Vogel, Henriette Sophie Adolphine geborene Kaeber geboren 1780 seit 1799 mit dem Generalrendanten der kurmärkischen Landfeuersozietät und Landschaftsbuchhalter Friedrich Ludwig Vogel verheiratet, der Louis gerufen wird hinterlässt die neunjährige Tochter Pauline lernt Kleist im Frühjahr 1810 durch Adam Müller kennen es werden ihr sowohl mit Adam Müller als auch mit dem Prediger Franz Theremin, der im November 1810 Cäcilie Müller tauft, zu deren Paten Kleist und das Ehepaar Vogel gehören, Liebesaffären nachgesagt Ludwig Vogel heiratet bereits im Mai 1812 ein zweites Mal; die Beziehung zu seiner ersten Frau soll bei deren Tod schon merklich abgekühlt gewesen sein
Ernst Friedrich Peguilhens Aufzeichnung über Kleists Verhältnis
zu Henriette Vogel, 1812
... Madame Vogel war von der Natur bestimmt, die Zierde ihres Geschlechts zu sein, sowohl in Ansehung des Geistes als des Körpers. Daß diesem die Fülle der Gesundheit fehlte und ihr geistreiches Gesicht von den Blattern etwas gelitten hatte, war eine schonende Fürsorge der Vorsehung für unser Geschlecht. Denn sonst hätte es nur von ihr abgehangen, trotz jener Angelika des Bojardo und Ariost, die männliche Jugend zum Kampfe um ihren Besitz zu bewaffnen, und ihrem Vaterlande, das sie so innig liebte, verderblich zu werden. Sie war ein wunderbares, genialisches Wesen, bei der man das Fremdartigste in einem seltenen Verein fand. Ihr Geist durch Shakespeare und Goethe, durch Homer und Cervantes genährt, durch talentvolle Freunde gepflegt, die sie alle überragte, konnte sich auch zu dem Gemeinsten herablassen, und zwar ohne Affektion, welche ihr ganz fremd war. Dieselbe Frau, welche abends durch meisterhaften Vortrag der schwierigsten Kompositionen, durch Spiel und Gesang ihre Freunde entzückte, fand der kommende Morgen mit Ausbessern und Sortieren der Wäsche beschäftiget ...
Ihre Wißbegierde kannte keine Grenzen, und nichts verschmähte sie, was ihre Kenntnis bereichern konnte, die gemeinsten Fertigkeiten waren ihr nicht unbedeutend ... So z. B. bat sie mich öfters, ihr Unterricht im Drechseln zu geben, selbst Fechten wünschte sie zu lernen, und Kleist unterrichtete sie wirklich in den Elementen der Taktik und Kriegskunst. ...
Selbst ganz eigentümlich organisiert, hatte sie ein seltenes Talent, die Eigentümlichkeiten anderer aufzufassen und bemerkbar zu machen, aber nicht etwa Lächerlichkeiten und besondere Angewohnheiten, sondern charakteristische Züge, die den Menschen zu dem machen, was er ist - hervorstechende Individualität, und zwar immer von einer guten Seite. Ihr Scharfblick entdeckte an dem unbedeutendsten Menschen eine interessante Seite, deren Berührung schmeichelhaft sein mußte. ...
Bei dem reinsten Tugendgefühl war sie keine Prüde und wurde nicht durch ein unbedachtes Wort in einer fröhlichen Gesellschaft beleidigt. Sie las die Liaisons dangereuses als ein meisterhaftes Gemälde der Sittenverderbnis der großen Welt mit gleichem Interesse, als das zarte Gemälde der Seele in Werthers Leiden. ...
Sie hat zwar nie für den Druck geschrieben, und ein eigentlich literarischer Nachlaß war nicht vorhanden, aber doch mehrere kleine höchst interessante Aufsätze, welche die Fülle und Eigentümlichkeit ihres Geistes näher dargelegt haben würden, die sie aber aus einem Übermaße an Bescheidenheit kurz vor ihrem Tode vernichtet hat. Jedoch schon jene Fragmente deuten auf echte Originalität und zeigen hinreichend, daß diese Skizze zwar von Freundes Hand angelegt, aber nicht verschönert ist. ...
