Schauspiel
The Story of Bonnie and Clyde
Ein Roadmovie in Schwarzweißbildern, handkoloriert, UraufführungDas hier ist Miss Bonnie Parker. Ich bin Clyde Barrow. Wir rauben Banken aus.
Wir wussten, dass wir uns etwas vormachten.
Wir wussten, dass wir aus diesem Schlamassel nicht heil herauskommen würden.
Aber wir würden einen Teufel tun und das zugeben!
Wir würden draufgehen. Das war mal sicher. Die Frage war nur:
Wann?
Bonnie Parker und Clyde Barrow machen in den Jahren der Weltwirtschaftskrise die Vereinigten Staaten unsicher: Gemeinsam mit Clydes älterem Bruder Buck und dessen Frau Blanche überfällt das Pärchen Lebensmittelgeschäfte und Tankstellen, raubt Banken und Waffenlager aus, nimmt Geiseln und erschießt mehrere Menschen.
Vier junge Leute ohne Zukunft suchen auf ihrem Weg durch ein verunsichertes Land nach ihrem Platz im Leben. Sie entscheiden sich gegen das Leben der kleinen Leute, die sie ihr Leben lang haben erfolglos schuften sehen, und für einen drastischen, wenn auch kurzen Weg.
RegisseurOlaf Hilliger erzählt vor dem Hintergrund historischer Ereignisse eine Geschichte über junge Leute von heute.
Regie:Olaf Hilliger
Ausstattung: Andreas Rank
Premiere: 30. April 2009
Abgespielt.
Wir wussten, dass wir uns etwas vormachten.
Wir wussten, dass wir aus diesem Schlamassel nicht heil herauskommen würden.
Aber wir würden einen Teufel tun und das zugeben!
Wir würden draufgehen. Das war mal sicher. Die Frage war nur:
Wann?
Bonnie Parker und Clyde Barrow machen in den Jahren der Weltwirtschaftskrise die Vereinigten Staaten unsicher: Gemeinsam mit Clydes älterem Bruder Buck und dessen Frau Blanche überfällt das Pärchen Lebensmittelgeschäfte und Tankstellen, raubt Banken und Waffenlager aus, nimmt Geiseln und erschießt mehrere Menschen.
Vier junge Leute ohne Zukunft suchen auf ihrem Weg durch ein verunsichertes Land nach ihrem Platz im Leben. Sie entscheiden sich gegen das Leben der kleinen Leute, die sie ihr Leben lang haben erfolglos schuften sehen, und für einen drastischen, wenn auch kurzen Weg.
Regisseur
Regie:
Ausstattung: Andreas Rank
Premiere: 30. April 2009
Abgespielt.
In einer deregulierten Welt
in einer globalisierten Gesellschaft
in einer beschleunigten Zeit
in einer medial determinierten Weltanschauung
fehlt dem Einzelnen die Orientierung
während ihm gleichzeitig vom Mainstream diktiert wird
wie man zu leben hat
wie man zu funktionieren hat
dass man zu funktionieren hat
Solidarität gilt als diskreditiert
Reichtum Macht Erfolg
bestimmen die Richtung
und die Regeln
in denen
nach denen das Leben funktioniert
immer schneller
immer weiter
immer besser
bevor es kollabiert
Sand im Getriebe
wird zermahlen
wenn er sich nicht einreden lässt
dass er etwas ändern kann
am System
produziert Ohnmacht Gewalt
arbeiten wir darauf hin
uns selbst zu zerstören
in einer globalisierten Gesellschaft
in einer beschleunigten Zeit
in einer medial determinierten Weltanschauung
fehlt dem Einzelnen die Orientierung
während ihm gleichzeitig vom Mainstream diktiert wird
wie man zu leben hat
wie man zu funktionieren hat
dass man zu funktionieren hat
Solidarität gilt als diskreditiert
Reichtum Macht Erfolg
bestimmen die Richtung
und die Regeln
in denen
nach denen das Leben funktioniert
immer schneller
immer weiter
immer besser
bevor es kollabiert
Sand im Getriebe
wird zermahlen
wenn er sich nicht einreden lässt
dass er etwas ändern kann
am System
produziert Ohnmacht Gewalt
arbeiten wir darauf hin
uns selbst zu zerstören
Die Erde war in Gottes Augen verdorben, sie war voller Gewalttat. Gott sah sich die Erde an: Sie war verdorben; denn alle Wesen aus Fleisch auf der Erde lebten verdorben. Da sprach Gott zu Noah: Ich sehe, das Ende aller Wesen aus Fleisch ist da; denn durch sie ist die Erde voller Gewalttat. Nun will ich sie zugleich mit der Erde verderben.
Genesis 6, 11-13
Let's make money
(...) die Weltwirtschaft (wäre) nach dem Ersten Weltkrieg dringend auf ein gemeinsames Währungssystem angewiesen gewesen. Denn sie entwickelte sich in Europa und den USA ungeheuer dynamisch: Die Einführung neuer Produktionsmethoden wie etwa der Fließbandarbeit des Autoherstellers Ford steigerte die Produktivität. Neue Erfindungen oder Entwicklungen begeisterten die Menschen: Radio, Kleinbildkamera, Reißverschluss, hitzebeständiges Glas, Haartrockner. Besonders in den USA glaubte man nach dem Ersten Weltkrieg an den Frieden - soeben war der Völkerbund gegründet worden - und an einen ewig währenden Aufschwung. Alle wollten daran verdienen. In Amerika kam es zu einem "Run" auf die Börsen, jedermann spekulierte, viele auf Kredit: Man konnte den Kredit morgen ja leicht mit den Kursgewinnen tilgen und die Aktien für sich behalten. So wurde kalkuliert, und so stark stiegen aufgrund des allgemeinen Ansturms die Kurse. Niemand rechnete mit einem Einbruch: Der damals bekannte Wirtschaftswissenschaftler Irving Fisher verkündete, es sehe so aus, als ob die Börsen ein "dauerhaftes Hochplateau" erreicht hätten. Nur sechs Tage nach diesem Ausspruch, am 24. Oktober 1929, brach die amerikanische Börse ein.
Vielen Spekulanten, die auf Kredit gekauft hatten, wurde der Boden unter den Füßen weggezogen: Ihre Aktien, Grundlage für die Kredite, waren plötzlich nicht mehr viel wert. Nun wollten die Banken Bargeld sehen. Wer sollte das beschaffen? Am wenigsten waren dazu die Spekulanten in der Lage, die auf Pump gekauft hatten. Panik griff um sich. Der Markt brach vollständig ein, jetzt, da jeder retten wollte, was zu retten war. Dadurch, dass Aktien massenhaft abgestoßen wurden, stürzten die Kurse ins Bodenlose. Auch Fisher verlor sein Vermögen.
Die Katastrophe an den Finanzmärkten wirkte sich unmittelbar auf die reale Wirtschaft aus, und zwar weltweit: Die Industrieproduktion sank in allen Ländern dramatisch, und die Zahl der Arbeitslosen in den USA stieg von 1,5 Millionen im Jahr 1929 auf beinahe 13 Millionen 1933, ein Viertel der damaligen Beschäftigten. Besonders hart traf es Farmer in den Vereinigten Staaten: Die Erzeugerpreise halbierten sich von 1929 bis 1933. Zehntausende Farmer verloren ihr Land, und weil sie ihre Hypotheken nicht mehr bedienen konnten, flüchteten viele von ihnen gen Westen, in der vagen Hoffnung auf einen neuen Broterwerb in der Industrie. Auch Deutschland geriet in den Sog der amerikanischen Krise. Da Deutschland nach dem Krieg hohe Reparationszahlungen an das Ausland leisten musste, gab es wenig Kapital, um es in die eigene Wirtschaft zu investieren. Den ungeheuren Kapitalbedarf in den Zwanzigerjahren hatten amerikanische Investoren durch Kredite gedeckt. Nun befanden diese amerikanischen Anleger sich selbst in Geldnot und forderten zurück, was sie den deutschen Unternehmen bereitwillig für den Aufbau gewährt hatten. Viele Unternehmen überforderte die rasche Rückzahlung, vor allem Banken gerieten in den Strudel der Ereignisse. Die ohnehin labile Wirtschaft Deutschlands brach zusammen. Die Arbeitslosigkeit stieg innerhalb von vier Jahren von 1,4 Millionen auf 5,6 Millionen im Jahr 1932. Die Verelendung infolge der Weltwirtschaftskrise trieb die Massen den extremen Parteien rechts und links in die Arme und begünstigte so den Aufstieg Adolf Hitlers.
