Schauspiel
Die Prinzessin und der Pjär
Schauspiel von Milena Baisch für Menschen ab 10Freitagnachmittag – Schulschluss. Doch für Lisasophie ist der Tag noch nicht zu Ende. Die wichtigste Geigenstunde ihres Lebens findet an diesem Nachmittag statt. Hätte sie nur nicht ihre Geige auf der Mädchentoilette vergessen …
Sie rennt zurück in die Mädchentoilette, um sie zu holen, und dann passiert es: Sie wird auf der Toilette, in der bereits leeren Schule eingesperrt – allein. Oder nicht? Da ist doch jemand. Und tatsächlich: Mit ihr eingeschlossen wurde Pierre. Die beiden gehen in die gleiche Klasse, könnten aber unterschiedlicher nicht sein. Lisasophie ist eine Musterschülerin – Pierre hingegen schreibt am laufenden Band Fünfen.
Doch nun heißt es die Köpfe zusammenstecken und eine Lösung finden, sonst müssen sie das Wochenende wohl oder übel auf der Schultoilette verbringen.
Bereits 2014 wurde die Autorin Milena Baisch für „Die Prinzessin und der Pjär“ bei den Mülheimer Theatertagen mit dem KinderStückePreis ausgezeichnet.
Premiere: 26. Februar 2020, 10:30 Uhr
Abgespielt. (letzte Aufführung am 29.März 2022)
Sie rennt zurück in die Mädchentoilette, um sie zu holen, und dann passiert es: Sie wird auf der Toilette, in der bereits leeren Schule eingesperrt – allein. Oder nicht? Da ist doch jemand. Und tatsächlich: Mit ihr eingeschlossen wurde Pierre. Die beiden gehen in die gleiche Klasse, könnten aber unterschiedlicher nicht sein. Lisasophie ist eine Musterschülerin – Pierre hingegen schreibt am laufenden Band Fünfen.
Doch nun heißt es die Köpfe zusammenstecken und eine Lösung finden, sonst müssen sie das Wochenende wohl oder übel auf der Schultoilette verbringen.
Bereits 2014 wurde die Autorin Milena Baisch für „Die Prinzessin und der Pjär“ bei den Mülheimer Theatertagen mit dem KinderStückePreis ausgezeichnet.
Premiere: 26. Februar 2020, 10:30 Uhr
Abgespielt. (letzte Aufführung am 29.März 2022)
Milena Baisch
Die Prinzessin und der Pjär
© Verlag der Autoren Frankfurt am Main, 2013
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung und Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und andere audiovisuelle Medien, auch einzelner Abschnitte. Das Recht der Aufführung ist nur zu erwerben von der
VERLAG DER AUTOREN GmbH & Co. KG
Taunusstraße 19, 60329 Frankfurt am Main
Tel. 069/238574-20, Fax 069/24277644
Email: theater@verlagderautoren.de
www.verlagderautoren.de
PERSONEN
LISASOPHIE Teske, 10 Jahre, geht in die 5b
PIERRE Bormannsky, 10 Jahre, geht in die 5b
EINS
Eine Schultoilette mit zwei Kabinen, Waschbecken, Spiegel, Fenster. Eine der Kabinen ist verschlossen. Ein Handy klingelt.
LISASOPHIE
(aus der verschlossenen Kabine) Hallo... Mhm... Ich bin auf dem Klo... Ja, die haben wir heute zurückgekriegt. Ich habe eine Eins minus... Danke... Das war bei der Aufgabe mit den Minuszeichen. Ich hatte mit Minus multipliziert, obwohl keine Klammer war... Ja, danke. Dankeschön... War ja nicht so schwer... Nein, ich bin auf dem Klo, auf der Toilette... Ja, bis nachher!
Die Geräusche von Hose zumachen, abspülen. Lisasophie kommt aus der Kabine, wäscht sich eilig die Hände und geht raus.
Pierre rennt rein, in die Kabine, schließt ab.
Lisasophie kommt zurück, blickt sich suchend um. Wartet vor der verschlossenen Tür.
LISASOPHIE
Entschuldigung?
Stille.
LISASOPHIE
Ist da jemand?
PIERRE
Mhm.
LISASOPHIE
Ich hab meine Geige vergessen, und jetzt ist die noch da drin. Rechts von dir, da wo die Füße sind, da muss der Geigenkoffer stehen. Schwarz und eine türkise Schleife...
PIERRE
Mhm.
LISASOPHIE
Okay. (Pause) Äh... hallo? ... Du? ...
PIERRE
Mhm.
LISASOPHIE
Mein Bus fährt gleich.
Der Geigenkoffer wird aus der Kabine rausgeschoben.
LISASOPHIE
Danke.
PIERRE
Mhm.
LISASOPHIE
Ist dir schlecht? Kann ich helfen?
Sie kniet sich vor die Kabine, lugt darunter.
PIERRE
M-hm! (mit verstellter Stimme) Alles gut!
Lisasophie macht amüsiert eine Ballaballa-Geste. Will mit der Geige gehen, hält dann aber inne. Sie schleicht nochmal zurück und guckt vorsichtig unter die Kabine.
LISASOPHIE
(zu sich selbst) Moment mal.
PIERRE
Bist du noch da?
Lisasophie schleicht in die Nebenkabine, klettert aufs Klo, lugt über den Rand.
LISASOPHIE
HAAA!
PIERRE
Aaahhh!!!
LISASOPHIE
Ich wusste es. Die Riesenfüße. Kein Mädchen auf der Welt hat so große Füße!
PIERRE!
PIERRE
Aaaaaahhhh!
LISASOPHIE
Was machst du hier?! Ein Junge auf dem Mädchenklo. Igitt. Und ich dachte, du wärst ein Mädchen, das kotzen muss.
Ihr Blick fällt aus dem Fenster.
LISASOPHIE
Oh, nein. Bitte nicht. Verdammt! (hämmert verärgert gegen Pierres Tür) Jetzt hab ich den Bus verpasst! Dankeschön.
PIERRE
Entschuldigung.
LISASOPHIE
Ich hab Geigen!
PIERRE
Oh.
LISASOPHIE
Was war das?
PIERRE
Brotdose runtergefallen. Nicht schlimm.
LISASOPHIE
Also, ich hau ab.
PIERRE
Lisasophie!
LISASOPHIE
Was?
