens eine Bibelstelle, die suggeriert, daß Engel die ganze Schwere von Menschen annehmen können. Wenn Engel also, falls erforderlich, etwa 90 Kilo wiegen können, wie groß müßten ihre Flügel sein, um ein solches Gewicht vom Erdboden zu erheben oder ihnen wenigstens das Schweben zu ermöglichen?
Die größten Vögel, wie der weiße Pelikan oder der Riesenschwan, haben ein Gewicht von etwa 11 bis 14 Kilo. Sie brauchen eine Flügelspannweite von ungefähr vier Metern, um diese Last zu heben. Den Rekord für effizientes Heben hält die kanadische Gans, die pro Quadratdezimeter Flügelfläche zwei Kilo Gewicht trägt. Die meisten Vögel schaffen allerdings kaum mehr als 250 Gramm pro Quadratdezimeter Federtragfläche.
Wenn wir eine mittlere "Hubkraft" zugrundelegen, braucht ein großer Engel mit vollem irdischem Gewicht von etwa 90 Kilo eine Flügelspannweite von 12 bis 40 Metern. Das entspricht etwa der Größe eines modernen Drachenfliegers, obwohl dessen Flügel nur zum Gleiten und Schweben benutzt werden können. Es bedeutet, daß die zierlichen Renaissanceflügel nur mit Hilfe einer ziemlich großen Portion dichterischer Freiheit durch unsere Welt flattern.
Malcolm Godwin
Isolde Ohlbaum: Aus Licht und Schatten. Engelbilder, Knesebeck München 2000.
Nicht nur in der jüdischen, christlichen und islamischen Religion gibt es Engel. Viele Flügelwesen anderer Religionen und Kulturen sind unserer Vorstellung von Engeln durchaus vergleichbar. Engel finden sich bei den alten Ägyptern, bei den Assyrern und in Mesopotamien, bei den Griechen und Etruskern, selbst im Hinduismus, Buddhismus und im Schamanentum. Thomas von Aquin meinte zwar "Engel sind reiner Intellekt", glaubte jedoch auch, daß Engel Tiere ohne Körper seien, die einen Körper annehmen könnten. Kathedralen in Frankreich, Spanien, Italien lassen noch heute fremde Wesen erkennen, Tieren näher als Menschen, ja Monstern, Dämonen gleich. In nordischen Ländern wurden sie mit Katzen- und Vogelköpfen dargestellt, die babylonische Kunst kannte sie mit Adlerkopf und Menschenleib, und der Cherubim ist in der assyrischen Kunst eine Gestalt mit Adler- Stier- oder Sphinxenleib mit einem Löwen oder Menschenkopf. Hingegen nahmen in der persischen, griechischen und römischen Kunst die Götterboten menschliches Aussehen an, wenn sie sich zur Erde bewegten, wie die Flügelfrauen am Grab des Tutenchamon oder die nackten geflügelten Männergestalten am Pergamonaltar.
Als eine der frühest bekannten Engeldarstellungen gilt manchen Forschern eine Stele mit einem Flügelwesen aus sumerischer Zeit, die in der Stadt Ur im Euphrat-Tal gefunden wurde. Spät, erst im Jahr 1215, erlaubte das 4. Laterankonzil die Darstellung der Engel in menschlicher Gestalt und legitimierte damit nur nachträglich, was Malern und Bildhauern seit langem selbstverständlich war. Diese hatten sich bereits im 4. Jahrhundert an heidnischen Genien und der geflügelten, weiblichen Siegesgöttin Nike orientiert, diese zum Modell genommen und sich ihren Engel geschaffen.
Mit menschlichem Aussehen hatten die Engel auch alles Bedrohliche verloren, wurden tägliche Begleiter und angerufen in bestimmten Situationen des Lebens. Hunderte kannte man mit Namen und es gab nichts, wofür es nicht einen zuständigen Engel gab: Hajim Engel des Herzens, Aydiel Engel der Arbeit, Rehajel Engel der Gelassenheit, Bairim Engel des Wassers, Mirachar Engel des Frühlings, Myrrhael Engel des Abendlandes, Henael Engel des Suchens und des Findens, Ohriel Engel der Langmut, Amiriel Engel der Leidenschaft, Hamsim Engel der Wunder, Sinar Engel der Klarsicht, Uriel Engel der Dichtkunst, Zurael Engel des täglichen Lebens, um nur einige zu nennen. So führte die Verehrung der Engel auch in der christlichen Religion zu einem Engelskult, vor dem die Kirche vergeblich warnte. Die Lateransynode von 745 ächtete alle jene Engel, die in der Literatur des Judentums und im Henochbuch erwähnt wurden und gab nur noch drei biblische Engel zur Verehrung frei: Michael, Gabriel, Rafael. (...)