In diesen Jahren schrumpfte der Welthandel empfindlich. Dass die Krise mehrere Jahre anhielt, lag unter anderem an einer fehlerhaften währungspolitischen Reaktion der Staaten auf diese Entwicklung. Indem sie die eigene Währung gegenüber anderen abwerteten, sollten die Exportgüter gegenüber dem Ausland billiger, also wettbewerbsfähiger werden - und in gleicher Weise die Importgüter teurer. Die einheimische Produktion würde also auf doppelte Weise begünstigt. Doch das stellte sich als Trugschluss heraus. Da nach dieser simplen Vermutung nicht nur einer, sondern mehrere Staaten der eigenen Exportwirtschaft einen Vorteil zu verschaffen suchten, war die Folge lediglich ein Abwertungswettbewerb der Staaten, der den Welthandel noch mehr strangulierte.
Caspar Dohmen: Let's make money. Was macht die Geld mit unserem Geld?, orange press Freiburg 2008, S. 48ff.
Weiterführender Link: http://www.letsmakemoney.at/
Genesis 6, 11-13
Let's make money
(...) die Weltwirtschaft (wäre) nach dem Ersten Weltkrieg dringend auf ein gemeinsames Währungssystem angewiesen gewesen. Denn sie entwickelte sich in Europa und den USA ungeheuer dynamisch: Die Einführung neuer Produktionsmethoden wie etwa der Fließbandarbeit des Autoherstellers Ford steigerte die Produktivität. Neue Erfindungen oder Entwicklungen begeisterten die Menschen: Radio, Kleinbildkamera, Reißverschluss, hitzebeständiges Glas, Haartrockner. Besonders in den USA glaubte man nach dem Ersten Weltkrieg an den Frieden - soeben war der Völkerbund gegründet worden - und an einen ewig währenden Aufschwung. Alle wollten daran verdienen. In Amerika kam es zu einem "Run" auf die Börsen, jedermann spekulierte, viele auf Kredit: Man konnte den Kredit morgen ja leicht mit den Kursgewinnen tilgen und die Aktien für sich behalten. So wurde kalkuliert, und so stark stiegen aufgrund des allgemeinen Ansturms die Kurse. Niemand rechnete mit einem Einbruch: Der damals bekannte Wirtschaftswissenschaftler Irving Fisher verkündete, es sehe so aus, als ob die Börsen ein "dauerhaftes Hochplateau" erreicht hätten. Nur sechs Tage nach diesem Ausspruch, am 24. Oktober 1929, brach die amerikanische Börse ein.
Vielen Spekulanten, die auf Kredit gekauft hatten, wurde der Boden unter den Füßen weggezogen: Ihre Aktien, Grundlage für die Kredite, waren plötzlich nicht mehr viel wert. Nun wollten die Banken Bargeld sehen. Wer sollte das beschaffen? Am wenigsten waren dazu die Spekulanten in der Lage, die auf Pump gekauft hatten. Panik griff um sich. Der Markt brach vollständig ein, jetzt, da jeder retten wollte, was zu retten war. Dadurch, dass Aktien massenhaft abgestoßen wurden, stürzten die Kurse ins Bodenlose. Auch Fisher verlor sein Vermögen.
Die Katastrophe an den Finanzmärkten wirkte sich unmittelbar auf die reale Wirtschaft aus, und zwar weltweit: Die Industrieproduktion sank in allen Ländern dramatisch, und die Zahl der Arbeitslosen in den USA stieg von 1,5 Millionen im Jahr 1929 auf beinahe 13 Millionen 1933, ein Viertel der damaligen Beschäftigten. Besonders hart traf es Farmer in den Vereinigten Staaten: Die Erzeugerpreise halbierten sich von 1929 bis 1933. Zehntausende Farmer verloren ihr Land, und weil sie ihre Hypotheken nicht mehr bedienen konnten, flüchteten viele von ihnen gen Westen, in der vagen Hoffnung auf einen neuen Broterwerb in der Industrie. Auch Deutschland geriet in den Sog der amerikanischen Krise. Da Deutschland nach dem Krieg hohe Reparationszahlungen an das Ausland leisten musste, gab es wenig Kapital, um es in die eigene Wirtschaft zu investieren. Den ungeheuren Kapitalbedarf in den Zwanzigerjahren hatten amerikanische Investoren durch Kredite gedeckt. Nun befanden diese amerikanischen Anleger sich selbst in Geldnot und forderten zurück, was sie den deutschen Unternehmen bereitwillig für den Aufbau gewährt hatten. Viele Unternehmen überforderte die rasche Rückzahlung, vor allem Banken gerieten in den Strudel der Ereignisse. Die ohnehin labile Wirtschaft Deutschlands brach zusammen. Die Arbeitslosigkeit stieg innerhalb von vier Jahren von 1,4 Millionen auf 5,6 Millionen im Jahr 1932. Die Verelendung infolge der Weltwirtschaftskrise trieb die Massen den extremen Parteien rechts und links in die Arme und begünstigte so den Aufstieg Adolf Hitlers.
In diesen Jahren schrumpfte der Welthandel empfindlich. Dass die Krise mehrere Jahre anhielt, lag unter anderem an einer fehlerhaften währungspolitischen Reaktion der Staaten auf diese Entwicklung. Indem sie die eigene Währung gegenüber anderen abwerteten, sollten die Exportgüter gegenüber dem Ausland billiger, also wettbewerbsfähiger werden - und in gleicher Weise die Importgüter teurer. Die einheimische Produktion würde also auf doppelte Weise begünstigt. Doch das stellte sich als Trugschluss heraus. Da nach dieser simplen Vermutung nicht nur einer, sondern mehrere Staaten der eigenen Exportwirtschaft einen Vorteil zu verschaffen suchten, war die Folge lediglich ein Abwertungswettbewerb der Staaten, der den Welthandel noch mehr strangulierte.
Caspar Dohmen: Let's make money. Was macht die Geld mit unserem Geld?, orange press Freiburg 2008, S. 48ff.
Weiterführender Link: http://www.letsmakemoney.at/
Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft,
denn in ihr gedenke ich zu leben.
Albert Einstein
Blank is beautiful
Drei Jahrzehnte des weltweiten Plattmachens und Wiederaufbauens
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich an jenem Tag die Nachricht, dass Richard Baker, ein prominenter Republikaner und Kongressabgeordneter aus New Orleans, zu Lobbyisten gesagt hatte: "Endlich ist New Orleans von den Sozialwohnungen gesäubert. Wir konnten das nicht tun, aber Gott hat es getan." Joseph Canizaro, einer der reichsten Bauunternehmer der Stadt, hatte gerade eine ähnliche Ansicht geäußert: "Ich denke, wir haben jetzt einen schönen reinen Tisch zum Neuanfang. Und auf diesem Tisch erwarten uns ein paar sehr große Gelegenheiten." Die ganze Woche über hatten sich im Parlamentsgebäude des Staates Louisiana in Baton Rouge die Unternehmenslobbyisten die Klinke in die Hand gegeben, um diese großen Gelegenheiten abzusichern: niedrigere Steuern, weniger Vorschriften, billigere Arbeitskräfte und eine "kleinere, sicherere Stadt" - was in der Praxis bedeutete, die Sozialwohnungsprojekte aufzugeben und stattdessen Appartementhäuser und Eigentumswohnungen zu bauen. Wenn man all das Gerede von "Neuanfang" und "reinem Tisch" hörte, konnte man fast das giftige Gebräu von Trümmern, ausgelaufenen Chemikalien und menschlichen Überresten ein paar Kilometer weiter südlich vergessen.
Ein Netzwerk rechtslastiger Denkfabriken (...) fegte nach dem Sturm über die Stadt. Die Regierung von George W. Bush unterstützte mit zig Millionen Dollar deren Pläne, die Schulen von New Orleans in "Charter Schools" umzuwandeln, bei denen es sich um eigentlich öffentliche Schulen handelt, die von privaten Betreibern nach deren eigenen Regeln geleitet werden. Charter Schools spalten die Bevölkerung der Vereinigten Staaten zutiefst, vor allem aber in New Orleans, wo viele afroamerikanische Eltern sie als Mittel betrachten, die Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung rückgängig zu machen, die allen Kindern denselben Bildungsstandard garantierten. Milton Friedman hingegen glaubte, der Staat hätte im Schulwesen nichts verloren. Seiner Ansicht nach beschränken sich die Funktionen des Staates darauf, "unsere Freiheit zu schützen, insoweit sie von außerhalb bedroht ist und insoweit sie unsere Mitbürger verletzen könnten: also für Gesetz und Ordnung zu sorgen, die Einhaltung privater Verträge zu überwachen, für Wettbewerb auf den Märkten zu sorgen". Anders formuliert: Polizei und Streitkräfte zu unterhalten - alles andere, auch kostenlose Bildung, wäre eine nicht gerechtfertigte Einmischung in den Markt.