PIERRE
Ich wollte sagen: ich bin aus Versehen hier. Hab mich mit der Tür vertan.
LISASOPHIE
(ironisch) Alles klar. Tschüss, Pierre! (telefoniert) Mama? Och, Mensch, warum gehst du jetzt nicht ran. Mein Guthaben ist gleich leer. Also wenn du das hörst, dann sag bitte Herrn Schneider, dass ich den Bus verpasst habe, aber dass ich mich be... Hallo? Oh, nein. Toll.
Sie steckt das Handy weg, weil das Guthaben leer ist. Dann will sie raus, aber die Tür bleibt zu. Während Pierre - sich alleine glaubend - in der Kabine vor sich hin flucht und jammert und die Mathearbeit abspült, versucht Lisasophie erfolglos, die Tür aufzukriegen.
ZWEI
LISASOPHIE
Pierre?
PIERRE
Aaahh!
LISASOPHIE
Jetzt beruhig dich doch mal.
PIERRE
Ich dachte, du bist längst weg!
LISASOPHIE
Ich wäre liebend gerne weg, nur leider ist die Tür zu.
Pierre kommt aus der Kabine, versucht sich erfolglos an der Tür.
Lisasophie öffnet das Fenster.
LISASOPHIE
Schließt Herr Zagel denn die Toiletten alle einzeln ab? Hat er nicht gemerkt, dass wir noch hier drin sind? (nach draußen) Hallo? Haaallooo!
Pierre weiß überhaupt nicht, wohin, will auch ans Fenster, traut sich aber nicht, sie zu stören und wartet. Sie merkt, dass er sie anguckt und findet es unangenehm.
LISASOPHIE
Ist irgendwas?
PIERRE
Entschuldigung.
LISASOPHIE
Das darf nicht wahr sein. Heute ist die wichtigste Geigenstunde meines Lebens. Die fängt gleich an, und ich bin im Klo eingesperrt.
Sie geht zur Tür, rüttelt ungeduldig daran. Pierre guckt aus dem Fenster.
LISASOPHIE
Manno! Macht doch mal auf!
PIERRE
Die Regenrinne ist zu weit weg, wir haben auch kein Seil.
Jetzt will er an die Tür, wo wieder sie ist. Die beiden gehen sich so maximal wie möglich aus dem Weg. Er holt Schlüssel, Federmappe u.ä. aus seiner Tasche.
PIERRE
Hast du ein Taschenmesser?
LISASOPHIE
Hast du kein Handy? Mein Guthaben ist leer.
PIERRE
Nein. Einen starken Magneten vielleicht?
LISASOPHIE
Meine Mutter ruft gleich an. (platziert das Handy gut)
PIERRE
Dann sag ihr bitte, dass du auf der Mädchentoilette eingesperrt bist.
LISASOPHIE
Stimmt, gute Idee. (macht Ballaballa-Geste)
Sie beobachtet „den Freak“, der jetzt einen Dietrich aus aufgebogenen Kugelschreiberfedern u. ä. baut. Etwas geht kaputt.
PIERRE
Mist.
LISASOPHIE
Was mach ich denn jetzt, Mensch? (packt ihre Geige aus) Ausgerechnet heute!
PIERRE
Okay. Ich lasse mir was einfallen. Und du... Spielst du jetzt Geige?
Lisasophie stimmt die Geige. Pierre versucht, bei seinen Schlossknackversuchen keine Geräusche zu machen, um sie nicht beim Geigen zu stören. Dadurch passiert es erst recht.
LISASOPHIE
Hallo, ich ÜBE.
Sie versucht krampfhaft aber erfolglos, ihn zu ignorieren. Wenn sie plötzlich einen Ton spielt, erschrickt er und lässt was fallen usw. Schließlich gibt er auf und fängt stattdessen an, Klopapier zu beschriften. Lisasophie spielt verbissen.
Als er mit der fertigen Fahne an ihr vorbeikommt, liest sie und hält erstaunt inne.
LISASOPHIE
HILFE, HIER SIND KINDER DRIN?
Pierre befestigt die Schriftfahne außen am Fenster.
PIERRE
Vielleicht sieht es einer. (ruft raus) Achtung, Notfall im zweiten Obergeschoss!
LISASOPHIE
Eingesperrt mit „Pjär, dem Bär“.
Pierre zieht seinen Pullover aus, um ihn ebenfalls draußen aufzuhängen.
LISASOPHIE
Du...?
PIERRE
Damit es mehr auffällt. Wenn man einen Pullover am Fenster sieht, wundert man sich.
LISASOPHIE
Was machst du hier eigentlich?
PIERRE
Ich will raus.
LISASOPHIE
Ich meine, auf dem Mädchenklo.
PIERRE
Tu einfach so, als ob ich nicht hier gewesen wäre. (beginnt sein rotes T-Shirt auszuziehen) Rot ist gut, wie ein Alarm.
LISASOPHIE
Du bist aber nicht... Ich meine, es ist Zufall, dass ich auch hier war, oder?
PIERRE
Du hast doch die Geige vergessen.
LISASOPHIE
Ja, aber vorher. Da war ich ganz normal hier, und du bist nicht deswegen... taps taps taps hier reingegangen?
PIERRE
Was meinst du?
LISASOPHIE
Bist du mir hinterher geschlichen?
Pierre erstarrt entsetzt. Zieht schnell sein T-Shirt wieder an.
PIERRE
Was?
LISASOPHIE
Schon gut. War nur eine Frage.
PIERRE
Es ist wegen was anderem. Nicht wegen dir. Ich darf nicht darüber sprechen, aber glaube mir. Ganz bestimmt. Oh, nein.
LISASOPHIE
Schon gut!
Er tritt auf seine Trinkflasche.
PIERRE
Oh, nein. Entschuldigung.
LISASOPHIE
War doch deine eigene. Hier klebts jetzt.
Das Getränk läuft aus. Lisasophie rollt Klopapier ab und schmeißt es drauf.
Pierre wischt.
LISASOPHIE
Schuhgröße 41.
PIERRE
Woher weißt du das?
LISASOPHIE
Das hast du mir selber gesagt. Nachdem du auf meine Lieblingshaarspange getreten bist.
Sie hilft ihm, das vollgesaugte Klopapier einzusammeln. Sie schmeißt es in „sein“ Klo und spült ab.
LISASOPHIE
Bitteschön.
Das Klo macht gurgelnde Geräusche.
LISASOPHIE
Pscht!