"Engel oder ein Geist besteht aus keiner materiellen Substanz, reflektiert daher die Strahlen der Sonne nicht und ist somit unsichtbar. Deshalb sehen wir Engel entweder, weil sie vorübergehend einen physischen Körper annehmen, oder weil das innere oder spirituelle Auge eines Menschen geöffnet wurde", schrieb der Naturforscher Emanuel Swedenborg und beeinflußte nicht nur Goethe und seinen "Faust". Schriftsteller haben sich über die Jahrhunderte hinweg immer wieder mit der Welt der Engel beschäftigt, sich Gedanken über die Reiche des Jenseits gemacht, wie John Milton in seinen großen Epen über das verlorene und das wiedergefundene Paradies, wie Dante Aligheri in der "Göttlichen Komödie" und schließlich Rafael Alberti in seinem Gedichtszyklus "Über die Engel". Gar keine himmlischen Eigenschaften werden da beschrieben, denn seine Engel sind illusionslos, grausam, rachsüchtig, dumm, neidisch, verlogen, raffgierig, nachtwandlerisch, häßlich und falsch.
Setzt man die Texte der Weltliteratur zu einem Puzzle zusammen, entsteht ein vielfältiges Bild, das verwirrt in seiner Widersprüchlichkeit. Wie kein anderes Wesen gibt der Engel Raum für Phantasie, Träume, Sehnsüchte, Wünsche und Projektionen. Er ist poetische Metapher, Metapher für Liebe, Geborgenheit, Gewissen, Frieden, Trost und Hoffnung. Je mehr wir über ihn erfahren, um so geheimnisvoller, rätselhafter wird er, um so unmöglicher scheint es, seinem Geheimnis näherzukommen. Doch gerade das macht ihn so faszinierend.
Isolde Ohlbaum
An der schwelle des XX. jahrhunderts schien es, die engel wären von uns für immer gegangen und alle spur nach ihnen sei verloren.
Sie wurden noch da und dort in den bestattungsinstituten beschäftigt. Zuweilen stützten sie auch die baldachine von gestern. Doch im grunde blichen sie in der untätigkeit dahin und verwandelten sich in rosafarbenen puder.
Die wirkliche renaissance der engel begann mit dem aufschwung der luftfahrt. Man könnte sagen, ohne zu übertreiben, sie seien zur erde zurückgekehrt und hätten die wangenröte des lebens wiedergewonnen. Sie helfen die hoch über den ozeanen hängende laufbrücke passieren. Aus den lautsprechern in den flughäfen sickern ihre hohen und irrealen stimmen mild, als wollten sie uns überzeugen, es gäbe noch eine rettung.
Sie sprechen in allen zungen, doch für die himmelfahrt und für die katastrophe haben sie nur ein einziges lächeln.
Zbigniew Herbert
Immerhin gibt es mindestens eine Bibelstelle, die suggeriert, daß Engel die ganze Schwere von Menschen annehmen können. Wenn Engel also, falls erforderlich, etwa 90 Kilo wiegen können, wie groß müßten ihre Flügel sein, um ein solches Gewicht vom Erdboden zu erheben oder ihnen wenigstens das Schweben zu ermöglichen?
Die größten Vögel, wie der weiße Pelikan oder der Riesenschwan, haben ein Gewicht von etwa 11 bis 14 Kilo. Sie brauchen eine Flügelspannweite von ungefähr vier Metern, um diese Last zu heben. Den Rekord für effizientes Heben hält die kanadische Gans, die pro Quadratdezimeter Flügelfläche zwei Kilo Gewicht trägt. Die meisten Vögel schaffen allerdings kaum mehr als 250 Gramm pro Quadratdezimeter Federtragfläche.
Wenn wir eine mittlere "Hubkraft" zugrundelegen, braucht ein großer Engel mit vollem irdischem Gewicht von etwa 90 Kilo eine Flügelspannweite von 12 bis 40 Metern. Das entspricht etwa der Größe eines modernen Drachenfliegers, obwohl dessen Flügel nur zum Gleiten und Schweben benutzt werden können. Es bedeutet, daß die zierlichen Renaissanceflügel nur mit Hilfe einer ziemlich großen Portion dichterischer Freiheit durch unsere Welt flattern.
Malcolm Godwin
Isolde Ohlbaum: Aus Licht und Schatten. Engelbilder, Knesebeck München 2000.
