Schauspiel/Thriller
Misery
Wie sehr King zeitweilig unter dem Ansturm mancher Fans litt, zeigt diese Geschichte: Im Lauf der Jahre hat King einige Male erzählt, er sei von Mark Chapman, dem Mann, der John Lennon erschossen hatte, angesprochen worden. King erinnerte sich daran, das Hauptquartier eines großen Fernsehsenders in New York verlassen zu haben, vor dem Mark Chapman ihn dann um ein Foto bat. Anschließend habe Chapman darauf bestanden, King solle das Polaroidfoto mit einem speziellen Textmarker unterschreiben.
Das hört sich beinahe wie etwas aus einer Stephen-King-Geschichte an: ein Vorfall aus dem echten Leben, der sich zu phantastisch anhört, um wahr zu sein, was anscheinend auch der Fall ist. David Streitfeld schrieb in der Washington Post, zu der Zeit, als das Ereignis, laut King, stattgefunden habe "lebte Chapman in Hawaii, und seine angespannte finanzielle Situation ließ es kaum zu, daß er nach New York fliegen konnte". Streitfeld schrieb, King erinnere sich zwar daran, ein Autogramm für einen Mark Chapman unterschrieben zu haben, doch King sei sich selbst nicht sicher, ob es sich dabei um den Mark Chapman gehandelt habe.
Wie King zu seinem Schrecken feststellen mußte, lag der Nachteil des Ruhms darin, daß seine Fans ihn nicht in Ruhe lassen würden. "Es scheint, als würden eine Menge Leute irgend etwas wollen. Sie wollen ein Stück von dir ..."
Eine von ihnen, Anne Hiltner aus Trenton, New Jersey, schien direkt aus der in Langoliers gedruckten Geschichte Das geheime Fenster, der geheime Garten zu stammen. Das Leben imitierte die Kunst, als Hiltner, wie die Hauptfigur in seiner Geschichte, King eines Plagiats beschuldigte. Ganz gemäß der rhetorischen Frage, die King in seinem Vorwort zu der Geschichte stellte: "Was passiert ... wenn das Fenster zwischen der Wirklichkeit und dem Phantastischen zerbricht und die Scheiben fliegen?"
Wie King wußte, konnten die seltsamsten Dinge geschehen, wenn dieses Fenster zerbrach. In der Ausgabe vom 18. April 1991 der Newport New Daily Press berichtete der kurzgefaßte Artikel Frau Verklagt King über diese surreale Geschichte: Eine Frau verklagt den Autor Stephen King, da er sich, wie sie behauptet, ihr geistiges Eigentum angeeignet habe und die Hauptfigur in Misery (dt.: Sie) auf ihrem Leben basieren würde. Anne Hiltner behauptet außerdem, King sei in ihr Haus eingebrochen und hätte einige Manuskripte gestohlen, zu dem auch das für seinen Bestsellerroman Misery gehörte. Kings Anwalt stritt diese fälschlichen Behauptungen wütend ab. Hiltner, eine Princeton-Absolventin, verlangt Schadenersatz, einen Anteil an den Tantiemen und die Entfernung des Buches aus dem Buchhandel. Sie führt an, King habe ihr im Jahre 1986 oder 1987 acht verlagsrechtlich geschützte Manuskripte gestohlen, die teilweise von ihr und teilweise von ihrem Bruder, James Hiltner, geschrieben worden waren. Hiltner fordert, daß der Autor Teile ihrer unveröffentlichten Werke in Misery miteinbringt.