PIERRE
Da ist nichts! Alles gut!
LISASOPHIE
Aber das Klo -
Vorsichtig hebt sie den Deckel.
LISASOPHIE
Uuaahhh...
Pierre will den Deckel wieder zumachen.
LISASOPHIE
Es ist verstopft.
Pierre drückt schnell auf die Spülung.
LISASOPHIE
Nicht drücken! Pierre, denk doch EIN MAL nach.
Das Klo macht noch unheimlichere Geräusche. Die Kinder weichen zurück. Dann hören die Geräusche auf. Pierre will gehen.
PIERRE
Okay.
LISASOPHIE
Komisch...
Sie hebt den Deckel.
LISASOPHIE
Da ist was drin.
Pierre macht wieder zu.
LISASOPHIE
Guck mal.
PIERRE
Es rutscht noch runter.
LISASOPHIE
Das ist Papier. Aber kein Klopapier.
PIERRE
Mach wieder weg.
LISASOPHIE
Hier steht was drauf. Guck doch mal. Es ist richtiges Papier.
PIERRE
Mach es weg!
LISASOPHIE
Hier stehen sogar Zahlen drauf. Und rote Fehler. Mensch, Pierre! Das sieht aus wie eine Mathearbeit.
PIERRE
Schmeiß zurück, hab ich gesagt!
LISASOPHIE
Und hier, auf dem anderen Blatt. - Äh, bäh, das tropft. - Da steht noch mehr Rotes. Und hier die Note: ... ELHAFT. MANGELHAFT. Oh, eine Fünf. (liest) Minus acht mal minus drei gleich minus 28. Das ist ja total daneben.
PIERRE
(aus dem Fenster) Hilfe!
DREI
LISASOPHIE
Ist das deine?
Keine Antwort.
LISASOPHIE
Also ja.
PIERRE
Nein!
LISASOPHIE
Pierre, ich bin doch nicht doof. Die Aufgabe kenne ich. Die hatten wir alle...
PIERRE
Es war so: ich musste mal. Als ich zum Klo kam, war der Sitz hochgeklappt. Ich musste mich runterbeugen, um ihn umzuklappen. Meinen Ranzen hatte ich noch auf. Er war offen, und als ich mich runtergebeugt habe, ist die Mathearbeit von hinten, also oben über meinen Kopf rüber rausgerutscht. Da rein. Aus Versehen.
LISASOPHIE
Aha.
PIERRE
Ich konnte sie doch nicht wieder rausholen. Klowasser, das ist schmutzig. Man kann Krankheiten kriegen. Das rutscht noch runter. Ich glaube, das Wasser kann die Mathearbeit einweichen...
LISASOPHIE
Hast du echt eine Fünf?
PIERRE
Hoffentlich schimpft Herr Zagel nicht.
LISASOPHIE
Ist es schlimm?
PIERRE
Schlimm?
LISASOPHIE
Wie ist das, wenn man eine Fünf hat?
Pierre zuckt mit den Schultern.
LISASOPHIE
Du hast es doch gerade noch gehabt. Heute Morgen. Warst du traurig? Oder wütend? Oder demotiviert?
PIERRE
Demoliert...?
LISASOPHIE
Demotiviert. Oh, Mann. Das muss krass sein.
PIERRE
Weiß nicht.
LISASOPHIE
Du hast so was Spannendes erlebt, und du weißt nicht, wie es ist?
Pierre sucht nach Worten.
LISASOPHIE
Ich glaube, du bist traurig. Das ist wirklich doof. Du brauchst eine kleine Aufmunterung. Ein Trösterchen. Ich habe noch Kekse, die musst du jetzt erst mal essen. Mit Schokolade, guck. Nichts ist für immer schlimm. Wenn es bergab geht, geht es auch wieder bergauf. Nimm ruhig, du kannst alle haben.
PIERRE
Nein, danke.
LISASOPHIE
Was?
PIERRE
Zucker ist schlecht fürs Gehirn. Besser sind Obst oder Kohlenhydrate. Oder Nüsse.
LISASOPHIE
Wer sagt denn so was?
PIERRE
Steht im Internet.
LISASOPHIE
Jedenfalls musst du nicht den Kopf hängen lassen. Man braucht ja nicht überall gute Noten. Was willst du zum Beispiel mal werden?
PIERRE
Wachleiter Katastrophenschutz.
LISASOPHIE
Ja, guck. Da muss man sich bestimmt eher mit Katastrophen auskennen. Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Dann guckst du dir die Fehler in der Mathearbeit an und siehst, dass das gar nicht so schwer war. Und beim nächsten Mal machst du sie einfach nicht wieder.
PIERRE
Die Fehler kann man nicht angucken! (stolz) Sie sind nass.
LISASOPHIE
Ach, ja. Aber das mit dem minus acht mal minus drei...
PIERRE
Das kann man nicht lesen, es ist alles nass! Und von Klowasser kriegt man Krankheiten!
LISASOPHIE
Du scheinst ja direkt stolz drauf zu sein, dass deine Mathearbeit die Toilette verstopft.
Sie hält inne, betrachtet nachdenklich Pierre. Dann steht sie auf und stellt die Situation nach: Schultasche aufsetzen, Deckel auflassen, sich runterbeugen, gucken, ob über den Kopf rüber was rausrutscht. Es kullert alles Mögliche raus, Lisasophie kippt fast um, aber keine Mathearbeit.
LISASOPHIE
Meine Mathearbeit ist drin geblieben.
PIERRE
Ist ja auch eine Eins.
LISASOPHIE
Ich glaube, ich habe dich durchschaut.
PIERRE
Nein.
LISASOPHIE
Doch. Du hast nämlich so gemacht!
Sie nimmt ihre Mathearbeit raus und tut so, als ob sie sie mit voller Absicht ins Klo schmeißt. Pierre springt auf, reißt ihr im letzten Moment die Arbeit weg.
PIERRE
Nicht!
LISASOPHIE
Stimmt‘s? Es stimmt, oder?
PIERRE
(betrachtet verträumt die Eins in seiner Hand) Sehr gut.
LISASOPHIE
Das war nicht schwer rauszukriegen.
PIERRE
Sie ist aus Versehen reingefallen.
LISASOPHIE
Pierre, der Bär. Boa, das werden mir Alina und Mia nie glauben.
PIERRE
Keinem sagen! Bitte.