Die menschliche Kommunikation ist ein künstlicher Vorgang. Sie beruht auf Kunstgriffen, auf Erfindungen, auf Werkzeugen und Instrumenten, nämlich auf zu Codes geordneten Symbolen. (...) der Mensch (...) ist ein Idiot (ursprünglich: eine "Privatperson"), wenn er nicht gelernt hat, sich der Instrumente der Kommunikation (z.B. einer Sprache) zu bedienen. Idiotie, unvollkommenes Mensch-sein, ist Mangel an Kunst. (...) Der künstliche Charakter der menschlichen Kommunikation - die Tatsache, daß er sich mit anderen Menschen durch Kunstgriffe verständigt - ist dem Menschen nicht immer voll bewußt. Nach Erlernen eines Codes neigen wir dazu, seine Künstlichkeit zu vergessen: Hat man den Code der Gesten gelernt, denkt man nicht mehr daran, daß Kopfnicken nur für jene "Ja" bedeutet, welche sich dieses Codes bedienen. Die Codes (und die Symbole, aus denen sie bestehen) werden zu einer Art zweiter Natur, und die kodifizierte Welt, in der wir leben - die Welt der bedeutenden Phänomene wie Kopfnicken, Verkehrszeichen und Möbel - läßt uns die Welt der "ersten Natur" (die bedeutende Welt) vergessen. In letzter Analyse ist das der Zweck der uns umgebenden kodifizierten Welt: uns vergessen lassen, daß sie ein künstliches Gewebe ist, welches die an und für sich bedeutungslose, unbedeutende Natur unserem Bedürfnis gemäß mit Bedeutung erfüllt. Der Zweck der menschlichen Kommunikation ist, uns den bedeutungslosen Kontext vergessen zu lassen, in dem wir vollständig einsam und incommunicado sind, nämlich jene Welt, in der wir in Einzelhaft und zum Tode verurteilt sitzen: die Welt der "Natur".
Die menschliche Kommunikation ist ein Kunstgriff, dessen Absicht es ist, uns die brutale Sinnlosigkeit eines zum Tode verurteilten Lebens vergessen zu lassen. Von "Natur" aus ist der Mensch ein einsames Tier, denn er weiß, daß er sterben wird und daß in der Stunde des Todes keine wie immer geartete Gemeinschaft gilt: Jeder muß für sich allein sterben. Und potentiell ist jede Stunde die Stunde des Todes. Selbstredend kann man mit so einem Wissen um die grundlegende Einsamkeit und Sinnlosigkeit nicht leben. Die menschliche Kommunikation webt einen Schleier der kodifizierten Welt, einen Schleier aus Kunst und Wissenschaft, Philosophie und Religion um uns und webt ihn immer dichter, damit wir unsere eigene Einsamkeit und unseren Tod, und auch den Tod derer, die wir lieben, vergessen. Kurz, der Mensch kommuniziert mit anderen, ist ein "politisches Tier", nicht weil er ein geselliges Tier ist, sondern weil er ein einsames Tier ist, welches unfähig ist, in Einsamkeit zu leben.
Vilém Flusser: Kommunikologie, Fischer Frankfurt am Main 2003 (3. Auflage).
Die menschliche Kommunikation ist ein Kunstgriff, dessen Absicht es ist, uns die brutale Sinnlosigkeit eines zum Tode verurteilten Lebens vergessen zu lassen. Von "Natur" aus ist der Mensch ein einsames Tier, denn er weiß, daß er sterben wird und daß in der Stunde des Todes keine wie immer geartete Gemeinschaft gilt: Jeder muß für sich allein sterben. Und potentiell ist jede Stunde die Stunde des Todes. Selbstredend kann man mit so einem Wissen um die grundlegende Einsamkeit und Sinnlosigkeit nicht leben. Die menschliche Kommunikation webt einen Schleier der kodifizierten Welt, einen Schleier aus Kunst und Wissenschaft, Philosophie und Religion um uns und webt ihn immer dichter, damit wir unsere eigene Einsamkeit und unseren Tod, und auch den Tod derer, die wir lieben, vergessen. Kurz, der Mensch kommuniziert mit anderen, ist ein "politisches Tier", nicht weil er ein geselliges Tier ist, sondern weil er ein einsames Tier ist, welches unfähig ist, in Einsamkeit zu leben.