Kings Heimatzeitung, Bangor Daily News lieferte noch zusätzliche Informationen über Hiltner. John Ripley, Redaktionsmitglied der News berichtete: Anne Hiltner erhebt beim Gericht New Jerseys Anklage gegen King. Sie behauptet, der Autor aus Bangor sei in ihr Haus und einen gemieteten Lagerraum eingebrochen, um ihre Arbeiten zu stehlen. Außerdem sei King mit einem Flugzeug über ihr Haus hinweggeflogen und habe sie mit Hilfe von Abhörgeräten belauscht. Hiltner, die King bereits seit zehn Jahren regelmäßig schreibt, versichert, daß die Romanfigur Wilkes aus Misery auf ihrem Leben basiere. In einem Brief, den sie im August 1990 an die News schickte, beteuert Hiltner, sie sei das "Opfer von fünf verleumderischen Büchern Stephen Kings und über einhundertfünfzig allein im Jahre 1990 von King verübten Einbrüchen". In diesem unzusammenhängenden, unveröffentlichten Brief schreibt Hiltner weiterhin, daß sie im Juli letzten Jahres beim Bangor-Polizeidepartment Beschwerde gegen Kings kriminelle Handlungen eingelegt habe, und daß King sie daraufhin letzten August anrief. Sie beschwerte sich außerdem darüber, daß sie von Seiten der Polizei in Bangor nur wenig Hilfe erhalten habe.
Das 1984 geschriebene und 1987 veröffentlichte Buch Misery wurde 1990 für die Leinwand umgeschrieben. Der Zeitpunkt der Klageerhebung legt nahe, daß der finanzielle Erfolg des Filmes Misery und die lobenden Worte der Kritiker wahrscheinlich der Katalysator für die Klage waren. Zwei Dinge standen jedoch eindeutig fest: Der Roman Misery war vor dem von Hiltner angegebenen Zeitpunkt des Diebstahls geschrieben und veröffentlicht worden. Und obwohl jeder eine Klage erheben kann, steht die Frage, ob man sie auch gewinnen wird, auf einem anderen Blatt. Wie der Kriminalbeamte aus Bangor, Robert Welch, bestätigte, wurde die sinnlose Klage letzten Endes abgewiesen. Trotzdem zeigte dieser Vorfall auf, welche Gefahren mit dem Ruhm verbunden sind, was Douglas E. Winter in seiner Abhandlung über Misery in dem Buch Stephen King: The Art for Darkness wie folgt erklärte: Stephen King spricht nur selten über die dunkle Seite seines Erfolges - die übereifrigen Fans, die echten Geisteskranken; daß er kein Privatleben mehr hat und ständig mit dem allgegenwärtigen Gespenst der Ausbeutung konfrontiert ist ... unter dem Gewicht der ständigen Drehbuchkorrekturen und den immer größer werdenden Ansprüchen, die man an seine Zeit stellte, leidend, brachte er schließlich einen Kurzroman zum Vorschein, dessen erster Entwurf beinahe schon vollendet war, und der voller Scharfsinn die größte Gefahr seines Ruhms erkundete.
Der Kriminalbeamte aus Bangor, Detective Robert Welch, hatte gehört, daß Hiltner eine Reise nach Bangor unternehmen würde, was sie jedoch nie tat. Aber der in San Antonio, Texas, lebende Eric Keene, der in einem Fast-food-Restaurant arbeitete, beschloß, daß er seinem Autor Nummer eins einen Besuch abstatten würde. Laut Detective Welch, erzählte Keene seinem Arbeitgeber, daß er nach Bangor, Maine, gehen würde ... was er dann auch tat.
Gemäß der Bangor Daily News habe Keene sowohl Stephen Kings Geschäftsräumen in Bangor als auch Kings Privathaus im Historic District, das in der Stadt nur allzu gut bekannt war, heimgesucht. Keene "erzählte der Polizei ... daß er etwas zu tun plane, mit dem er sich ins Licht der Öffentlichkeit rücken könne."
Am 18. April 1991 marschierte Keene in Kings Büro. Die News berichteten: "Marsha DeFilippo, eine Büroangestellte, erzählt, Keene habe von King verlangt, daß er ihm ein Paar Kontaktlinsen kaufte, ihm für einige Monate Quartier gewährte und ihn mit Zigaretten und Bier versorgte."