LISASOPHIE
Jetzt hast du es zugegeben! Echt. Es stimmt. Ich glaube es nicht. Hast du echt? Die MATHEARBEIT? Ins Klo?!
Pierre versucht erfolglos, dem Verhör zu entgehen.
LISASOPHIE
Und warum ausgerechnet ins Mädchenklo? Um Spuren zu verwischen? Oder war nur das Klopapier alle? Dachtest du, die Fünf verschwindet, wenn man sie im Klo abspült? Aber Frau Kuhlig, die schreibt sich alle Noten in ihr kleines Buch, und da steht schon deine Fünf.
PIERRE
Ich weiß.
LISASOPHIE
Das hat noch nie einer gemacht.
Pierre zögert, stopft sich dann trotzig Kekse in den Mund.
LISASOPHIE
Dass du dich das getraut hast. (beobachtet ihn) Pierre...? Vielleicht solltest du nicht alle Kekse auf einmal... Dein Gehirn...
PIERRE
Ich bleibe bestimmt sitzen.
LISASOPHIE
(schockiert) Was?
VIER
LISASOPHIE
Du kriegst bestimmt noch eine Chance. Wenn du dich gut im Unterricht beteiligst. Vielleicht kannst du eine extra Aufgabe machen. Was basteln...
PIERRE
Es sind zu viele Fünfen.
Er geht planlos herum und sucht nach Beschäftigung. Lisasophie glotzt ihn fasziniert an.
LISASOPHIE
Oh my God. Sitzenbleiben.
PIERRE
Wollen wir mal was anderes machen?
LISASOPHIE
Dann kommst du in eine neue Klasse.
PIERRE
Vielleicht was spielen oder so? Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist... weiß.
LISASOPHIE
Die Tür?
PIERRE
Mist.
LISASOPHIE
Lag es wirklich nur an der einen Mathearbeit? Vielleicht kannst du sie nochmal schreiben.
PIERRE
Schiffe versenken? Käsekästchen? (fühlt sich beobachtet) Was ist?
LISASOPHIE
Nix.
PIERRE
Wir spielen einfach... wir sind eingesperrt.
LISASOPHIE
Was?
PIERRE
Ja, von Cyberrittern. Die haben uns mit einem Raumschiff entführt und in diesen Turm gesperrt.
LISASOPHIE
Nein, danke.
Sie nimmt wieder ihre Geige.
PIERRE
Du bist die Prinzessin. Du sitzt am Fenster und spielst traurige Lieder mit deiner Geige.
LISASOPHIE
Bist du dann wieder der Bär?
PIERRE
Heute nicht.
LISASOPHIE
Das passt aber so gut, wegen den großen Füßen.
PIERRE
Ich bin ein Ritter.
LISASOPHIE
Schade, dass wir nicht in unser Klassenzimmer können, da liegen noch die Kostüme.
PIERRE
Nee, ein Retter.
LISASOPHIE
Dafür sieht man uns bald im Internet! Mein Vater hat unser Theaterstück beim Schulfest gefilmt und jetzt stellt er es auf YouTube.
PIERRE
Unser Theaterstück?!
LISASOPHIE
Das kann bald jeder sehen.
PIERRE
Dann wirst du berühmt.
LISASOPHIE
Du auch. Die ganze Klasse.
PIERRE
Aber du wirst am berühmtesten, weil du die Hauptrolle hattest. Prinzessin Liliane.
Lisasophie beginnt, die Rolle von Prinzessin Liliane einzunehmen. Pierre nimmt eine Klobürste, macht sie sauber und trocken.
PIERRE
Mein Onkel hat auch schon mal was auf YouTube gestellt.
LISASOPHIE
Echt? Was Lustiges?
PIERRE
Einen Film, als er auf dem Nürburgring gefahren ist, beim Touristentag. Mit seinem Mitsubishi Pajero, das ist ein Geländewagen mit 200 PS.
LISASOPHIE
Aha. (als Prinzessin, lustlos) Edler Ritter, wann werden wir befreit?
PIERRE
Du kannst auch was anderes sein. Gänsemagd oder Fee. Oder eine Fee, die sich als Gänsemagd verkleidet. (Klobürste als Funkgerät) Achtung, Mayday. Alpha an Beta.
LISASOPHIE
Dann bin ich eine aus dem Wald.
PIERRE
Was aus dem Wald?
LISASOPHIE
Ein Mädchen.
Sie verstrubbelt ihre Haare.
PIERRE
Ich bereite eine Luftrettung vor. Achtung, Achtung. Notrufkoordinaten 48/13. (zu Lisasophie) Du musst noch besondere Kräfte haben. (ins Funkgerät) Anflug Schulhof starten. Heli 1 Nord-Nordwest.
Sie beobachtet den freakigen Pierre, der konzentriert in die Klobürste funkt.
LISASOPHIE
Was mache ich hier eigentlich?
PIERRE
Deine besondere Kraft ist, dass du wie ein Tier sein kannst. Okay? Wenn Angreifer kommen, kannst du an deinen Händen so Krallen ausfahren. Du kannst von der Klotür runterspringen auf den Angreifer wie ein Panther.
LISASOPHIE
(ist unsicher, ob sie sich drauf einlassen soll, darum wie eine Erwachsene) Du hast ja Ideen.
PIERRE
Guck mal, da draußen! Eine Taube!!
LISASOPHIE
(ironisch) Toll...
PIERRE
Los! Mädchen aus dem Wald! Du musst die Taube anlocken. Du kannst ihre Sprache sprechen.
LISASOPHIE
Pierre...
PIERRE
Mach schon! Sonst ist sie gleich wieder weg! Wir müssen ihr einen Brief an den Fuß binden.
LISASOPHIE
Einen Brief? Du meinst: Brieftaube? (sie zögert, beschließt dann, dass man es versuchen könnte. stammelt verlegen in Vogelsprache los)
PIERRE
Los, weiter!
LISASOPHIE
(redet wieder Vogelsprache, kommt immer mehr rein, ruft schließlich befreit Phantasiewörter in den Himmel)
PIERRE
Cool.
LISASOPHIE
Sie guckt zu uns rüber. (ruft was Liebevolles in Vogelsprache)
PIERRE
Sie fliegt wieder los! Sie kommt zu uns!
Beide verfolgen gebannt das Näherkommen der Taube, während Lisasophie selbstvergessen weiter Vogeltext ruft. Dann: Enttäuschung, weil die Taube wegfliegt.