Sie litt an einem unheilbaren Übel. Schon manches Jahr hatte sie ihren Zustand schmerzlich empfunden, und ein Zustand völliger Behaglichkeit, wie in den letzten Monaten ihres Lebens, war eine seltene Ausnahme. Noch manche Jahre des Leidens standen ihr bevor und der allerfurchtbarste Tod. Der Arzt, der ihren Zustand nach ihrem Tode untersuchte, drückte sich darüber so aus: daß er sich lieber zehnmal lebendig rädern lassen, als den ihr, wenn auch vielleicht erst nach Jahren bevorstehenden qualvollen Tod sterben möchte. Daher sah sie schon seit langem einem schnellen und schmerzlichen Tode als dem Ziele ihrer Leiden mit Sehnsucht entgegen. Sie strebte überall nach dem Höchsten; und ein gesunder Körper ist doch gewiß die erste Bedingung aller irdischen Glückseligkeit; und diese war für sie auf immer unwiderbringlich verloren. Das ganze Streben ihres für Liebe und Freundschaft so empfänglichen Gemüts ging nun dahin, mit einem lieben Freunde vereint die Welt zu verlassen. Sie erlaubte sich öfters Anspielungen auf diesen Wunsch sowohl gegen ihren Gatten als gegen andere Freunde, die freilich erst jetzt Bedeutsamkeit erhalten, brach aber das Gespräch kurz und traurig ab, sobald sie die wenige Empfänglichkeit ihrer Gesellschaft bemerkte.
Durch die zu weit getriebene Offenheit eines geachteten Arztes wurde sie von ihrem Zustande, den sie vorher nur ahnte, völlig unterrichtet. Von dieser Stunde an datiert sich wahrscheinlich der feste Entschluß, eine Welt zu verlassen, von deren Freuden ein herbes Geschick sie ausschloß. Ihr längst genährter Vorsatz wurde lebendiger, und Kleist, dem ihr leisester Wunsch Befehl war, der nur in ihr lebte, an ihren Blicken hing und sich ihr ganz willenlos hingegeben hatte, billigte nicht nur diesen seiner eigenen, alles durch einen schwarzen Flor sehenden Gemütsstimmung zusagenden Wunsch, sondern regte ihn noch mehr an und gab sich ohne Bedenken zu der schrecklichen Tat her ...
Klaus Günzel: Kleist. Ein Lebensbild in Briefen und zeitgenössischen Berichten,
Verlag der Nation Berlin 1984, S. 390-393.
Die Autopsie der Leiche Henriette Vogels zeigte ein schweres körperliches Leiden: ein Gebärmutterkarzinom oder -myom. Dr. Sternemann, Kreisphysikus und Hofmedikus, der die Leichenschau durchführte, notierte in seinem Bericht:
"Den Uterum fanden wir in seiner ganzen Substanz so widernatürlich verhärtet, daß der Cancer Occultus sehr evident sich darbot. Diese Verhärtung hatte fast eine knorpelartige Substanz, welche nur durch den stärksten Druck eines scharfen Scalpells zerschnitten werden konnte. Ex Fundo Uteri floß eine eiterartige Feuchtigkeit heraus. Die Tubae fallopianae, die Ovarie, die Urinblase und die Nieren befanden sich in Normalzustand."
Die Beschreibung der steinharten Gebärmutter läßt an ein verkalktes Myom denken, aber nur selten kommen derartige Myome bei so jungen Frauen vor. (...)