Im scharfen Gegensatz zu dem Gletschertempo, mit dem die Dämme repariert und das Stromnetz wieder in Gang gebracht wurden, wurde das Schulsystem von New Orleans mit militärischer Eile und Präzision verauktioniert. Binnen 19 Monaten - während die Armen der Stadt noch größtenteils evakuiert waren - wurde das öffentliche Schulsystem nahezu vollständig durch privat betriebene Charter Schools ersetzt. Vor dem Hurrikan Katrina verwaltete die Schulbehörde 123 öffentliche Schulen, jetzt waren es nur noch vier. Vor dem Sturm hatte es sieben Charter Schools in der Stadt gegeben, jetzt waren es 31. Einst wurden die Lehrer von New Orleans von einer starken Gewerkschaft vertreten, jetzt kam der Tarifvertrag in den Reißwolf, und alle 4700 Mitglieder wurden gefeuert. Einige jüngere Lehrer wurden - bei reduziertem Gehalt - von den Charter Schools wieder eingestellt, die meisten aber nicht.
(...), während das American Enterprise Institute, eine Friedman'sche Denkfabrik, sich begeisterte: "Katrina vollbrachte in einem Tag ... was den Schulreformern von Louisiana in jahrelangen Versuchen nicht gelungen war." Die Lehrer öffentlicher Schulen mussten währenddessen zusehen, wie für die Flutopfer gesammeltes Geld abgezweigt wurde, um ein öffentliches System auszuradieren und es durch ein privates zu ersetzen; Friedmans Plan bezeichneten sie als "pädagogische Enteignung".
Solche konzertierten Überfälle auf die öffentliche Sphäre nach verheerenden Ereignissen und die Haltung, Desaster als entzückende Marktchancen zu begreifen, nenne ich "Katastrophen-Kapitalismus".
Mehr als drei Jahrzehnte lang hatten Friedman und seine mächtigen Anhänger genau diese Strategie perfektioniert: Auf eine große Krise oder einen Schock warten, dann den Staat an private Interessenten verfüttern, solange die Bürger sich noch vom Schock erholen, und schließlich diesen "Reformen" rasch Dauerhaftigkeit verleihen.
In einem seiner einflussreichsten Texte stellte Friedman das auf, was ich mittlerweile als das strategische Kerndogma seiner Bewegung bezeichne: die Schockdoktrin. Er stellte fest: "Nur eine Krise - eine tatsächliche oder empfundene - führt zu echtem Wandel. Wenn es zu einer solchen Krise kommt, hängt das weitere Vorgehen von den Ideen ab, die im Umlauf sind. Das ist meiner Ansicht nach unsere Hauptfunktion: Alternativen zur bestehenden Politik zu entwickeln, sie am Leben und verfügbar zu halten, bis das politisch Unmögliche politisch unvermeidlich wird." (...) Und wenn die Krise erst einmal da ist, davon war der Professor der University of Chicago überzeugt, kommt es vor allem darauf an, schnell zu handeln, der krisengeschüttelten Gesellschaft rasche und unumkehrbare Veränderungen aufzuzwingen, ehe sie wieder in die "Tyrannei des Status quo" zurückfallen kann. Er schätzte: "Eine neue Regierung hat ungefähr sechs bis neun Monate Zeit, um tiefgreifende Veränderungen zu erreichen; nutzt sie die Gelegenheit nicht, während dieses Zeitraums entscheidend zu handeln, wird sie sie nicht noch einmal bekommen." Diese Abwandlung von Machiavellis Ratschlag, Gewalttaten alle auf einmal zu begehen, erwies sich als der langlebigste Teil von Friedmans strategischem Erbe.
Die meisten Überlebenden einer Katastrophe wollen alles andere als reinen Tisch machen: Sie wollen erhalten, was immer sie können, und reparieren, was nicht völlig zerstört wurde; sie wollen diesen Ort als den erhalten, der sie geprägt hat. "Wenn ich die Stadt wieder aufbaue, fühle ich mich, als würde ich mich selbst wieder aufbauen", sagte Cassandra Andrews aus dem schwer beschädigten Lower Ninth Ward in New Orleans, während sie Schutt wegräumte. Katastrophen-Kapitalisten haben aber kein Interesse daran, wiederherzustellen, was einmal war. Im Irak, in Sri Lanka und in New Orleans begann die - absichtlich irreführend so genannte - "Rekonstruktion" damit, den Job der ursprünglichen Katastrophe zu Ende zu bringen und auszuradieren, was von der öffentlichen Sphäre und den entwurzelten Gemeinschaften noch übrig war, und es dann schleunigst durch so etwas wie ein neues Jerusalem des Unternehmertums zu ersetzen - und zwar ehe die Opfer des Krieges oder der Naturkatastrophe sich erneut organisieren und ihre Ansprüche anmelden konnten.
Mike Battles hat es am deutlichsten ausgedrückt: "Für uns waren die Angst und das Durcheinander ein echtes Versprechen." Der vierunddreißigjährige ehemalige CIA-Mitarbeiter meinte damit, dass dank der Verhältnisse im besetzten Irak seine bis dahin unbekannte und unerfahrene private Sicherheitsfirma Custer Battles Regierungsaufträge im Umfang von grob geschätzten 100 Millionen Dollar an Land ziehen konnte.
Der 11. September schien Washington grünes Licht gegeben zu haben, Länder gar nicht mehr zu fragen, ob sie die amerikanische Version von "Freihandel und Demokratie" überhaupt haben wollen, sondern sie ihnen mit militärischer Gewalt, mit Schock und Entsetzen einfach aufzuzwingen. (...)
Sofort nutzte die Regierung Bush die von den Anschlägen ausgelösten Ängste, um nicht nur den "Krieg gegen den Terror" zu starten, sondern auch sicherzustellen, dass er ein fast ausschließlich dem Profit dienendes Unterfangen würde: ein boomender neuer Industriezweig, der der schwächelnden US-Wirtschaft frisches Leben einhaucht. Am besten umschreibt man ihn wohl als "Katastrophen-Kapitalismus-Komplex", und er hat viel weiter reichende Tentakel als der militärisch-industrielle Komplex, vor dem Dwight Eisenhower gegen Ende seiner Amtszeit als Präsident gewarnt hatte: Heute geht es um einen globalen Krieg, den auf allen Ebenen Privatunternehmen führen, deren Einsatz mit öffentlichen Geldern bezahlt wird; ihr nicht endender Auftrag bestand darin, die Heimat der US-Amerikaner bis in alle Ewigkeit zu schützen und zugleich alles "Böse" in Übersee zu eliminieren. Binnen weniger Jahre hat er seine Marktreichweite schon vom Kampf gegen den Terrorismus auf die internationale "Friedenssicherung", auf die Kommunalpolitik und die immer häufigeren Naturkatastrophen ausgeweitet. Letztlich verfolgen die Unternehmen im Zentrum des Komplexes das Ziel, das Modell des profitorientierten Regierens, das sich unter außergewöhnlichen Umständen so rasch ausbreitet, in das normale, alltägliche Funktionieren des Staates einzubauen - anders ausgedrückt: die Regierung zu privatisieren.
Um dem Katastrophen-Kapitalismus-Komplex den nötigen Schwung mitzugeben, lagerte die Regierung Bush ohne öffentliche Debatte viele höchst sensible und zentrale Funktionen des Staates aus - von der Gesundheitsversorgung der Soldaten über die Befragung von Gefangenen bis zur "Datenauswertung" und Informationsbeschaffung über uns alle. In diesem nicht endenden Krieg spielt die Regierung nicht die Rolle eines Managers oder Administrators, sondern eines Risikokapitalisten mit tiefen Taschen, der sowohl das Startkapital für den Aufbau des Komplexes zur Verfügung stellt als auch der größte Abnehmer für die neuen Dienstleistungen wird. Ein Blick in nur drei Statistiken zeigt das Ausmaß des Wandels: Im Jahr 2003 unterschrieb die US-Regierung 3512 Verträge mit Firmen, die Sicherheitsaufgaben übernahmen; in den 22 Monaten bis zum August 2006 unterschrieb das Department of Homeland Security über 115 000 solcher Verträge. Der globale "Heimatschutz" - wirtschaftlich vor dem Jahr 2001 unbedeutend - ist heute ein 200-Milliarden-Dollar-Geschäft. lm Jahr 2006 gab die US-Regierung pro Haushalt im Schnitt 545 Dollar aus.
Und das ist nur die Heimatfront des Kriegs gegen den Terror; das wirkliche Geld wird mit dem Krieg in Übersee verdient. Abgesehen von den Waffenlieferanten, deren Profite dank des Irakkriegs in die Höhe geschossen sind, ist der Unterhalt der US-Militärmaschinerie heute eines der am schnellsten wachsenden Dienstleistungsgeschäfte der Welt. (...) Und dann wären da noch humanitäre Hilfe und Wiederaufbau.
Naomi Klein: Die Schockstrategie. Der Aufstieg des Katastrophenkapitalismus, aus dem Englischen übersetzt von Hartmut Schickert, Michael Bischoff und Karl Heinz Siber, S. Fischer Frankfurt am Main 2007.
denn in ihr gedenke ich zu leben.