PIERRE UND LISASOPHIE
Ohhh... Weg. Och, Mann...
FÜNF
PIERRE
Du kannst echt gut mit Tauben reden.
LISASOPHIE
Vielleicht hat sie mich falsch verstanden. Sie ist ja weggeflogen.
PIERRE
Vielleicht, um Hilfe zu holen?
LISASOPHIE
Bestimmt.
PIERRE
Übst du das im Garten?
LISASOPHIE
Was?
PIERRE
Ich hab das mal gesehen. Und da habe ich schon gedacht, Mensch, das kann sie aber echt gut.
LISASOPHIE
Wovon redest du?
PIERRE
Von der Tiersprache. Oder was das auch ist. Neulich warst du auf dem Baum bei euch im Garten und hast komische Sachen gesagt. Aber es war gar keiner da.
LISASOPHIE
Niemals!
PIERRE
Vielleicht hast du mit den Vögeln geredet.
LISASOPHIE
Du spinnst. Du hast verrückte Einbildungen.
PIERRE
Dann hast du es schon vergessen. Ist nicht wichtig.
LISASOPHIE
Schleichst du mir nach?
PIERRE
Ich habe an eurer Tür geklingelt.
LISASOPHIE
Also ja!
PIERRE
Aber es hat keiner aufgemacht. Und dann wollte ich gehen, aber ich habe deine Stimme gehört und hab durch den Busch gesehen...
LISASOPHIE
Durch den Busch!!! Du kriechst bei anderen Leuten durch die Büsche? Und beobachtest sie heimlich? Bist du ein Spanner oder so was? Ein Perverser?
PIERRE
Nein! Ich bin gleich abgehauen, weil ich dich nicht stören wollte.
LISASOPHIE
Dann stimmt es, was die anderen sagen. Und ich habe so gehofft, dass es nicht stimmt. Bitte nein.
PIERRE
Was denn?
LISASOPHIE
„Pjär ist hinter dir här.“ Schon mal gehört? Hm? Schon mal gehört? Meinst du, es macht Spaß, sich so was anzuhören?
PIERRE
Hinter dir her?
LISASOPHIE
Sogar bis nach Hause.
PIERRE
Aber warum?
LISASOPHIE
Wenn das nochmal vorkommt, dann rufe ich die Polizei, Pierre.
PIERRE
Aber warum soll ich hinter dir her sein?
LISASOPHIE
Warum wohl!
PIERRE
Denken die, ich wollte dir was klauen?
LISASOPHIE
Oh, wie kann man so bescheuert sein! Hallo! Hinter jemand her sein! Das heißt: verliebt!
PIERRE
Verliebt.
Vor Schreck versucht er zu fliehen. Aber er findet keinen Ausweg.
PIERRE
Ich bin nicht... nein...
LISASOPHIE
Komm, jeder weiß das. In der Schule starrst du mich die ganze Zeit an. So sitzt du da und glotzt.
PIERRE
Verliebt?
LISASOPHIE
Hör mal. Mach dir bitte keine Hoffnungen. Du bist ja schon nett und so, aber um mit jemandem zu gehen...
PIERRE
NEIN! Das ist falsch. Ich gucke dich manchmal an, aber es ist ganz anders. Sei beruhigt, ich untersuche dich nur.
LISASOPHIE
Was?
PIERRE
Ja, ich habe schon viele Ergebnisse. Wenn du es nicht glaubst, zeige ich sie dir. Ich untersuche alles, was du in der Schule machst. Zum Beispiel in Englisch, da stützt du den Kopf auf die linke Hand und malst Kringel. In Mathe wippst du mit dem Fuß, und in Musik drehst du immer die Haare so um den Finger. Manchmal schwätzt du da auch mit deinen Freundinnen. Seit drei Wochen schreibst du mit rosa Tinte, davor hattest du grüne. Und wenn du was von der Tafel abschreibst, dann guckst du immer ganz schnell vom Heft zur Tafel, vom Heft zur Tafel. Zack, zack, zack.
LISASOPHIE
Wie bitte?
PIERRE
Und du dachtest schon... Also nein! Verliebt...
LISASOPHIE
Ich weiß, wer untersucht werden muss, und zwar ganz dringend. Du bist ja nicht ganz dicht hier drin.
PIERRE
Ich?
LISASOPHIE
Wäre nichts Neues. Ich meine, du warst schon immer ein bisschen... Pierre, der Bär. Allein der Name! Auf Französisch.
Sie nimmt einen Stift und schreibt an den Spiegel „Pierre“ und „Pjär“.
LISASOPHIE
Was heißt das?
PIERRE
Pierre. Meine Mutter findet das schön.
LISASOPHIE
Und das?
PIERRE
Pjär.
LISASOPHIE
Je m‘appelle Pierre...
PIERRE
Wie bitte?
LISASOPHIE
Und dann schleichst du dich noch wie ein Perverser aufs Mädchenklo. Du wolltest bestimmt durchs Schlüsselloch gucken, wenn ein Mädchen mal muss.
PIERRE
Ich konnte nicht aufs Jungenklo, weil da Jungen waren.
LISASOPHIE
Wehe, du glotzt mich nochmal an.
PIERRE
Davor musst du keine Angst haben! Ich höre auf mit den Untersuchungen. Ab sofort. Es hat ja nicht geklappt.
LISASOPHIE
Was kann bei einer Untersuchung nicht klappen?
Pierre zeigt stumm auf das Klo mit der eingeweichten Mathearbeit.
LISASOPHIE
Wolltest du besser in der Schule werden, wenn du mich untersuchst?
PIERRE
Ja.
LISASOPHIE
(braucht einen Moment, um das zu begreifen) Du hast mich nachgemacht?
PIERRE
Ich würde so gerne auch mal die Sachen gleich verstehen, wenn die Lehrer sie erklären.
LISASOPHIE
Das ist schlimmer als verliebt sein! Du bist irre! Ein Verrückter! MAMA!!!
Sie rennt mit voller Wucht gegen die Tür, um sie auf zu rammen.
PIERRE
Die Tür geht nach innen auf. Außerdem bin ich nicht verrückt. Jedenfalls nicht so, dass ich Eiapopeia auf dem Baum mache.
LISASOPHIE
(erschöpft) Jetzt redet er auch noch Schwachsinn.