"Er belästigte mich derart, daß ich einige Leute, die mit mir arbeiten, bat, die Polizei zu rufen, falls er noch einmal auftauchen würde", erklärte Stephen King gegenüber der News. Zwei Tage später geschah das Undenkbare. Tabitha King, die sich nicht wohl fühlte, befand sich allein zu Hause, als das Fenster zwischen der Wirklichkeit und dem Phantastischen zerbarst und die Scherben flogen. (Stephen King und einer ihrer Söhne waren in Philadelphia bei einem Basketballspiel.)
Es war sechs Uhr morgens, als Tabitha King "hörte, wie in der Küche ein Glas zerbrach." Sie dachte, "es sei das Glasregal über dem Spülbecken und ... daß die Katze dort hinaufgesprungen sei."
Im Nachthemd ging sie nach unten, um nachzusehen. Doch anstelle ihrer Katze erblickte sie Keene. "Ich hatte überhaupt keine Zeit, mich zu fürchten", erzählte Tabitha später der News. "Ich war einfach nur erschrocken. Mein Körper hatte mir die Entscheidung schon aus der Hand genommen. Ich befand mich bereits auf dem Weg zur Tür, bevor er mir sagte, daß er eine Bombe hätte."
Tabitha flüchtete in ein Nachbarshaus und rief die Polizei. Die Beamten riegelten die Straße ab und begaben sich mit einigen Polizeihunden ins Haus, die Keene dann auf dem Dachboden ausfindig machten. Der "Fernzünder", den Keene in der Hand hielt, bestand nur "aus Pappe und einigen elektronischen Teilchen aus einem Taschenrechner."
"Ich wollte einfach auf diesen Dachboden. Ich habe genau das gemacht, was ich geplant hatte, als ich dort hinaufging. Ich sah es als eine Entschädigung für all die Bemühungen, die ich unternommen hatte", erzählte Keene später der News, als er gefragt wurde, was er unternommen hätte, wenn er nicht von der Polizei entdeckt worden wäre.
"Ich weiß nicht, was ich getan hätte, aber es ist lustig, es sich vorzustellen, oder?" überlegte Keene.
Laut News war Keene "vom Dallas County für Diebstahl verurteilt und wegen guter Führung bedingt entlassen" worden. Es wurde weiterhin berichtet, daß "der Mann aus Texas sagte, die Ärzte hätten ihn für schizophren erklärt, und er nehme schon jahrelang Drogen, die ihm von den behandelnden Ärzten verschrieben wurden." Was das Motiv anbelangte, berichtete die News: "Keene meint, er wolle ein Buch mit King schreiben. Er sagt, er sei es leid, arm zu sein, und daß er aufgrund seiner Geisteskrankheit diskriminiert würde."
Vor dem Obergericht von der Penobscot County wurde Keene wegen Einbruchs und Terrorisierung angeklagt und für schuldig erklärt, woraufhin er "auf nicht schuldig des Einbruchs im Sinne der Anklage und aufgrund von Unzurechnungsfähigkeit auf unschuldig im Sinne der Anklageerhebung plädierte."
Die News fuhr fort: "Keene behauptet, er habe viele Probleme. Er fügte hinzu, daß er schon eine Menge Pläne darüber gemacht habe, was er tun wolle, wenn er jemals wieder aus dem Gefängnis kam. Er sagte, wenn er herauskomme, würde er King ein Geschenk ‚aus dem Reich des Makabren' machen."
Nach dem Vorfall, den Keene als "meine kleine Episode des Schreckens" bezeichnete, erklärte Stephen King gegenüber Journalisten: "Immerhin wohnen wir schon seit zwölf Jahren hier, und das war das erste Mal, daß jemand versucht hat, auf unserem Dachboden eine Bombe anzubringen." King, der sich weigerte, zum Gefangenen seines eigenen Erfolges zu werden, erzählte der Zeitung, daß er nur selten von Ortsansässigen belästigt würde. "Normalerweise schreiben diese Leute und kommen nicht einfach vorbei", meinte King. "Ich will nicht wie Michael Jackson leben oder wie Elvis in Graceland. Das ist ekelhaft. Es war schon schlimm genug, als wir den Zaun aufstellen mußten. Und es war sogar noch schlimmer, als wir uns ein Tor anschaffen mußten. Ich verabscheue den Gedanken daran, daß ich dieses Tor verschlossen halten muß."