Albert Einstein
Blank is beautiful
Drei Jahrzehnte des weltweiten Plattmachens und Wiederaufbauens
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich an jenem Tag die Nachricht, dass Richard Baker, ein prominenter Republikaner und Kongressabgeordneter aus New Orleans, zu Lobbyisten gesagt hatte: "Endlich ist New Orleans von den Sozialwohnungen gesäubert. Wir konnten das nicht tun, aber Gott hat es getan." Joseph Canizaro, einer der reichsten Bauunternehmer der Stadt, hatte gerade eine ähnliche Ansicht geäußert: "Ich denke, wir haben jetzt einen schönen reinen Tisch zum Neuanfang. Und auf diesem Tisch erwarten uns ein paar sehr große Gelegenheiten." Die ganze Woche über hatten sich im Parlamentsgebäude des Staates Louisiana in Baton Rouge die Unternehmenslobbyisten die Klinke in die Hand gegeben, um diese großen Gelegenheiten abzusichern: niedrigere Steuern, weniger Vorschriften, billigere Arbeitskräfte und eine "kleinere, sicherere Stadt" - was in der Praxis bedeutete, die Sozialwohnungsprojekte aufzugeben und stattdessen Appartementhäuser und Eigentumswohnungen zu bauen. Wenn man all das Gerede von "Neuanfang" und "reinem Tisch" hörte, konnte man fast das giftige Gebräu von Trümmern, ausgelaufenen Chemikalien und menschlichen Überresten ein paar Kilometer weiter südlich vergessen.
Ein Netzwerk rechtslastiger Denkfabriken (...) fegte nach dem Sturm über die Stadt. Die Regierung von George W. Bush unterstützte mit zig Millionen Dollar deren Pläne, die Schulen von New Orleans in "Charter Schools" umzuwandeln, bei denen es sich um eigentlich öffentliche Schulen handelt, die von privaten Betreibern nach deren eigenen Regeln geleitet werden. Charter Schools spalten die Bevölkerung der Vereinigten Staaten zutiefst, vor allem aber in New Orleans, wo viele afroamerikanische Eltern sie als Mittel betrachten, die Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung rückgängig zu machen, die allen Kindern denselben Bildungsstandard garantierten. Milton Friedman hingegen glaubte, der Staat hätte im Schulwesen nichts verloren. Seiner Ansicht nach beschränken sich die Funktionen des Staates darauf, "unsere Freiheit zu schützen, insoweit sie von außerhalb bedroht ist und insoweit sie unsere Mitbürger verletzen könnten: also für Gesetz und Ordnung zu sorgen, die Einhaltung privater Verträge zu überwachen, für Wettbewerb auf den Märkten zu sorgen". Anders formuliert: Polizei und Streitkräfte zu unterhalten - alles andere, auch kostenlose Bildung, wäre eine nicht gerechtfertigte Einmischung in den Markt.
Im scharfen Gegensatz zu dem Gletschertempo, mit dem die Dämme repariert und das Stromnetz wieder in Gang gebracht wurden, wurde das Schulsystem von New Orleans mit militärischer Eile und Präzision verauktioniert. Binnen 19 Monaten - während die Armen der Stadt noch größtenteils evakuiert waren - wurde das öffentliche Schulsystem nahezu vollständig durch privat betriebene Charter Schools ersetzt. Vor dem Hurrikan Katrina verwaltete die Schulbehörde 123 öffentliche Schulen, jetzt waren es nur noch vier. Vor dem Sturm hatte es sieben Charter Schools in der Stadt gegeben, jetzt waren es 31. Einst wurden die Lehrer von New Orleans von einer starken Gewerkschaft vertreten, jetzt kam der Tarifvertrag in den Reißwolf, und alle 4700 Mitglieder wurden gefeuert. Einige jüngere Lehrer wurden - bei reduziertem Gehalt - von den Charter Schools wieder eingestellt, die meisten aber nicht.
(...), während das American Enterprise Institute, eine Friedman'sche Denkfabrik, sich begeisterte: "Katrina vollbrachte in einem Tag ... was den Schulreformern von Louisiana in jahrelangen Versuchen nicht gelungen war." Die Lehrer öffentlicher Schulen mussten währenddessen zusehen, wie für die Flutopfer gesammeltes Geld abgezweigt wurde, um ein öffentliches System auszuradieren und es durch ein privates zu ersetzen; Friedmans Plan bezeichneten sie als "pädagogische Enteignung".
Solche konzertierten Überfälle auf die öffentliche Sphäre nach verheerenden Ereignissen und die Haltung, Desaster als entzückende Marktchancen zu begreifen, nenne ich "Katastrophen-Kapitalismus".
Mehr als drei Jahrzehnte lang hatten Friedman und seine mächtigen Anhänger genau diese Strategie perfektioniert: Auf eine große Krise oder einen Schock warten, dann den Staat an private Interessenten verfüttern, solange die Bürger sich noch vom Schock erholen, und schließlich diesen "Reformen" rasch Dauerhaftigkeit verleihen.
In einem seiner einflussreichsten Texte stellte Friedman das auf, was ich mittlerweile als das strategische Kerndogma seiner Bewegung bezeichne: die Schockdoktrin. Er stellte fest: "Nur eine Krise - eine tatsächliche oder empfundene - führt zu echtem Wandel. Wenn es zu einer solchen Krise kommt, hängt das weitere Vorgehen von den Ideen ab, die im Umlauf sind. Das ist meiner Ansicht nach unsere Hauptfunktion: Alternativen zur bestehenden Politik zu entwickeln, sie am Leben und verfügbar zu halten, bis das politisch Unmögliche politisch unvermeidlich wird." (...) Und wenn die Krise erst einmal da ist, davon war der Professor der University of Chicago überzeugt, kommt es vor allem darauf an, schnell zu handeln, der krisengeschüttelten Gesellschaft rasche und unumkehrbare Veränderungen aufzuzwingen, ehe sie wieder in die "Tyrannei des Status quo" zurückfallen kann. Er schätzte: "Eine neue Regierung hat ungefähr sechs bis neun Monate Zeit, um tiefgreifende Veränderungen zu erreichen; nutzt sie die Gelegenheit nicht, während dieses Zeitraums entscheidend zu handeln, wird sie sie nicht noch einmal bekommen." Diese Abwandlung von Machiavellis Ratschlag, Gewalttaten alle auf einmal zu begehen, erwies sich als der langlebigste Teil von Friedmans strategischem Erbe.
Die meisten Überlebenden einer Katastrophe wollen alles andere als reinen Tisch machen: Sie wollen erhalten, was immer sie können, und reparieren, was nicht völlig zerstört wurde; sie wollen diesen Ort als den erhalten, der sie geprägt hat. "Wenn ich die Stadt wieder aufbaue, fühle ich mich, als würde ich mich selbst wieder aufbauen", sagte Cassandra Andrews aus dem schwer beschädigten Lower Ninth Ward in New Orleans, während sie Schutt wegräumte. Katastrophen-Kapitalisten haben aber kein Interesse daran, wiederherzustellen, was einmal war. Im Irak, in Sri Lanka und in New Orleans begann die - absichtlich irreführend so genannte - "Rekonstruktion" damit, den Job der ursprünglichen Katastrophe zu Ende zu bringen und auszuradieren, was von der öffentlichen Sphäre und den entwurzelten Gemeinschaften noch übrig war, und es dann schleunigst durch so etwas wie ein neues Jerusalem des Unternehmertums zu ersetzen - und zwar ehe die Opfer des Krieges oder der Naturkatastrophe sich erneut organisieren und ihre Ansprüche anmelden konnten.
Mike Battles hat es am deutlichsten ausgedrückt: "Für uns waren die Angst und das Durcheinander ein echtes Versprechen." Der vierunddreißigjährige ehemalige CIA-Mitarbeiter meinte damit, dass dank der Verhältnisse im besetzten Irak seine bis dahin unbekannte und unerfahrene private Sicherheitsfirma Custer Battles Regierungsaufträge im Umfang von grob geschätzten 100 Millionen Dollar an Land ziehen konnte.
Der 11. September schien Washington grünes Licht gegeben zu haben, Länder gar nicht mehr zu fragen, ob sie die amerikanische Version von "Freihandel und Demokratie" überhaupt haben wollen, sondern sie ihnen mit militärischer Gewalt, mit Schock und Entsetzen einfach aufzuzwingen. (...)