PIERRE
Nein, du! Du setzt dich auf einen Baum und führst Selbstgespräche. Oder redest mit Vögeln. Wie verrückt ist das denn? (äfft sie nach, die Vogelsprache und Wörter, an die er sich aus dem Garten zu erinnern versucht) Eiapopeia! Posischlosi... Eipopei...
LISASOPHIE
(erschrocken, leise) Eihposa.
PIERRE
Ja, genau! Das hast du immer gesagt! Echt verrückt.
SECHS
LISASOPHIE
Pierre?
PIERRE
Der Bär, hähähä.
LISASOPHIE
Pierre?
PIERRE
Ist nicht hinter dir her! Wer? Der? Grizzlybär? Eisbär? Scheißbär?
LISASOPHIE
Hör doch mal zu!
Pierre guckt extra weg.
LISASOPHIE
Guck mich an.
Er guckt nicht.
LISASOPHIE
Du musst mir was schwören. Bitte. Es ist sehr wichtig für mich. Sehr, sehr, sehr.
PIERRE
Reimt sich auf Pierre.
LISASOPHIE
Schwöre, dass du NIEMANDEM sagst, was du gesehen hast. Und was du gehört hast.
PIERRE
Warum?
LISASOPHIE
Tut nichts zur Sache. Schwör es.
PIERRE
Nein.
LISASOPHIE
Doch.
PIERRE
Nein.
Er kontrolliert unbekümmert seine Fahnen am Fenster. Lisasophie verzweifelt, bis sie eine Idee hat.
LISASOPHIE
Sonst erzähl ich den anderen, dass du auf dem Mädchenklo warst.
PIERRE
Nein!
LISASOPHIE
Doch.
Pierre verzweifelt, bis er eine Idee hat. Er hebt den Deckel vom heilen Klo.
PIERRE
Schwör, dass du das keinem sagst.
LISASOPHIE
Und dann schwörst du auch?
PIERRE
Erst du.
LISASOPHIE
Wenn ich mitkriege, dass du irgendjemandem auch nur ein Sterbenswörtchen von einem Baum oder einem Vogel oder sonst was sagst, dann schwör ich dir, dann weiß SOFORT die ganze Schule, dass du aufs Mädchenklo gehst.
PIERRE
Andersrum gilt das Gleiche. Wir schwören da rein.
LISASOPHIE
Okay.
Lisasophie kniet sich vor die Toilette.
LISASOPHIE
Ich mein es ernst.
PIERRE
Ich auch.
LISASOPHIE
Okay. (in die Keramik) Ich schwöre, dass Pierre Bormannsky niemals auf dem Mädchenklo war.
Sie tauschen.
PIERRE
(in die Keramik) Ich schwöre, dass Lisasophie Teske nicht auf dem Baum sitzt und ausgedachte Wörter sagt.
LISASOPHIE
Okay.
PIERRE
Okay.
Sie schlägt den Deckel zu. Er drückt die Spülung.
SIEBEN
Verlegenheit. Sie versuchen, sich gegenseitig zu ignorieren. Lisasophie übt Geige, Pierre optimiert seine Fahnen. Nach einigem Zögern geht Pierre in die Toilettenkabine und schließt ab. Die Geräusche stören Lisasophie beim Spielen. Als sie wieder mal neu ansetzen muss, realisiert sie, dass er ernsthaft auf die Toilette geht. Man hört seinen Reißverschluss. Sie erschrickt und versucht von nun an, den Bogen keine Sekunde abzusetzen. Dadurch kann sie nicht mehr ihre Tonleitern spielen, sondern nur wirre lange Töne, Hauptsache, es entstehen keine stillen Lücken. Einmal rutscht ihr der Bogen ab, in der kurzen Pause fängt Pierre an zu hüsteln und zu rascheln. Bei der nächsten kleinen Pause passiert es, trotz aller Vorsicht, dass ein ganz leises Pieseln zu hören ist. Schlagartig schrammelt Lisasophie auf der Geige los und Pierre scheppert gegen irgendetwas. Als Lisasophie sich von dem Schreck erholt hat, beginnt sie Spaß daran zu finden. Sie spielt nur das Ende vom Stück, zögert dann den letzten Ton aber ewig raus. Sie unterbricht plötzlich und freut sich über sein Geschepper, das schlagartig einsetzt. Sie amüsiert sich über ihre Streiche. Als sie glaubt, dass er fertig ist, spielt sie „ganz normal“ scheinheilig weiter. Plötzlich kommt ein völlig unerwartetes Scheppern aus dem Klo, das Lisasophie rausbringt: der Punkt ging an Pierre. Kurz danach verlässt er scheinheilig die Kabine. Beide weichen sich aus, tun so, als ob nichts gewesen wäre.
ACHT
Lisasophie kontrolliert das Handy.
LISASOPHIE
Was ist mit deinen Eltern? Warum helfen die uns nicht?
PIERRE
Die sind auf Arbeit.
LISASOPHIE
Für dich ist es gar nicht schlecht, hier eingesperrt zu sein.
PIERRE
Weil mich keiner vermisst?
LISASOPHIE
Doch! Gerade deswegen. Stell dir vor, deine Eltern kommen nach Hause und sind voller Sorge, weil ihr kleiner Pierre nicht da ist.
PIERRE
Die Armen.
LISASOPHIE
Dann suchen sie dich überall. Holen die Polizei und das Fernsehen und die Feuerwehr und Hubschrauber, und keiner findet dich, und sie denken: vielleicht ist unser Kind tot!
PIERRE
Das will ich nicht.
LISASOPHIE
Aber dann bist du auf dem Klo und sie sind überglücklich. Da bist du, unser geliebtes Kind! Und die Fünf ist total egal.
PIERRE
Du kannst ruhig üben.
LISASOPHIE
(übt lustlos zwei, drei Töne) Hat eh keinen Sinn mehr. (wartet vergeblich auf eine Nachfrage von ihm) War ja nur die wichtigste Geigenstunde meines Lebens. (wieder fragt er nicht nach) Können wir die Aufnahme in die Tonne treten.
PIERRE
Tonne?
LISASOPHIE
Das ist wegen dem Studio. Nächste Woche geh ich nämlich in ein Profi-Studio, weil mein Vater den einen von den Produzenten kennt. Darum konnte er es mieten. Wir wollen zwei Stücke aufnehmen. Eins von Vivaldi und noch eins von Mozart. Es ist für eine CD. Vorne drauf kommt ein Foto, wo ich so Engelsflügel anziehe und wahrscheinlich meine hellgrüne Bluse. Aber die CD gibt‘s jetzt nicht in jedem Laden oder so. Sie ist zum Verschenken. Meine Oma und Opa und meine Tanten kriegen das zu Weihnachten.