Die Tatsache, daß Henriette Vogel auf eigenes rationales Verlangen hin durch Tötung starb, schließt nicht aus, daß sich ihr Geltungsbedürfnis nicht in der von ihr gewählten Todesart gemeldet hätte. Sie hielt es zweifelsohne für ein ruhmvolles Ende, durch die Hand eines Heinrich von Kleist zu sterben. Auf diese Haltung weisen zahlreiche Stellen in ihren letzten Briefen hin: "Wir beiden, nämlich der bekannte Kleist und ich, befinden uns hier in einem sehr unbeholfenen Zustande, indem wir erschossen daliegen", schreibt sie an E. F. Peguilhen. Dem Brief von Kleist an Sophie Haza-Müller fügt sie unter anderem hinzu: "Lebt wohl denn Ihr, meine lieben Freunde, und erinnert Euch in Freud und Leid der zwei wunderlichen Menschen, die bald ihre große Entdeckungsreise antreten werden." Die Befriedigung ihres Geltungsbedürfnisses ist ohne Zweifel eine Triebfeder gewesen, die bei Henriette Vogels freiwilligem Tod eine, wenn auch vielleicht untergeordnete Rolle gespielt hat. Wenn auch nicht auf den Entschluß zur passiven Selbstvernichtung, so hat dieser Wunsch doch auf die Art eingewirkt, in der Henriette das Leben verlassen wollte. Heinrich von Kleist war für sie sehr wichtig, da er nicht nur bereit war, ihr zum Tode zu verhelfen, sondern ihr zugleich ein ruhmvolles Ende verschaffen konnte. Aus diesem zweifachen Grunde drängte Henriette Vogel Kleist so sehr, sie zu töten. Aus diesen beiden Gründen brachte sie es so weit, daß Heinrich von Kleist am 9. 11. 1811 an Marie von Kleist schrieb: "Nur so viel wisse, daß meine Seele durch die Berührung mit der ihrigen zum Tode ganz reif geworden ist."
Paul Ghysbrecht: Der Doppelselbstmord, übersetzt von W. Friedrich und G. Friedrich-Cain, Ernst Reinhardt Verlag München / Basel 1967.
Ernst Friedrich Peguilhens Aufzeichnung über Kleists Verhältnis
zu Henriette Vogel, 1812
... Madame Vogel war von der Natur bestimmt, die Zierde ihres Geschlechts zu sein, sowohl in Ansehung des Geistes als des Körpers. Daß diesem die Fülle der Gesundheit fehlte und ihr geistreiches Gesicht von den Blattern etwas gelitten hatte, war eine schonende Fürsorge der Vorsehung für unser Geschlecht. Denn sonst hätte es nur von ihr abgehangen, trotz jener Angelika des Bojardo und Ariost, die männliche Jugend zum Kampfe um ihren Besitz zu bewaffnen, und ihrem Vaterlande, das sie so innig liebte, verderblich zu werden. Sie war ein wunderbares, genialisches Wesen, bei der man das Fremdartigste in einem seltenen Verein fand. Ihr Geist durch Shakespeare und Goethe, durch Homer und Cervantes genährt, durch talentvolle Freunde gepflegt, die sie alle überragte, konnte sich auch zu dem Gemeinsten herablassen, und zwar ohne Affektion, welche ihr ganz fremd war. Dieselbe Frau, welche abends durch meisterhaften Vortrag der schwierigsten Kompositionen, durch Spiel und Gesang ihre Freunde entzückte, fand der kommende Morgen mit Ausbessern und Sortieren der Wäsche beschäftiget ...
Ihre Wißbegierde kannte keine Grenzen, und nichts verschmähte sie, was ihre Kenntnis bereichern konnte, die gemeinsten Fertigkeiten waren ihr nicht unbedeutend ... So z. B. bat sie mich öfters, ihr Unterricht im Drechseln zu geben, selbst Fechten wünschte sie zu lernen, und Kleist unterrichtete sie wirklich in den Elementen der Taktik und Kriegskunst. ...
Selbst ganz eigentümlich organisiert, hatte sie ein seltenes Talent, die Eigentümlichkeiten anderer aufzufassen und bemerkbar zu machen, aber nicht etwa Lächerlichkeiten und besondere Angewohnheiten, sondern charakteristische Züge, die den Menschen zu dem machen, was er ist - hervorstechende Individualität, und zwar immer von einer guten Seite. Ihr Scharfblick entdeckte an dem unbedeutendsten Menschen eine interessante Seite, deren Berührung schmeichelhaft sein mußte. ...
Bei dem reinsten Tugendgefühl war sie keine Prüde und wurde nicht durch ein unbedachtes Wort in einer fröhlichen Gesellschaft beleidigt. Sie las die Liaisons dangereuses als ein meisterhaftes Gemälde der Sittenverderbnis der großen Welt mit gleichem Interesse, als das zarte Gemälde der Seele in Werthers Leiden. ...