Sofort nutzte die Regierung Bush die von den Anschlägen ausgelösten Ängste, um nicht nur den "Krieg gegen den Terror" zu starten, sondern auch sicherzustellen, dass er ein fast ausschließlich dem Profit dienendes Unterfangen würde: ein boomender neuer Industriezweig, der der schwächelnden US-Wirtschaft frisches Leben einhaucht. Am besten umschreibt man ihn wohl als "Katastrophen-Kapitalismus-Komplex", und er hat viel weiter reichende Tentakel als der militärisch-industrielle Komplex, vor dem Dwight Eisenhower gegen Ende seiner Amtszeit als Präsident gewarnt hatte: Heute geht es um einen globalen Krieg, den auf allen Ebenen Privatunternehmen führen, deren Einsatz mit öffentlichen Geldern bezahlt wird; ihr nicht endender Auftrag bestand darin, die Heimat der US-Amerikaner bis in alle Ewigkeit zu schützen und zugleich alles "Böse" in Übersee zu eliminieren. Binnen weniger Jahre hat er seine Marktreichweite schon vom Kampf gegen den Terrorismus auf die internationale "Friedenssicherung", auf die Kommunalpolitik und die immer häufigeren Naturkatastrophen ausgeweitet. Letztlich verfolgen die Unternehmen im Zentrum des Komplexes das Ziel, das Modell des profitorientierten Regierens, das sich unter außergewöhnlichen Umständen so rasch ausbreitet, in das normale, alltägliche Funktionieren des Staates einzubauen - anders ausgedrückt: die Regierung zu privatisieren.
Um dem Katastrophen-Kapitalismus-Komplex den nötigen Schwung mitzugeben, lagerte die Regierung Bush ohne öffentliche Debatte viele höchst sensible und zentrale Funktionen des Staates aus - von der Gesundheitsversorgung der Soldaten über die Befragung von Gefangenen bis zur "Datenauswertung" und Informationsbeschaffung über uns alle. In diesem nicht endenden Krieg spielt die Regierung nicht die Rolle eines Managers oder Administrators, sondern eines Risikokapitalisten mit tiefen Taschen, der sowohl das Startkapital für den Aufbau des Komplexes zur Verfügung stellt als auch der größte Abnehmer für die neuen Dienstleistungen wird. Ein Blick in nur drei Statistiken zeigt das Ausmaß des Wandels: Im Jahr 2003 unterschrieb die US-Regierung 3512 Verträge mit Firmen, die Sicherheitsaufgaben übernahmen; in den 22 Monaten bis zum August 2006 unterschrieb das Department of Homeland Security über 115 000 solcher Verträge. Der globale "Heimatschutz" - wirtschaftlich vor dem Jahr 2001 unbedeutend - ist heute ein 200-Milliarden-Dollar-Geschäft. lm Jahr 2006 gab die US-Regierung pro Haushalt im Schnitt 545 Dollar aus.
Und das ist nur die Heimatfront des Kriegs gegen den Terror; das wirkliche Geld wird mit dem Krieg in Übersee verdient. Abgesehen von den Waffenlieferanten, deren Profite dank des Irakkriegs in die Höhe geschossen sind, ist der Unterhalt der US-Militärmaschinerie heute eines der am schnellsten wachsenden Dienstleistungsgeschäfte der Welt. (...) Und dann wären da noch humanitäre Hilfe und Wiederaufbau.
Naomi Klein: Die Schockstrategie. Der Aufstieg des Katastrophenkapitalismus, aus dem Englischen übersetzt von Hartmut Schickert, Michael Bischoff und Karl Heinz Siber, S. Fischer Frankfurt am Main 2007.
Rolf Pohl
Hinter allem steht die Angst
Männliche Gewalt und die Abwehr des Weiblichen
Gewalt ist weder männlich noch weiblich. Ausgehend von ihrer Definition als "zielgerichtete, direkte physische Schädigung von Menschen durch Menschen" wäre es absurd, Frauen grundsätzlich von dieser Definition auszunehmen. Weibliche Gewalttaten erstrecken sich von der Misshandlung und Tötung von Kindern und Partnern über die Kriegsteilnahme als Soldatinnen bis hin zur Beteiligung an kollektiven Menschheitsverbrechen etwa als KZ-Aufseherinnen oder, wie vor einigen Monaten bekannt geworden, in der Mitwirkung an sadistischen Folterungen irakischer Gefangener. Nehmen wir die bei Frauen ähnlich stark verbreiteten, wenn auch weniger häufig zu offener Gewalt führenden Spielarten von Aggression (Wut, Hass und Grausamkeit) hinzu, dann erweist sich die Annahme einer prinzipiellen weiblichen Friedfertigkeit als reiner Mythos. Dennoch stellen weibliche Gewaltäußerungen nach wie vor Ausnahmeerscheinungen dar. An dieser Tatsache hat sich entgegen der immer wieder beschworenen Zunahme von Mädchen- und Frauengewalt grundsätzlich nichts geändert. Die reißerische Berichterstattung über spektakuläre Einzelfälle von weiblicher Gewalt täuscht darüber hinweg, dass faktische Gewaltausübung weiterhin eine männliche Domäne ist. Angesichts des Anteils von Frauen an körperbezogenen Gewaltdelikten von circa drei bis fünf Prozent sowie an Sexualstraftaten unter einem Prozent macht eine Gleichsetzung von männlicher und weiblicher Gewalt wenig Sinn.
Neben diesen statistischen Auffälligkeiten unterscheidet sich die Gewalt von Männern hauptsächlich durch eine fließendere Grenze zwischen Gewaltfaszination, Gewaltbereitschaft und faktischer Gewaltausübung, durch einen reflexhaften Einsatz von Gewalt gegenüber vermeintlichen Bedrohungen der eigenen Integrität, sowie durch eine weit verbreitete, insbesondere gegen Frauen und Kinder gerichtete Verbindung mit sexuellen Motiven. Zu den häufigsten Erscheinungsformen männlicher Gewalt zählen die häusliche, die sexuelle und die militärisch-kriegerische Gewalt.
Da Gewalt als die "extremste Manifestation menschlicher Aggression" (Kernberg) gilt, steht im Mittelpunkt der meisten psychologischen Erklärungsversuche die Analyse humanspezifischer Aggressionsneigungen. Muss davon ausgegangen werden, dass Jungen und Männer eventuell über ein größeres, vielleicht sogar biologisch verankertes Aggressionspotential als Mädchen und Frauen verfügen? Sicherlich sind auch biologische Vorgänge beteiligt, aber die immer wieder in Mode kommende kausale Herleitung der typisch männlichen Gewaltbereitschaft aus der Hormonverteilung, der Hirnanatomie oder der Evolution läuft ebenso in eine Sackgasse, wie die Zurückführung der Kriminalität auf ein spezielles Verbrecher-Chromosom (Lombroso). Die Bereitschaft zu offener Gewalt ist eine vorwiegend männliche Ressource, die weder genetisch festgelegt, noch allein durch Erziehung und Rollenlernen "erworben" wird und folgerichtig auch nicht durch ein therapeutisches Trainingsprogramm einfach wieder "verlernt" werden kann, wie viele Ansätze und Kampagnen unter dem Label "Männer gegen Männergewalt" behaupten.
Die Wurzeln der männlichen Gewalt liegen vielmehr in einer besonderen, mit den gesellschaftlich vorherrschenden Formen von Männlichkeit eng verknüpften Wut- und Hassbereitschaft gegenüber ausgewählten "Objekten". Hass entsteht als Reaktion auf Angst auslösende tatsächliche oder vermeintliche Angriffe, Zurücksetzungen und Kränkungen seitens der Umwelt. Im Extremfall kann sich dieser Hass bis zur "Aggressionsneigung gegen das Objekt, zur Absicht, es zu vernichten, steigern" (Freud). Das Festhalten an diesem primitiven Mechanismus der zerstörerischen Gewaltanwendung als Mittel der Abwehr von Unlust und Angst gehört zu den Hauptkennzeichen der Geschlechtsidentität von Jungen und Männern in männlich dominierten Kulturen und Gesellschaften. Die allgemeine Bedeutung dieses für Männer insgesamt typischen "Faustrechts" zeigt sich unter anderem daran, dass Unterschiede der sozialen Herkunft und des Bildungsniveaus bei der Verbreitung von männlicher Gewalt nur eine geringe Rolle spielen.
Sicherlich ist die Annahme eines universell gültigen Männlichkeitsbildes unzulässig, da zwischen den jeweils überlegenen ("hegemonialen") und den ausgegrenzten ("marginalisierten") Männlichkeiten (Connell) unzählige Abstufungen existieren; dennoch gibt es Gemeinsamkeiten zwischen diesen Erscheinungsformen, die auf eine ähnliche "Tiefenstruktur von Männlichkeit" (Gilmore) verweisen. Männlichkeit ist aber kein Ergebnis biologischer Reifung, sondern ein kulturelles Konstrukt und damit ein unsicherer Zustand, der nach eigenem Selbstverständnis erkämpft und im "Notfall" verteidigt werden muss. Neben der Hierarchie innerhalb der Gruppe der Männer, in der bezeichnenderweise fast überall der homosexuelle Mann auf der untersten Stufe steht, ist eine Tatsache entscheidend, die in den männlichen Habitus, das Selbstbewusstsein und das männliche Körperbild integriert werden muss: Mannsein heißt Nicht-Frau und deshalb nicht-weiblich zu sein. Männer erwerben ihre brüchige Geschlechtsidentität nicht nur unter dem Druck, sich als ein anderes, sondern vor allem sich als überlegenes Geschlecht zu setzen und zu beweisen. (...)
Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
Ausgabe 46 vom 08.11.2004
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2008.
Jan Philipp Reemtsma
Hässliche Wirklichkeit
Die westliche Welt muss die Zusammenhänge von Gewalt in der Moderne verstehen lernen. Denn nur durch Sensibilisierung lässt sich Barbarei verhindern. Grundzüge einer Theorie der Gewalt.
(...) Die Kulturformation, die wir "die Moderne" nennen - das heißt jene aus den Krisen des 16. und 17. Jahrhunderts hervorgegangene europäisch-atlantische Kultur - unterscheidet sich von anderen Kulturen dadurch, dass sie Gewalt unter einen besonderen Legitimationsdruck gestellt hat. (...)
Unsere Kultur der Moderne hat nicht nur ein anderes Konzept der Sortierung von erlaubter / verbotener Gewalt, sondern ein von Grund auf anderes, nämlich das, dass Gewalt - und das heißt: nicht nur Gewalt am falschen Ort, zur falschen Zeit, gegenüber den falschen Leuten - an sich ein Problem ist. (...)
Das ist die Selbst-Imagination der Moderne: Sie ist eine Kultur, für die Gewalt nicht selbstverständlich ist und die sie abzuschaffen sucht. Eine solche Selbst-Imagination wird man, wie ich meine, in keiner anderen Kultur finden. (...)
Gewalt ist nicht mehr einfach "da", sondern ein Problem und kriminell. (...)
Die Moderne bringt etwas hervor, das es so zuvor nicht gegeben hat, das staatliche Gewaltmonopol. Es hat dafür zu sorgen, dass Gewalt nur noch staatlicherseits und zwar zur Verhinderung von Gewalt oder zur Ahndung außerhalb des Monopols ausgeübter Gewalt stattfindet. Zusammengenommen ist es das, was das Vertrauen in der und in die Moderne charakterisiert: die Unterstellung gewaltfreier Interaktion, das staatliche Gewaltmonopol als Institution, die diese Interaktion möglichst weitgehend kontrolliert (und wo das nicht funktioniert hat, die Ordnung symbolisch - durch Strafen - wiederherstellt), die gemeinsame Imagination, dass diese Moderne funktioniert, das heißt auf dem Wege in eine Zukunft ist, die immer weniger Gewalt möglich und nötig macht. (...)
Dabei sollten wir uns vielmehr fragen, warum wir - trotz der Desillusionierung, die die Katastrophen des 20. Jahrhunderts doch waren - dennoch an dem Projekt der Moderne und am Vertrauen in dieses Projekt festhalten. Die Antwort auf diese Frage besteht aus zwei Teilen. Erstens haben wir in der Moderne eine bestimmte Form der Gewalt so erfolgreich geächtet, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen können, und wo wir nicht umhinkommen, sie dennoch zu sehen, sie nur als pathologische Monstrosität erkennen. Zweitens haben wir, und zwar bis in den Kern unseres theoretischen Denkens hinein, verlernt, Gewalt auch als ein Kommunikationsmittel wahrzunehmen. (...)
Menschen haben diese Fähigkeit, es ist die größte Macht, die einem Menschen geboten werden kann, andere Körper nach Willkür zu zerstören. Und wir erkennen die Risiken nicht, die mit wie auch immer beschaffener Gewaltausübung verbunden sind, wenn wir die Tatsache, dass der Mensch immer und zu allen Zeiten zu autotelischer Gewaltausübung wenigstens verführbar war, ignorieren.
Das berühmte Zimbardo-Experiment - fiktional nachgestellt im Film "Das Experiment" - zeigt, was die Geschichte über die Jahrhunderte gezeigt hat, und was uns die Fotos aus Abu Ghraib gezeigt haben: Wenn man Areale schafft, wo autotelische Gewalt ausgeübt werden kann, wird sie ausgeübt werden. Wohlgemerkt ich sage nicht: von jedem. Aber von zureichend vielen. Und nicht von Leuten, die vorher oder nachher pathologische Auffälligkeiten gezeigt hätten. (...)
Das 20. Jahrhundert ist (...) nicht nur ein Jahrhundert extremer Gewalt und der Exzesse autotelischer Gewalt gewesen, sondern auch ein Jahrhundert der Kommunikation mit Gewalt. Die Re-Etablierung der Standards der Moderne ging nun genau über den Weg, diese kommunikative Seite wieder zu vergessen oder gar zu verleugnen. Das ist bis heute eine ambivalente Angelegenheit. Einerseits gelang es eben, diese Standards wiederzugewinnen, andererseits war der Preis ein fundamentales Sich-selbst-nicht-Verstehen, die eigene Geschichte zu verrätseln, den Charakter der Gewalt zu verkennen und so erneut Illusionen zu produzieren. (...)
www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/884/154485/print.html
(...), daß es vor allem unter normalen gesellschaftlichen Lebensbedingungen viel schwieriger ist, den Wunsch nach Gewalt zu beschwichtigen, als ihn zu wecken.
Gewalt wird oft als "irrational" bezeichnet. Gleichwohl mangelt es ihr nicht an Beweggründen; ja sie findet sogar sehr gute Gründe, um sich entfesseln zu können. Aber wie gut diese Gründe auch immer sein mögen, sie verdienen es nicht, ernst genommen zu werden. Sie werden nämlich von der Gewalt selbst vergessen, wenn das ursprünglich anvisierte Objekt sie zwar weiterhin anstachelt, aber außer Reichweite bleibt. Die ungestillte Gewalt sucht und findet auch immer ein Ersatzopfer. Anstatt auf jenes Geschöpf, das die Wut des Gewalttätigen entfacht, richtet sich der Zorn nun plötzlich auf ein anderes Geschöpf, das diesen nur deshalb auf sich zieht, weil es verletzlich ist und sich in Reichweite befindet.
Manche Indizien lassen darauf schließen, daß diese Fähigkeit, sich Ersatzobjekte zu verschaffen, nicht der menschlichen Gewalt allein vorbehalten ist.
Wird das Bedürfnis nach Gewalt nicht gestillt, sammelt sie sich weiterhin an, und zwar bis zu jenem Moment, wo sie überbordet und sich mit vernichtender Wirkung in ihre Umgebung ergießt.
René Girard: Das Heilige und die Gewalt, Fischer Frankfurt am Main 1999.
Hinter allem steht die Angst
Männliche Gewalt und die Abwehr des Weiblichen
Gewalt ist weder männlich noch weiblich. Ausgehend von ihrer Definition als "zielgerichtete, direkte physische Schädigung von Menschen durch Menschen" wäre es absurd, Frauen grundsätzlich von dieser Definition auszunehmen. Weibliche Gewalttaten erstrecken sich von der Misshandlung und Tötung von Kindern und Partnern über die Kriegsteilnahme als Soldatinnen bis hin zur Beteiligung an kollektiven Menschheitsverbrechen etwa als KZ-Aufseherinnen oder, wie vor einigen Monaten bekannt geworden, in der Mitwirkung an sadistischen Folterungen irakischer Gefangener. Nehmen wir die bei Frauen ähnlich stark verbreiteten, wenn auch weniger häufig zu offener Gewalt führenden Spielarten von Aggression (Wut, Hass und Grausamkeit) hinzu, dann erweist sich die Annahme einer prinzipiellen weiblichen Friedfertigkeit als reiner Mythos. Dennoch stellen weibliche Gewaltäußerungen nach wie vor Ausnahmeerscheinungen dar. An dieser Tatsache hat sich entgegen der immer wieder beschworenen Zunahme von Mädchen- und Frauengewalt grundsätzlich nichts geändert. Die reißerische Berichterstattung über spektakuläre Einzelfälle von weiblicher Gewalt täuscht darüber hinweg, dass faktische Gewaltausübung weiterhin eine männliche Domäne ist. Angesichts des Anteils von Frauen an körperbezogenen Gewaltdelikten von circa drei bis fünf Prozent sowie an Sexualstraftaten unter einem Prozent macht eine Gleichsetzung von männlicher und weiblicher Gewalt wenig Sinn.
Neben diesen statistischen Auffälligkeiten unterscheidet sich die Gewalt von Männern hauptsächlich durch eine fließendere Grenze zwischen Gewaltfaszination, Gewaltbereitschaft und faktischer Gewaltausübung, durch einen reflexhaften Einsatz von Gewalt gegenüber vermeintlichen Bedrohungen der eigenen Integrität, sowie durch eine weit verbreitete, insbesondere gegen Frauen und Kinder gerichtete Verbindung mit sexuellen Motiven. Zu den häufigsten Erscheinungsformen männlicher Gewalt zählen die häusliche, die sexuelle und die militärisch-kriegerische Gewalt.