PIERRE
Aha.
LISASOPHIE
Und wenn ich da den kleinsten Fehler mache, ist die Aufnahme versaut.
PIERRE
Meine Oma und mein Opa kriegen zu Weihnachten einen Gutschein für die Landesgartenschau. Mein Vater fährt sie hin mit dem Auto von meinem Onkel.
LISASOPHIE
Ja, und?
PIERRE
Das ist der Mitsubishi Pajero. Mein Vater fährt gerne damit rum, darum will er sie hinfahren. Weißt du was? Mein Onkel hat sich ein Bild von seinem Auto tätowieren lassen, hier auf die Schulter.
Lisasophie wendet sich enttäuscht von so viel Freakigkeit wieder der Geige zu.
PIERRE
Meintest du, erst kommt bergab und dann bergauf?
LISASOPHIE
Hm?
PIERRE
Du hast gesagt: wenn es bergab geht, geht es auch wieder bergauf.
LISASOPHIE
(genervt) Eines Tages schreibst du eine gute Note, dann geht es aufwärts.
PIERRE
Aber bergab kann besser sein als bergauf. Beim Fahrradfahren.
LISASOPHIE
Ich muss üben.
PIERRE
Beim Fahrradfahren sagt man sich: wenn es bergauf geht, geht es auch wieder bergab. Was ist denn nun besser?
LISASOPHIE
Alles wird gut, okay?
PIERRE
(denkt nach) Wenn du das sagst, stimmt es. Du bist die Beste aus der Klasse. Du hast immer Einsen oder Zweiplussen. Und es stimmt wirklich, denn einmal hattest du eine Vier, das war wirklich bergab. Danach hattest du wieder die Einsen.
LISASOPHIE
Das weißt du noch?
PIERRE
Ja! Die hatte ich nämlich auch. Wir hatten beide im gleichen Aufsatz eine Vier. Das heißt, dass es stimmt. Wir waren gleich, dann bin ich bergauf gefahren und du bergab oder andersrum, und eines Tages kommen andere Berge, und dann habe ich auch eine... Zwei... naja, Drei.
Lisasophie hält inne, schaut Pierre peinlich berührt an, Pierre merkt es.
PIERRE
Was ist?
LISASOPHIE
Nichts. (spielt schnell wieder Geige)
PIERRE
Du hast doch was.
LISASOPHIE
Nein!
PIERRE
Jetzt sag schon. Habe ich wieder einen Fehler gemacht?
LISASOPHIE
Überhaupt nicht!
Pierre nimmt ihr den Bogen weg.
PIERRE
Sag!
LISASOPHIE
(kleinlaut) Das war keine richtige Vier.
PIERRE
Doch. Ausreichend, ich habe es gesehen.
LISASOPHIE
Ja, schon. Aber ich habe es mit Absicht gemacht. Ich wollte eine Fünf.
PIERRE
Was?!
LISASOPHIE
Weißt du noch, worüber wir den Aufsatz schreiben sollten?
PIERRE
Über den Ausflug ins Museum.
LISASOPHIE
Mein Aufsatz handelte von einem Ausflug zur Feuerwehr. Ich hab geschrieben, dass wir mit der Feuerwehrleiter gefahren sind und mit den Schläuchen rumgespritzt haben und die Helme aufsetzen durften... Lustig, oder?
PIERRE
Unsere Klasse war noch nie bei der Feuerwehr.
LISASOPHIE
Deswegen ja!
PIERRE
Dann hättest du eine Sechs kriegen müssen. Das ist Thema verfehlt. Komplett falsch. Warum hat Frau Kuhlig dir keine Sechs minus gegeben? Oder besser noch: eine Sieben?
LISASOPHIE
Ich hatte die Wörter alle richtig geschrieben.
PIERRE
Und du sagst, du bist nicht verrückt?!
LISASOPHIE
So eine knallrote Fünf! Ooh...
Pierre macht die Ballaballa-Geste.
LISASOPHIE
Fast jedes Kind kriegt irgendwann eine Fünf oder zumindest eine Vier. Und dann schimpfen die Eltern, und dann schimpfen die Kinder über ihre Eltern. Das wollte ich einfach auch mal haben.
PIERRE
Meine Eltern schimpfen nicht.
LISASOPHIE
Meine Mutter hat geschimpft.
PIERRE
Dann ist ja gut.
LISASOPHIE
Aber nicht mit mir. Nur mit Frau Kuhlig.
PIERRE
Was?
LISASOPHIE
Sie ist in die Schule gekommen und ins Lehrerzimmer gegangen und hat mit Frau Kuhlig geschimpft. Meine Mutter fand, dass mein Aufsatz hochbegabt war, weil ich so viel Phantasie hätte.
PIERRE
Und Frau Kuhlig?
LISASOPHIE
Die haben sich gestritten. Meine Mutter: Geben Sie meiner Tochter eine Eins! Und Frau Kuhlig: Nein, Lisasophie behält die Vier! Und meine Mutter: Ich werde mich beim Direktor beschweren! Und Frau Kuhlig: Machen Sie doch! Und meine Mutter: Ich lasse nicht zu, dass Sie das Leben meiner Tochter zerstören!
PIERRE
Wie bitte?
LISASOPHIE
Echt wahr. Ich hab alles mit angehört. Es war nicht so schön.
PIERRE
Das war keine richtige Vier?
LISASOPHIE
Doch. Sie hat ja gezählt. Auf dem Zeugnis hatte ich nur eine Zwei wegen der Vier.
PIERRE
Alles vorbei.
LISASOPHIE
Es tut mir Leid.
PIERRE
Ich habe keine Chancen mehr.
LISASOPHIE
Was für Chancen?
PIERRE
Gar keine.
LISASOPHIE
Meinst du für den Beruf? Du hast Chancen. Du bist nur ein Schulversager.
PIERRE
Ja!
Lisasophie weiß keine Antwort mehr. Nach einem Moment fällt ihr Blick auf seine Fahnen.