News berichtete, nach dem Ereignis würden "die Sicherheitsvorkehrungen im Hause King ... erhöht." Wie sich herausstellte, sogar auf geradezu panische Weise: Der Zaun (der drei Viertel des Grundstückes einschloß) wurde erweitert, die Eingangstore wurden mit Vorhängeschlössern ausgerüstet, und die freiliegende Auffahrt wurde ebenfalls mit Toren verbarrikadiert. Wenn man zu Fuß auf das Gelände kommen wollte, mußte man durch ein separates Eingangstor neben der Einfahrt gehen; bevor man eintrat, mußte man die korrekte Codenummer in eine digitale Tastatur, die neben dem Tor angebracht war, eintippen. Kings Privathaus wurde nun zu einer Festung mit Barrikaden, die Eindringlinge fernhalten sollten - ein hoher Preis, den man, in Douglas Winters Worten, für "den Ruhm und Reichtum eines Schriftstellers" zahlen mußte.
Fünf Monate später sollte Keene an seinen Heimatstaat Texas ausgeliefert werden. Wie die News berichtete: Der Mann, der in das Haus des Autors Stephen King einbrach, hat die Stadt verlassen ... zusammen mit einer Eskorte von Polizeibeamten aus Texas [den Texas Rangers]. Keene saß seit seiner Verhaftung nach dem am 20. April verübten Einbruch im Penobscot County Jail ein ... Nachdem sein Fall während des Gerichtsverfahrens einen ungewöhnlichen Verlauf nahm, bekannte er sich schließlich des Einbruchs für schuldig, und die Anklage wegen Terrorisierens wurde fallengelassen. Ende des letzten Monats wurde er zu der Strafe verurteilt, die er bereits im Gefängnis verbracht hatte, mußte jedoch bis zur Ankunft der Polizeibeamten aus Texas dort verweilen. Während seiner zweijährigen Bewährungszeit muß sich Keene außerdem sowohl von den Kings als auch von der Penobscot County fernhalten. Keene hat behauptet, daß seine Hauptfigur [Annie Wilkes] in Stephen Kings Buch Misery nach dem Vorbild der in Texas verurteilten Kindsmörderin, Genene Jones, entstanden sei, bei der es sich, laut Keene, um seine Tante handele.
In einem Interview mit Rodney Labbe, das vier Jahre zuvor stattgefunden hatte, erklärte Tabitha King die Gefahren, die Berühmtheit und ungewollter Ruhm mit sich bringen und die ihre schlimmsten Ängste widerspiegelten: Ich glaube, daß es ziemlich krank ist, wenn Leute ersatzweise durch andere leben. John Belushi und Elvis Presley waren echte Opfer ihres Ruhms - und demzufolge auch ihrer Fans -, da ein schwacher Charakter der ewigen Schmeichlerei nichts entgegenzusetzen weiß. Geld und Ruhm ziehen die Selbstsüchtigen an, die dazu bereit sind, alles zu tun, was du willst, selbst wenn es dich verletzt oder umbringt, nur weil du dafür bezahlen kannst, oder weil du eine Berühmtheit bist. Mark Chapmans Attentat auf John Lennon war das Ergebnis dieser Heldenverehrung in einem Land, in dem geistig verwirrte Menschen ein Recht sowohl auf tödliche Waffen als auch auf den Zugang zu berühmten Leuten haben. Chapman wollte, wie er selbst zugab, einfach nur eine berühmte Person umbringen; es spielte für ihn keine Rolle, ob es John Lennon oder Paul Simon oder Steve King war - die er alle auch schon persönlich angesprochen hatte. Durch einen Mord kann der Fan sein Idol endgültig in seinen Besitz bringen. Es wird wieder passieren, solange sich Amerika weigert, der Epidemie des Mordes mit Waffen ein Ende zu setzen, und solange die von den Medien noch bekräftigte Behauptung, daß eine öffentliche Person auch öffentliches Eigentum ist, aufrechterhalten wird.