Vilém Flusser: Kommunikologie, Fischer Frankfurt am Main 2003 (3. Auflage).
autorin
Monika Radl ist in Sulzbach-Rosenberg (Oberpfalz, Bayern) geboren und aufgewachsen. Sie absolvierte ihre Ausbildung zur Diplomschauspielerin an der Hochschule für Musik und Theater Rostock und kam von dort direkt an die Uckermärkischen Bühnen Schwedt, wo sie 1999 als Ljudmila in der Inszenierung "Wassa Shelesnowa" von Kurt Veth debütierte. 2003 lernte sie in Schwedt Arnold Fritzsch kennen, mit dem sie die Band Monily und die Papierflieger gründete. 2005 erschien die erste CD - "Verbluten verboten". Monika Radl schreibt nicht nur ihre Songtexte selbst, sondern machte auch schon mit ihren Prosatexten auf sich aufmerksam. Mit "Kopf oder Herz", einer Auftragsarbeit der Uckermärkischen Bühnen Schwedt, debütiert die junge Autorin nun auch als Dramatikerin.
regisseur
Olaf Hilliger - Schauspieler, Theatermusiker und Regisseur - wurde in Berlin-Treptow geboren und studierte an der Hochschule für Schauspiel-kunst "Ernst Busch" in Rostock. Das erste Engagement führte ihn nach Schwedt, wo er im "Drachen" von Jewgeni Schwarz den Lancelot spielte und unter der Regie von Klaus Tews die Titelrolle in "Amadeus".
1990/91 warOlaf Hilliger beim Theater unterm Dach in Berlin engagiert; er ist einer der Mitbegründer der Berliner Bühne. Nach einem Festengagement am Theaterhaus Jena kam der Schauspieler zurück nach Schwedt, wo er erste eigene Inszenierungen verantwortete. Dem Engagement in Schwedt folgte ein Arbeitsaufenthalt in Portugal.
Zwischen 1989 und 1993 arbeitete der Schauspieler neben dem Theater auch für Film, Synchronisation und Hörspiel. Seit 1991 istOlaf Hilliger außerdem als Theatermusiker tätig, u.a. für das Theater am Kurfürsten-damm, das Hans-Otto-Theater Potsdam, das BAT und die Uckermärkischen Bühnen Schwedt.
Seit 1999 warOlaf Hilliger - als Schauspieler und Regisseur - wieder festes Mitglied des Schwedter En-sembles. In dieser Zeit sind u.a. die Inszenierungen "Es war die Nachtigall", "Trainspotting", "Leben bis Män-ner" und "Top Dogs" entstanden. Seit dem Sommer 2002 ist der Regisseur freiberuflich tätig; neben seiner Inszenierungs- und seiner musikalischen Arbeit engagiert sich Olaf Hilliger als Lehrbeauftragter an den Schau-spielschulen in Rostock, Berlin und Leipzig. In der Spielzeit 2002/03 schrieb Olaf Hilliger u.a. die Musik für die "Gespenster"-Inszenierung von Klaus Tews am Theater in Hof, für die der Regisseur bei den Bayerischen Theatertagen mit dem Hauptpreis geehrt wurde. Zuletzt inszenierte Olaf Hilliger am Theater Hof "Happy" von Doris Dörrie und "Reineke Fuchs" von Johann Wolfgang von Goethe.
musikalischer leiter
Frank Raschke studierte an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin Waldhorn, Klavier und Komposition. 15 Jahre lang tourte er mit der Jazz-Big-Band "Vielharmonie" durch Europa, deren Komponist und Leiter er war. Frank Raschke schrieb im Auftrag der Berliner Symphoniker, der Staatskapelle Berlin, des Theaters des Westens u.a. Kammermusiken, Chorwerke und Orchestermusiken. Von 1993 bis 2000 war er am Deutschen Theater Berlin tätig, u.a. in den Inszenierungen "Der Kyklop" von Euripides (Regie: Friedo Solter) und "Die Dreigroschenoper" von Bertolt Brecht (Regie: Alexander Lang). Zur Zeit arbeitet er u.a. als Lehrbeauftragter für Klavier und Chanson / Liedgestaltung an der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig und in Berlin.