Da Gewalt als die "extremste Manifestation menschlicher Aggression" (Kernberg) gilt, steht im Mittelpunkt der meisten psychologischen Erklärungsversuche die Analyse humanspezifischer Aggressionsneigungen. Muss davon ausgegangen werden, dass Jungen und Männer eventuell über ein größeres, vielleicht sogar biologisch verankertes Aggressionspotential als Mädchen und Frauen verfügen? Sicherlich sind auch biologische Vorgänge beteiligt, aber die immer wieder in Mode kommende kausale Herleitung der typisch männlichen Gewaltbereitschaft aus der Hormonverteilung, der Hirnanatomie oder der Evolution läuft ebenso in eine Sackgasse, wie die Zurückführung der Kriminalität auf ein spezielles Verbrecher-Chromosom (Lombroso). Die Bereitschaft zu offener Gewalt ist eine vorwiegend männliche Ressource, die weder genetisch festgelegt, noch allein durch Erziehung und Rollenlernen "erworben" wird und folgerichtig auch nicht durch ein therapeutisches Trainingsprogramm einfach wieder "verlernt" werden kann, wie viele Ansätze und Kampagnen unter dem Label "Männer gegen Männergewalt" behaupten.
Die Wurzeln der männlichen Gewalt liegen vielmehr in einer besonderen, mit den gesellschaftlich vorherrschenden Formen von Männlichkeit eng verknüpften Wut- und Hassbereitschaft gegenüber ausgewählten "Objekten". Hass entsteht als Reaktion auf Angst auslösende tatsächliche oder vermeintliche Angriffe, Zurücksetzungen und Kränkungen seitens der Umwelt. Im Extremfall kann sich dieser Hass bis zur "Aggressionsneigung gegen das Objekt, zur Absicht, es zu vernichten, steigern" (Freud). Das Festhalten an diesem primitiven Mechanismus der zerstörerischen Gewaltanwendung als Mittel der Abwehr von Unlust und Angst gehört zu den Hauptkennzeichen der Geschlechtsidentität von Jungen und Männern in männlich dominierten Kulturen und Gesellschaften. Die allgemeine Bedeutung dieses für Männer insgesamt typischen "Faustrechts" zeigt sich unter anderem daran, dass Unterschiede der sozialen Herkunft und des Bildungsniveaus bei der Verbreitung von männlicher Gewalt nur eine geringe Rolle spielen.
Sicherlich ist die Annahme eines universell gültigen Männlichkeitsbildes unzulässig, da zwischen den jeweils überlegenen ("hegemonialen") und den ausgegrenzten ("marginalisierten") Männlichkeiten (Connell) unzählige Abstufungen existieren; dennoch gibt es Gemeinsamkeiten zwischen diesen Erscheinungsformen, die auf eine ähnliche "Tiefenstruktur von Männlichkeit" (Gilmore) verweisen. Männlichkeit ist aber kein Ergebnis biologischer Reifung, sondern ein kulturelles Konstrukt und damit ein unsicherer Zustand, der nach eigenem Selbstverständnis erkämpft und im "Notfall" verteidigt werden muss. Neben der Hierarchie innerhalb der Gruppe der Männer, in der bezeichnenderweise fast überall der homosexuelle Mann auf der untersten Stufe steht, ist eine Tatsache entscheidend, die in den männlichen Habitus, das Selbstbewusstsein und das männliche Körperbild integriert werden muss: Mannsein heißt Nicht-Frau und deshalb nicht-weiblich zu sein. Männer erwerben ihre brüchige Geschlechtsidentität nicht nur unter dem Druck, sich als ein anderes, sondern vor allem sich als überlegenes Geschlecht zu setzen und zu beweisen. (...)
Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
Ausgabe 46 vom 08.11.2004
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2008.
Jan Philipp Reemtsma
Hässliche Wirklichkeit
Die westliche Welt muss die Zusammenhänge von Gewalt in der Moderne verstehen lernen. Denn nur durch Sensibilisierung lässt sich Barbarei verhindern. Grundzüge einer Theorie der Gewalt.
(...) Die Kulturformation, die wir "die Moderne" nennen - das heißt jene aus den Krisen des 16. und 17. Jahrhunderts hervorgegangene europäisch-atlantische Kultur - unterscheidet sich von anderen Kulturen dadurch, dass sie Gewalt unter einen besonderen Legitimationsdruck gestellt hat. (...)
Unsere Kultur der Moderne hat nicht nur ein anderes Konzept der Sortierung von erlaubter / verbotener Gewalt, sondern ein von Grund auf anderes, nämlich das, dass Gewalt - und das heißt: nicht nur Gewalt am falschen Ort, zur falschen Zeit, gegenüber den falschen Leuten - an sich ein Problem ist. (...)
Das ist die Selbst-Imagination der Moderne: Sie ist eine Kultur, für die Gewalt nicht selbstverständlich ist und die sie abzuschaffen sucht. Eine solche Selbst-Imagination wird man, wie ich meine, in keiner anderen Kultur finden. (...)
Gewalt ist nicht mehr einfach "da", sondern ein Problem und kriminell. (...)
Die Moderne bringt etwas hervor, das es so zuvor nicht gegeben hat, das staatliche Gewaltmonopol. Es hat dafür zu sorgen, dass Gewalt nur noch staatlicherseits und zwar zur Verhinderung von Gewalt oder zur Ahndung außerhalb des Monopols ausgeübter Gewalt stattfindet. Zusammengenommen ist es das, was das Vertrauen in der und in die Moderne charakterisiert: die Unterstellung gewaltfreier Interaktion, das staatliche Gewaltmonopol als Institution, die diese Interaktion möglichst weitgehend kontrolliert (und wo das nicht funktioniert hat, die Ordnung symbolisch - durch Strafen - wiederherstellt), die gemeinsame Imagination, dass diese Moderne funktioniert, das heißt auf dem Wege in eine Zukunft ist, die immer weniger Gewalt möglich und nötig macht. (...)
Dabei sollten wir uns vielmehr fragen, warum wir - trotz der Desillusionierung, die die Katastrophen des 20. Jahrhunderts doch waren - dennoch an dem Projekt der Moderne und am Vertrauen in dieses Projekt festhalten. Die Antwort auf diese Frage besteht aus zwei Teilen. Erstens haben wir in der Moderne eine bestimmte Form der Gewalt so erfolgreich geächtet, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen können, und wo wir nicht umhinkommen, sie dennoch zu sehen, sie nur als pathologische Monstrosität erkennen. Zweitens haben wir, und zwar bis in den Kern unseres theoretischen Denkens hinein, verlernt, Gewalt auch als ein Kommunikationsmittel wahrzunehmen. (...)
Menschen haben diese Fähigkeit, es ist die größte Macht, die einem Menschen geboten werden kann, andere Körper nach Willkür zu zerstören. Und wir erkennen die Risiken nicht, die mit wie auch immer beschaffener Gewaltausübung verbunden sind, wenn wir die Tatsache, dass der Mensch immer und zu allen Zeiten zu autotelischer Gewaltausübung wenigstens verführbar war, ignorieren.
Das berühmte Zimbardo-Experiment - fiktional nachgestellt im Film "Das Experiment" - zeigt, was die Geschichte über die Jahrhunderte gezeigt hat, und was uns die Fotos aus Abu Ghraib gezeigt haben: Wenn man Areale schafft, wo autotelische Gewalt ausgeübt werden kann, wird sie ausgeübt werden. Wohlgemerkt ich sage nicht: von jedem. Aber von zureichend vielen. Und nicht von Leuten, die vorher oder nachher pathologische Auffälligkeiten gezeigt hätten. (...)
Das 20. Jahrhundert ist (...) nicht nur ein Jahrhundert extremer Gewalt und der Exzesse autotelischer Gewalt gewesen, sondern auch ein Jahrhundert der Kommunikation mit Gewalt. Die Re-Etablierung der Standards der Moderne ging nun genau über den Weg, diese kommunikative Seite wieder zu vergessen oder gar zu verleugnen. Das ist bis heute eine ambivalente Angelegenheit. Einerseits gelang es eben, diese Standards wiederzugewinnen, andererseits war der Preis ein fundamentales Sich-selbst-nicht-Verstehen, die eigene Geschichte zu verrätseln, den Charakter der Gewalt zu verkennen und so erneut Illusionen zu produzieren. (...)
www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/884/154485/print.html
(...), daß es vor allem unter normalen gesellschaftlichen Lebensbedingungen viel schwieriger ist, den Wunsch nach Gewalt zu beschwichtigen, als ihn zu wecken.
Gewalt wird oft als "irrational" bezeichnet. Gleichwohl mangelt es ihr nicht an Beweggründen; ja sie findet sogar sehr gute Gründe, um sich entfesseln zu können. Aber wie gut diese Gründe auch immer sein mögen, sie verdienen es nicht, ernst genommen zu werden. Sie werden nämlich von der Gewalt selbst vergessen, wenn das ursprünglich anvisierte Objekt sie zwar weiterhin anstachelt, aber außer Reichweite bleibt. Die ungestillte Gewalt sucht und findet auch immer ein Ersatzopfer. Anstatt auf jenes Geschöpf, das die Wut des Gewalttätigen entfacht, richtet sich der Zorn nun plötzlich auf ein anderes Geschöpf, das diesen nur deshalb auf sich zieht, weil es verletzlich ist und sich in Reichweite befindet.