George Beahm: Stephen King. Leben und Werk, ins Deutsche übertragen von Adelheid Hartmann, Bastei Lübbe Bergisch Gladbach 1995., S. 260f., S. 293ff. und S. 301. (amerikanische Originalausgabe 1992.)
Das hört sich beinahe wie etwas aus einer Stephen-King-Geschichte an: ein Vorfall aus dem echten Leben, der sich zu phantastisch anhört, um wahr zu sein, was anscheinend auch der Fall ist. David Streitfeld schrieb in der Washington Post, zu der Zeit, als das Ereignis, laut King, stattgefunden habe "lebte Chapman in Hawaii, und seine angespannte finanzielle Situation ließ es kaum zu, daß er nach New York fliegen konnte". Streitfeld schrieb, King erinnere sich zwar daran, ein Autogramm für einen Mark Chapman unterschrieben zu haben, doch King sei sich selbst nicht sicher, ob es sich dabei um den Mark Chapman gehandelt habe.
Wie King zu seinem Schrecken feststellen mußte, lag der Nachteil des Ruhms darin, daß seine Fans ihn nicht in Ruhe lassen würden. "Es scheint, als würden eine Menge Leute irgend etwas wollen. Sie wollen ein Stück von dir ..."
Eine von ihnen, Anne Hiltner aus Trenton, New Jersey, schien direkt aus der in Langoliers gedruckten Geschichte Das geheime Fenster, der geheime Garten zu stammen. Das Leben imitierte die Kunst, als Hiltner, wie die Hauptfigur in seiner Geschichte, King eines Plagiats beschuldigte. Ganz gemäß der rhetorischen Frage, die King in seinem Vorwort zu der Geschichte stellte: "Was passiert ... wenn das Fenster zwischen der Wirklichkeit und dem Phantastischen zerbricht und die Scheiben fliegen?"
Wie King wußte, konnten die seltsamsten Dinge geschehen, wenn dieses Fenster zerbrach. In der Ausgabe vom 18. April 1991 der Newport New Daily Press berichtete der kurzgefaßte Artikel Frau Verklagt King über diese surreale Geschichte: Eine Frau verklagt den Autor Stephen King, da er sich, wie sie behauptet, ihr geistiges Eigentum angeeignet habe und die Hauptfigur in Misery (dt.: Sie) auf ihrem Leben basieren würde. Anne Hiltner behauptet außerdem, King sei in ihr Haus eingebrochen und hätte einige Manuskripte gestohlen, zu dem auch das für seinen Bestsellerroman Misery gehörte. Kings Anwalt stritt diese fälschlichen Behauptungen wütend ab. Hiltner, eine Princeton-Absolventin, verlangt Schadenersatz, einen Anteil an den Tantiemen und die Entfernung des Buches aus dem Buchhandel. Sie führt an, King habe ihr im Jahre 1986 oder 1987 acht verlagsrechtlich geschützte Manuskripte gestohlen, die teilweise von ihr und teilweise von ihrem Bruder, James Hiltner, geschrieben worden waren. Hiltner fordert, daß der Autor Teile ihrer unveröffentlichten Werke in Misery miteinbringt.
Kings Heimatzeitung, Bangor Daily News lieferte noch zusätzliche Informationen über Hiltner. John Ripley, Redaktionsmitglied der News berichtete: Anne Hiltner erhebt beim Gericht New Jerseys Anklage gegen King. Sie behauptet, der Autor aus Bangor sei in ihr Haus und einen gemieteten Lagerraum eingebrochen, um ihre Arbeiten zu stehlen. Außerdem sei King mit einem Flugzeug über ihr Haus hinweggeflogen und habe sie mit Hilfe von Abhörgeräten belauscht. Hiltner, die King bereits seit zehn Jahren regelmäßig schreibt, versichert, daß die Romanfigur Wilkes aus Misery auf ihrem Leben basiere. In einem Brief, den sie im August 1990 an die News schickte, beteuert Hiltner, sie sei das "Opfer von fünf verleumderischen Büchern Stephen Kings und über einhundertfünfzig allein im Jahre 1990 von King verübten Einbrüchen". In diesem unzusammenhängenden, unveröffentlichten Brief schreibt Hiltner weiterhin, daß sie im Juli letzten Jahres beim Bangor-Polizeidepartment Beschwerde gegen Kings kriminelle Handlungen eingelegt habe, und daß King sie daraufhin letzten August anrief. Sie beschwerte sich außerdem darüber, daß sie von Seiten der Polizei in Bangor nur wenig Hilfe erhalten habe.