ausstatter
Geboren und aufgewachsen in Thüringen, studierte Andreas Rank von 1977 bis 1982 an der Hochschule für Bildende Künste Dresden Bühnenbild und Kostüm. Anschließend war er als Bühnen- und Kostümbildner am Theater Cottbus engagiert. Zwischenzeitlich war Andreas Rank freischaffend als bil-dender Künstler tätig und beteiligte sich in dieser Eigenschaft 1982 und 1987 an der Quadriennale in Prag und 1986 an einer Ausstellung in Skandinavien. 1989 führte ihn ein Engagement für acht Jahre an die Städtischen Bühnen Osnabrück. Anschließend wurde er für vier Jahre Ausstattungsleiter am Lan-destheater Coburg. Seit Herbst 2001 ist Andreas Rank freiberuflich tätig; als Gast war er u.a. am Renaissance-Theater Berlin, am Theater am Neumarkt und dem Theater an der Winkelwiese Zürich, an den Theatern in Mainz, Re-gensburg, Celle, Kaiserslautern, Heilbronn, Nürnberg und Aalen beschäftigt. Seit 1998 nahm er außerdem Lehraufträge für Architektur / Innenarchitektur an der FH Coburg und für Kostüm an der Schweizerischen Fachschule für Mode und Gestaltung Zürich wahr. In den vergangenen fünfzehn Jahren stellte Andreas Rank in Zürich, Berlin, Kiel, Osnabrück u.a. außerdem freie und theaterbezogene bildkünstlerische Arbeiten aus.
Dem Schwedter Publikum hat sich Andreas Rank bereits mit Bühnenbildern und Kostümen der Inszenierun-gen "So ... geht's weiter", "Elling" und "Top Secret" vorgestellt.
regisseur
1990/91 war
Zwischen 1989 und 1993 arbeitete der Schauspieler neben dem Theater auch für Film, Synchronisation und Hörspiel. Seit 1991 ist
Seit 1999 war
musikalischer leiter
Frank Raschke studierte an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin Waldhorn, Klavier und Komposition. 15 Jahre lang tourte er mit der Jazz-Big-Band "Vielharmonie" durch Europa, deren Komponist und Leiter er war. Frank Raschke schrieb im Auftrag der Berliner Symphoniker, der Staatskapelle Berlin, des Theaters des Westens u.a. Kammermusiken, Chorwerke und Orchestermusiken. Von 1993 bis 2000 war er am Deutschen Theater Berlin tätig, u.a. in den Inszenierungen "Der Kyklop" von Euripides (Regie: Friedo Solter) und "Die Dreigroschenoper" von Bertolt Brecht (Regie: Alexander Lang). Zur Zeit arbeitet er u.a. als Lehrbeauftragter für Klavier und Chanson / Liedgestaltung an der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig und in Berlin.
ausstatter
Geboren und aufgewachsen in Thüringen, studierte Andreas Rank von 1977 bis 1982 an der Hochschule für Bildende Künste Dresden Bühnenbild und Kostüm. Anschließend war er als Bühnen- und Kostümbildner am Theater Cottbus engagiert. Zwischenzeitlich war Andreas Rank freischaffend als bil-dender Künstler tätig und beteiligte sich in dieser Eigenschaft 1982 und 1987 an der Quadriennale in Prag und 1986 an einer Ausstellung in Skandinavien. 1989 führte ihn ein Engagement für acht Jahre an die Städtischen Bühnen Osnabrück. Anschließend wurde er für vier Jahre Ausstattungsleiter am Lan-destheater Coburg. Seit Herbst 2001 ist Andreas Rank freiberuflich tätig; als Gast war er u.a. am Renaissance-Theater Berlin, am Theater am Neumarkt und dem Theater an der Winkelwiese Zürich, an den Theatern in Mainz, Re-gensburg, Celle, Kaiserslautern, Heilbronn, Nürnberg und Aalen beschäftigt. Seit 1998 nahm er außerdem Lehraufträge für Architektur / Innenarchitektur an der FH Coburg und für Kostüm an der Schweizerischen Fachschule für Mode und Gestaltung Zürich wahr. In den vergangenen fünfzehn Jahren stellte Andreas Rank in Zürich, Berlin, Kiel, Osnabrück u.a. außerdem freie und theaterbezogene bildkünstlerische Arbeiten aus.
Dem Schwedter Publikum hat sich Andreas Rank bereits mit Bühnenbildern und Kostümen der Inszenierun-gen "So ... geht's weiter", "Elling" und "Top Secret" vorgestellt.
Darsteller und Darstellerinnen | |
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Henriette Vogel | Nadine Panjas |
Heinrich von Kleist | Stephan von Soden |
Schutzengel | Peter-Benjamin Eichhorn |
Roland Möser | |
Inszenierungsteam | |
Regie | Olaf Hilliger |
Musikalischer Leiter / Musikalische Einstudierung | |
Ausstattung | |
Dramaturgie / Regieassistenz | Sandra Pagel |
Inspizienz | |
Soufflage |
Stand vom 12.10.2007