Sie hat zwar nie für den Druck geschrieben, und ein eigentlich literarischer Nachlaß war nicht vorhanden, aber doch mehrere kleine höchst interessante Aufsätze, welche die Fülle und Eigentümlichkeit ihres Geistes näher dargelegt haben würden, die sie aber aus einem Übermaße an Bescheidenheit kurz vor ihrem Tode vernichtet hat. Jedoch schon jene Fragmente deuten auf echte Originalität und zeigen hinreichend, daß diese Skizze zwar von Freundes Hand angelegt, aber nicht verschönert ist. ...
Sie litt an einem unheilbaren Übel. Schon manches Jahr hatte sie ihren Zustand schmerzlich empfunden, und ein Zustand völliger Behaglichkeit, wie in den letzten Monaten ihres Lebens, war eine seltene Ausnahme. Noch manche Jahre des Leidens standen ihr bevor und der allerfurchtbarste Tod. Der Arzt, der ihren Zustand nach ihrem Tode untersuchte, drückte sich darüber so aus: daß er sich lieber zehnmal lebendig rädern lassen, als den ihr, wenn auch vielleicht erst nach Jahren bevorstehenden qualvollen Tod sterben möchte. Daher sah sie schon seit langem einem schnellen und schmerzlichen Tode als dem Ziele ihrer Leiden mit Sehnsucht entgegen. Sie strebte überall nach dem Höchsten; und ein gesunder Körper ist doch gewiß die erste Bedingung aller irdischen Glückseligkeit; und diese war für sie auf immer unwiderbringlich verloren. Das ganze Streben ihres für Liebe und Freundschaft so empfänglichen Gemüts ging nun dahin, mit einem lieben Freunde vereint die Welt zu verlassen. Sie erlaubte sich öfters Anspielungen auf diesen Wunsch sowohl gegen ihren Gatten als gegen andere Freunde, die freilich erst jetzt Bedeutsamkeit erhalten, brach aber das Gespräch kurz und traurig ab, sobald sie die wenige Empfänglichkeit ihrer Gesellschaft bemerkte.
Durch die zu weit getriebene Offenheit eines geachteten Arztes wurde sie von ihrem Zustande, den sie vorher nur ahnte, völlig unterrichtet. Von dieser Stunde an datiert sich wahrscheinlich der feste Entschluß, eine Welt zu verlassen, von deren Freuden ein herbes Geschick sie ausschloß. Ihr längst genährter Vorsatz wurde lebendiger, und Kleist, dem ihr leisester Wunsch Befehl war, der nur in ihr lebte, an ihren Blicken hing und sich ihr ganz willenlos hingegeben hatte, billigte nicht nur diesen seiner eigenen, alles durch einen schwarzen Flor sehenden Gemütsstimmung zusagenden Wunsch, sondern regte ihn noch mehr an und gab sich ohne Bedenken zu der schrecklichen Tat her ...
Klaus Günzel: Kleist. Ein Lebensbild in Briefen und zeitgenössischen Berichten,
Verlag der Nation Berlin 1984, S. 390-393.
Die Autopsie der Leiche Henriette Vogels zeigte ein schweres körperliches Leiden: ein Gebärmutterkarzinom oder -myom. Dr. Sternemann, Kreisphysikus und Hofmedikus, der die Leichenschau durchführte, notierte in seinem Bericht:
"Den Uterum fanden wir in seiner ganzen Substanz so widernatürlich verhärtet, daß der Cancer Occultus sehr evident sich darbot. Diese Verhärtung hatte fast eine knorpelartige Substanz, welche nur durch den stärksten Druck eines scharfen Scalpells zerschnitten werden konnte. Ex Fundo Uteri floß eine eiterartige Feuchtigkeit heraus. Die Tubae fallopianae, die Ovarie, die Urinblase und die Nieren befanden sich in Normalzustand."
Die Beschreibung der steinharten Gebärmutter läßt an ein verkalktes Myom denken, aber nur selten kommen derartige Myome bei so jungen Frauen vor. (...)
Die Tatsache, daß Henriette Vogel auf eigenes rationales Verlangen hin durch Tötung starb, schließt nicht aus, daß sich ihr Geltungsbedürfnis nicht in der von ihr gewählten Todesart gemeldet hätte. Sie hielt es zweifelsohne für ein ruhmvolles Ende, durch die Hand e
Paul Ghysbrecht: Der Doppelselbstmord, übersetzt von W. Friedrich und G. Friedrich-Cain, Ernst Reinhardt Verlag München / Basel 1967.