Manche Indizien lassen darauf schließen, daß diese Fähigkeit, sich Ersatzobjekte zu verschaffen, nicht der menschlichen Gewalt allein vorbehalten ist.
Wird das Bedürfnis nach Gewalt nicht gestillt, sammelt sie sich weiterhin an, und zwar bis zu jenem Moment, wo sie überbordet und sich mit vernichtender Wirkung in ihre Umgebung ergießt.
René Girard: Das Heilige und die Gewalt, Fischer Frankfurt am Main 1999.
Michael Winterhoff
Kinder müssen Kinder sein dürfen,
Erwachsene müssen Erwachsene sein wollen.
Ich sehe in meiner Praxis tagtäglich Kinder und Jugendliche mit vielfältigen Störungen. Im Laufe meiner Tätigkeit als Kinderpsychiater haben sich bei der Analyse der auftretenden Störungen so gravierende Veränderungen ergeben, dass Anlass zu großer Sorge um die gesamtgesellschaftliche Zukunft gegeben ist. Immer weniger arbeits- und beziehungsfähige Jugendliche und Erwachsene werden die Folge sein, wenn sich weiterhin kein Bewusstsein für diese Störungen bildet.
Bei einem großen Teil dieser Kinder und Jugendlichen, die in allen Lebensbereichen Probleme verursachen, haben wir es nach meinem in langjähriger Beobachtung entwickelten Modell mit Menschen zu tun, deren psychischer Reifegrad in etwa auf dem Niveau von maximal Dreijährigen stagniert. Anders gesagt: Diese Jugendlichen sind in einer frühkindlichen psychischen Phase fixiert, ihr körperliches und ihr psychisches Alter klaffen weit auseinander. Sie können dadurch keinerlei störungsfreie Beziehung zu ihrer Umwelt mehr aufbauen. Jeglicher Zugang zu ihnen scheint unmöglich geworden zu sein, sie terrorisieren ihre Umwelt mit einem inakzeptablen Verhalten und sind gegen Steuerungsversuche von außen absolut immun.
Wir befinden uns mittlerweile in einem Ausnahmezustand, in dem Kinder zu Erziehern ihrer Eltern geworden sind und diese rein lustbetont steuern können, ohne Grenzen aufgezeigt zu bekommen. Der Grund dafür liegt nicht in angeborener Bösartigkeit, sondern darin, dass diese Kinder psychisch gar nicht in der Lage sind, ihr Verhalten als falsch zu empfinden.
Pädagogik, Erziehungskonzepte, Unterrichtsformen in Kindergarten und Schule, und auch die tägliche Erziehung im Elternhaus, all dies kann erst voll zum Tragen kommen und Kinder auf den richtigen Weg bringen, wenn gleichzeitig darauf geachtet wird, dass ihr psychischer Entwicklungsstand auf einem altersgerechten Niveau ist. Diese Tatsache jedoch haben heute viele für Erziehung zuständige Personen überhaupt nicht mehr auf ihrem persönlichen Radar. Sie gehen vielmehr davon aus, dass Psyche etwas ist, was sich von selbst, quasi nebenbei entwickelt. Psychische Fehlentwicklungen werden dementsprechend als von außen beeinflusste, spätere Erkrankungen verstanden, die in den meisten Fällen durch Analyse und Beseitigung ihrer Ursachen wieder rückgängig gemacht werden könnten.
Auffälliges Fehlverhalten von Jugendlichen wird so gut wie nie auf der Basis einer Betrachtung ihrer psychischen Reife in Augenschein genommen. Viel zu schwer scheint es, sich vorzustellen, dass sowohl relativ harmlose Dinge wie zeitweilige Verweigerungshaltung bei diversen alltäglichen Verrichtungen, als auch schwerwiegende Dinge wie Diebstahl oder Gewalttätigkeit etc. sich vor dem Hintergrund psychischer Reifeprozesse sehr viel besser erklären lassen als mit Modellen, die ausschließlich soziale Einflüsse als prägend annehmen.
Michael Winterhoff: Warum unsere Kinder Tyrannen werden oder: Die Abschaffung der Kindheit, Unter Mitarbeit von Carsten Tergast, Gütersloher Verlagshaus Güntersloh 2008 (9. Auflage), S. 12-15 und 66.
Beuys hatte als einer der ganz wenigen begriffen, dass Kunst
Denksysteme ins Wanken bringen kann.
Christoph Schlingensief
Kinder müssen Kinder sein dürfen,
Erwachsene müssen Erwachsene sein wollen.
Ich sehe in meiner Praxis tagtäglich Kinder und Jugendliche mit vielfältigen Störungen. Im Laufe meiner Tätigkeit als Kinderpsychiater haben sich bei der Analyse der auftretenden Störungen so gravierende Veränderungen ergeben, dass Anlass zu großer Sorge um die gesamtgesellschaftliche Zukunft gegeben ist. Immer weniger arbeits- und beziehungsfähige Jugendliche und Erwachsene werden die Folge sein, wenn sich weiterhin kein Bewusstsein für diese Störungen bildet.
Bei einem großen Teil dieser Kinder und Jugendlichen, die in allen Lebensbereichen Probleme verursachen, haben wir es nach meinem in langjähriger Beobachtung entwickelten Modell mit Menschen zu tun, deren psychischer Reifegrad in etwa auf dem Niveau von maximal Dreijährigen stagniert. Anders gesagt: Diese Jugendlichen sind in einer frühkindlichen psychischen Phase fixiert, ihr körperliches und ihr psychisches Alter klaffen weit auseinander. Sie können dadurch keinerlei störungsfreie Beziehung zu ihrer Umwelt mehr aufbauen. Jeglicher Zugang zu ihnen scheint unmöglich geworden zu sein, sie terrorisieren ihre Umwelt mit einem inakzeptablen Verhalten und sind gegen Steuerungsversuche von außen absolut immun.
Wir befinden uns mittlerweile in einem Ausnahmezustand, in dem Kinder zu Erziehern ihrer Eltern geworden sind und diese rein lustbetont steuern können, ohne Grenzen aufgezeigt zu bekommen. Der Grund dafür liegt nicht in angeborener Bösartigkeit, sondern darin, dass diese Kinder psychisch gar nicht in der Lage sind, ihr Verhalten als falsch zu empfinden.
Pädagogik, Erziehungskonzepte, Unterrichtsformen in Kindergarten und Schule, und auch die tägliche Erziehung im Elternhaus, all dies kann erst voll zum Tragen kommen und Kinder auf den richtigen Weg bringen, wenn gleichzeitig darauf geachtet wird, dass ihr psychischer Entwicklungsstand auf einem altersgerechten Niveau ist. Diese Tatsache jedoch haben heute viele für Erziehung zuständige Personen überhaupt nicht mehr auf ihrem persönlichen Radar. Sie gehen vielmehr davon aus, dass Psyche etwas ist, was sich von selbst, quasi nebenbei entwickelt. Psychische Fehlentwicklungen werden dementsprechend als von außen beeinflusste, spätere Erkrankungen verstanden, die in den meisten Fällen durch Analyse und Beseitigung ihrer Ursachen wieder rückgängig gemacht werden könnten.
Auffälliges Fehlverhalten von Jugendlichen wird so gut wie nie auf der Basis einer Betrachtung ihrer psychischen Reife in Augenschein genommen. Viel zu schwer scheint es, sich vorzustellen, dass sowohl relativ harmlose Dinge wie zeitweilige Verweigerungshaltung bei diversen alltäglichen Verrichtungen, als auch schwerwiegende Dinge wie Diebstahl oder Gewalttätigkeit etc. sich vor dem Hintergrund psychischer Reifeprozesse sehr viel besser erklären lassen als mit Modellen, die ausschließlich soziale Einflüsse als prägend annehmen.
Michael Winterhoff: Warum unsere Kinder Tyrannen werden oder: Die Abschaffung der Kindheit, Unter Mitarbeit von Carsten Tergast, Gütersloher Verlagshaus Güntersloh 2008 (9. Auflage), S. 12-15 und 66.
Beuys hatte als einer der ganz wenigen begriffen, dass Kunst
Denksysteme ins Wanken bringen kann.
Christoph Schlingensief
Darsteller und Darstellerinnen | |
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Bonnie Parker | Manja Kloss |
Clyde Barrow | Stefan Bräuler |
Blanche Barrow | Claire Varga |
Buck Barrow | Dirk Weidner |
Inszenierungsteam | |
Regie | Olaf Hilliger |
Bühne und Kostüme | |
Dramaturgie / Regieassistenz | Sandra Pagel |
Inspizienz | |
Soufflage |
Stand vom 30.04.2009