Das 1984 geschriebene und 1987 veröffentlichte Buch Misery wurde 1990 für die Leinwand umgeschrieben. Der Zeitpunkt der Klageerhebung legt nahe, daß der finanzielle Erfolg des Filmes Misery und die lobenden Worte der Kritiker wahrscheinlich der Katalysator für die Klage waren. Zwei Dinge standen jedoch eindeutig fest: Der Roman Misery war vor dem von Hiltner angegebenen Zeitpunkt des Diebstahls geschrieben und veröffentlicht worden. Und obwohl jeder eine Klage erheben kann, steht die Frage, ob man sie auch gewinnen wird, auf einem anderen Blatt. Wie der Kriminalbeamte aus Bangor, Robert Welch, bestätigte, wurde die sinnlose Klage letzten Endes abgewiesen. Trotzdem zeigte dieser Vorfall auf, welche Gefahren mit dem Ruhm verbunden sind, was Douglas E. Winter in seiner Abhandlung über Misery in dem Buch Stephen King: The Art for Darkness wie folgt erklärte: Stephen King spricht nur selten über die dunkle Seite seines Erfolges - die übereifrigen Fans, die echten Geisteskranken; daß er kein Privatleben mehr hat und ständig mit dem allgegenwärtigen Gespenst der Ausbeutung konfrontiert ist ... unter dem Gewicht der ständigen Drehbuchkorrekturen und den immer größer werdenden Ansprüchen, die man an seine Zeit stellte, leidend, brachte er schließlich einen Kurzroman zum Vorschein, dessen erster Entwurf beinahe schon vollendet war, und der voller Scharfsinn die größte Gefahr seines Ruhms erkundete.
Der Kriminalbeamte aus Bangor, Detective Robert Welch, hatte gehört, daß Hiltner eine Reise nach Bangor unternehmen würde, was sie jedoch nie tat. Aber der in San Antonio, Texas, lebende Eric Keene, der in einem Fast-food-Restaurant arbeitete, beschloß, daß er seinem Autor Nummer eins einen Besuch abstatten würde. Laut Detective Welch, erzählte Keene seinem Arbeitgeber, daß er nach Bangor, Maine, gehen würde ... was er dann auch tat.
Gemäß der Bangor Daily News habe Keene sowohl Stephen Kings Geschäftsräumen in Bangor als auch Kings Privathaus im Historic District, das in der Stadt nur allzu gut bekannt war, heimgesucht. Keene "erzählte der Polizei ... daß er etwas zu tun plane, mit dem er sich ins Licht der Öffentlichkeit rücken könne."
Am 18. April 1991 marschierte Keene in Kings Büro. Die News berichteten: "Marsha DeFilippo, eine Büroangestellte, erzählt, Keene habe von King verlangt, daß er ihm ein Paar Kontaktlinsen kaufte, ihm für einige Monate Quartier gewährte und ihn mit Zigaretten und Bier versorgte."
"Er belästigte mich derart, daß ich einige Leute, die mit mir arbeiten, bat, die Polizei zu rufen, falls er noch einmal auftauchen würde", erklärte Stephen King gegenüber der News. Zwei Tage später geschah das Undenkbare. Tabitha King, die sich nicht wohl fühlte, befand sich allein zu Hause, als das Fenster zwischen der Wirklichkeit und dem Phantastischen zerbarst und die Scherben flogen. (Stephen King und einer ihrer Söhne waren in Philadelphia bei einem Basketballspiel.)
Es war sechs Uhr morgens, als Tabitha King "hörte, wie in der Küche ein Glas zerbrach." Sie dachte, "es sei das Glasregal über dem Spülbecken und ... daß die Katze dort hinaufgesprungen sei."
Im Nachthemd ging sie nach unten, um nachzusehen. Doch anstelle ihrer Katze erblickte sie Keene. "Ich hatte überhaupt keine Zeit, mich zu fürchten", erzählte Tabitha später der News. "Ich war einfach nur erschrocken. Mein Körper hatte mir die Entscheidung schon aus der Hand genommen. Ich befand mich bereits auf dem Weg zur Tür, bevor er mir sagte, daß er eine Bombe hätte."
Tabitha flüchtete in ein Nachbarshaus und rief die Polizei. Die Beamten riegelten die Straße ab und begaben sich mit einigen Polizeihunden ins Haus, die Keene dann auf dem Dachboden ausfindig machten. Der "Fernzünder", den Keene in der Hand hielt, bestand nur "aus Pappe und einigen elektronischen Teilchen aus einem Taschenrechner."
"Ich wollte einfach auf diesen Dachboden. Ich habe genau das gemacht, was ich geplant hatte, als ich dort hinaufging. Ich sah es als eine Entschädigung für all die Bemühungen, die ich unternommen hatte", erzählte Keene später der News, als er gefragt wurde, was er unternommen hätte, wenn er nicht von der Polizei entdeckt worden wäre.
"Ich weiß nicht, was ich getan hätte, aber es ist lustig, es sich vorzustellen, oder?" überlegte Keene.
Laut News war Keene "vom Dallas County für Diebstahl verurteilt und wegen guter Führung bedingt entlassen" worden. Es wurde weiterhin berichtet, daß "der Mann aus Texas sagte, die Ärzte hätten ihn für schizophren erklärt, und er nehme schon jahrelang Drogen, die ihm von den behandelnden Ärzten verschrieben wurden." Was das Motiv anbelangte, berichtete die News: "Keene meint, er wolle ein Buch mit King schreiben. Er sagt, er sei es leid, arm zu sein, und daß er aufgrund seiner Geisteskrankheit diskriminiert würde."
Vor dem Obergericht von der Penobscot County wurde Keene wegen Einbruchs und Terrorisierung angeklagt und für schuldig erklärt, woraufhin er "auf nicht schuldig des Einbruchs im Sinne der Anklage und aufgrund von Unzurechnungsfähigkeit auf unschuldig im Sinne der Anklageerhebung plädierte."
Die News fuhr fort: "Keene behauptet, er habe viele Probleme. Er fügte hinzu, daß er schon eine Menge Pläne darüber gemacht habe, was er tun wolle, wenn er jemals wieder aus dem Gefängnis kam. Er sagte, wenn er herauskomme, würde er King ein Geschenk ‚aus dem Reich des Makabren' machen."
Nach dem Vorfall, den Keene als "meine kleine Episode des Schreckens" bezeichnete, erklärte Stephen King gegenüber Journalisten: "Immerhin wohnen wir schon seit zwölf Jahren hier, und das war das erste Mal, daß jemand versucht hat, auf unserem Dachboden eine Bombe anzubringen." King, der sich weigerte, zum Gefangenen seines eigenen Erfolges zu werden, erzählte der Zeitung, daß er nur selten von Ortsansässigen belästigt würde. "Normalerweise schreiben diese Leute und kommen nicht einfach vorbei", meinte King. "Ich will nicht wie Michael Jackson leben oder wie Elvis in Graceland. Das ist ekelhaft. Es war schon schlimm genug, als wir den Zaun aufstellen mußten. Und es war sogar noch schlimmer, als wir uns ein Tor anschaffen mußten. Ich verabscheue den Gedanken daran, daß ich dieses Tor verschlossen halten muß."
News berichtete, nach dem Ereignis würden "die Sicherheitsvorkehrungen im Hause King ... erhöht." Wie sich herausstellte, sogar auf geradezu panische Weise: Der Zaun (der drei Viertel des Grundstückes einschloß) wurde erweitert, die Eingangstore wurden mit Vorhängeschlössern ausgerüstet, und die freiliegende Auffahrt wurde ebenfalls mit Toren verbarrikadiert. Wenn man zu Fuß auf das Gelände kommen wollte, mußte man durch ein separates Eingangstor neben der Einfahrt gehen; bevor man eintrat, mußte man die korrekte Codenummer in eine digitale Tastatur, die neben dem Tor angebracht war, eintippen. Kings Privathaus wurde nun zu einer Festung mit Barrikaden, die Eindringlinge fernhalten sollten - ein hoher Preis, den man, in Douglas Winters Worten, für "den Ruhm und Reichtum eines Schriftstellers" zahlen mußte.
Fünf Monate später sollte Keene an seinen Heimatstaat Texas ausgeliefert werden. Wie die News berichtete: Der Mann, der in das Haus des Autors Stephen King einbrach, hat die Stadt verlassen ... zusammen mit einer Eskorte von Polizeibeamten aus Texas [den Texas Rangers]. Keene saß seit seiner Verhaftung nach dem am 20. April verübten Einbruch im Penobscot County Jail ein ... Nachdem sein Fall während des Gerichtsverfahrens einen ungewöhnlichen Verlauf nahm, bekannte er sich schließlich des Einbruchs für schuldig, und die Anklage wegen Terrorisierens wurde fallengelassen. Ende des letzten Monats wurde er zu der Strafe verurteilt, die er bereits im Gefängnis verbracht hatte, mußte jedoch bis zur Ankunft der Polizeibeamten aus Texas dort verweilen. Während seiner zweijährigen Bewährungszeit muß sich Keene außerdem sowohl von den Kings als auch von der Penobscot County fernhalten. Keene hat behauptet, daß seine Hauptfigur [Annie Wilkes] in Stephen Kings Buch Misery nach dem Vorbild der in Texas verurteilten Kindsmörderin, Genene Jones, entstanden sei, bei der es sich, laut Keene, um seine Tante handele.
In einem Interview mit Rodney Labbe, das vier Jahre zuvor stattgefunden hatte, erklärte Tabitha King die Gefahren, die Berühmtheit und ungewollter Ruhm mit sich bringen und die ihre schlimmsten Ängste widerspiegelten: Ich glaube, daß es ziemlich krank ist, wenn Leute ersatzweise durch andere leben. John Belushi und Elvis Presley waren echte Opfer ihres Ruhms - und demzufolge auch ihrer Fans -, da ein schwacher Charakter der ewigen Schmeichlerei nichts entgegenzusetzen weiß. Geld und Ruhm ziehen die Selbstsüchtigen an, die dazu bereit sind, alles zu tun, was du willst, selbst wenn es dich verletzt oder umbringt, nur weil du dafür bezahlen kannst, oder weil du eine Berühmtheit bist. Mark Chapmans Attentat auf John Lennon war das Ergebnis dieser Heldenverehrung in einem Land, in dem geistig verwirrte Menschen ein Recht sowohl auf tödliche Waffen als auch auf den Zugang zu berühmten Leuten haben. Chapman wollte, wie er selbst zugab, einfach nur eine berühmte Person umbringen; es spielte für ihn keine Rolle, ob es John Lennon oder Paul Simon oder Steve King war - die er alle auch schon persönlich angesprochen hatte. Durch einen Mord kann der Fan sein Idol endgültig in seinen Besitz bringen. Es wird wieder passieren, solange sich Amerika weigert, der Epidemie des Mordes mit Waffen ein Ende zu setzen, und solange die von den Medien noch bekräftigte Behauptung, daß eine öffentliche Person auch öffentliches Eigentum ist, aufrechterhalten wird.
George Beahm: Stephen King. Leben und Werk, ins Deutsche übertragen von Adelheid Hartmann, Bastei Lübbe Bergisch Gladbach 1995., S. 260f., S. 293ff. und S. 301. (amerikanische Originalausgabe 1992.)