LISASOPHIE
Die Alarmdinger! Hier: Du wolltest doch dieses eine da werden, mit dem Katastrophen-Rettungsdienst. Und jetzt rettest du uns. Wenn die vom Rettungsdienst hören, dass einer mit zehn Jahren schon Retter ist, dann ist es bestimmt total egal mit der Fünf.
Sie macht das Fenster auf.
LISASOPHIE
Die Idee mit dem Klopapier, die ist unsere...
Enttäuscht holt sie ein paar Blätter der Schriftfahne ein, der Rest ist abgerissen.
LISASOPHIE
... Rettung.
Pierre läuft zum Fenster, starrt runter. Verharrt. Lisasophie tut es ehrlich leid.
LISASOPHIE
Ist nicht so schlimm.
Er versucht, ein Weinen zu unterdrücken.
LISASOPHIE
Alles wird gut, okay?
Pierre antwortet nicht.
PIERRE
Später, wenn ich erwachsen bin, muss ich Penner werden.
LISASOPHIE
Penner? So wie die vorm Lidl?
Das unterdrückte Weinen wird stärker.
LISASOPHIE
Wir kriegen das hin. Ich helfe dir. Wir können zusammen Hausaufgaben machen, und dann erkläre ich dir alles.
PIERRE
(wie ein Bär) NEIN!!!
LISASOPHIE
(eingeschüchtert) So schwer ist das nicht...
PIERRE
Nein!! Ich - will - nichts - erklärt - kriegen! Das ist Zeitverschwendung! Zwei Mal pro Woche habe ich Nachhilfe. Dienstags Ergotherapie, Donnerstag Logopädie. Mathe erklärt mir mein Vater. Weißt du, wie das war, als wir die Arbeit geschrieben haben? Minus mal Minus macht Plus, Plus mal Minus und Plus minus Plus! Arrrgh! Bis halb zehn Uhr haben wir geübt. Mein Vater hat sich extra früher freigenommen, und dann haben wir den ganzen Tag minus mal minus mal minus...!!! (bricht in Schluchzen aus)
Er bearbeitet weinend mit der Klobürste die Mathearbeit.
PIERRE
Sauf ab, du Viech!
Er drückt die Spülung.
LISASOPHIE
Pierre!
Das Klo läuft über. Pierre gibt auf, sackt irgendwo weinend zusammen. Lisasophie versucht, mit abgerolltem Klopapier die Überschwemmung einzudämmen.
NEUN
Lisasophie nimmt das letzte Blatt Klopapier von der Rolle und reicht es schüchtern dem weinenden Pierre.
LISASOPHIE
Taschentuch?
Er schneuzt sich. Sie reißt ein Blatt aus einem Heft, malt einen großen Warnhinweis darauf, klebt es an die Kabinentür.
LISASOPHIE
Du musstest die Mathearbeit vernichten.
Pierre beruhigt sich langsam.
LISASOPHIE
Da drin steht: Minus acht mal minus drei gleich... naja, ziemlich falsch jedenfalls.
PIERRE
Wenn das mein Vater gesehen hätte...
LISASOPHIE
Erwachsene kriegen manchmal Herzinfarkte.
PIERRE
Erst wollte ich sie verbrennen oder aufessen.
LISASOPHIE
Jetzt ist sie in Sicherheit. Und du solltest an was Schönes denken. (überlegt) An deine verrückten Ideen vielleicht. Mit Superpowerprinzessinnen. Sollen wir wieder so was spielen? Eine Prinzessin, die wie ein Panther rennen kann, springt übers Klo...
Pierre hat keine Lust.
LISASOPHIE
Warum hast du die Idee mit den Superkräften nicht gesagt, als wir unser Theaterstück eingeübt haben? Das war so langweilig.
PIERRE
Am Ende hätte Prinzessin Liliane sich im Brunnen verstecken können. Wie ein Fisch.
LISASOPHIE
Genau!
PIERRE
Oder in einem Apfel, als Wurm.
LISASOPHIE
Das war echt doof, dass du uns das nicht verraten hast.
PIERRE
Ich war doch der Bär. Was für ein Auto habt ihr?
LISASOPHIE
Meine Mama hat einen silbernen Golf und mein Papa einen schwarzen BMW.
PIERRE
Oh.
LISASOPHIE
Aber Autos finde ich langweilig.
PIERRE
Früher hatten wir einen Toyota Avensis.
LISASOPHIE
Ich verstehe nicht, wieso manche Leute mit ihren Autos angeben wollen. Dass die sich das tätowieren und so.
PIERRE
Sagst du das wegen meinem Onkel?
LISASOPHIE
Der hat sich sogar damit fürs Internet gefilmt.
PIERRE
Dein Vater hat auch einen Film auf YouTube gestellt.
LISASOPHIE
Das ist was anderes.
PIERRE
Gar nicht.
LISASOPHIE
Es hat unser Theaterstück gefilmt. Da bist du auch dabei.
PIERRE
Aber du bist die Prinzessin. Und zu Weihnachten kriegen deine Oma und dein Opa eine CD mit deinem Geigenspiel.
LISASOPHIE
Ja, und? Sie freuen sich darüber.
PIERRE
Weil sie stolz sind auf ihre Enkeltochter.
LISASOPHIE
Genau. Das ist nicht angeben. Das ist stolz sein.
PIERRE
Mein Onkel ist auch stolz auf sein Auto.
LISASOPHIE
Was soll das heißen?
PIERRE
Nix.
LISASOPHIE
He! Was soll das heißen? Willst du damit sagen, dass ich wie ein Auto bin? Ich bin doch ein Mensch!
PIERRE
Du bist die Prinzessin.
LISASOPHIE
Das war ein Theaterstück!
PIERRE
Ist ja nicht schlimm, wenn die Eltern stolz auf einen sind.
LISASOPHIE
Aber ich bin keine Angebersache! Meine Eltern sind keine Angeber.
PIERRE
Dann ist mein Onkel auch keiner.
LISASOPHIE
Meine Eltern, die lieben mich nämlich!
PIERRE
Meine lieben mich auch.
LISASOPHIE
Meine würden alles für mich tun.
PIERRE
Meine auch!
LISASOPHIE
Meine lieben mich, egal wie bescheuert ich bin. Oder wie hässlich. Das ist ganz egal.
PIERRE
Egal, wie hässlich?
LISASOPHIE
Sogar, wenn ich aussehen würde wie eine Sumpfkröte.
Sie geht zum Spiegel, macht ihre Haare und ihre Kleidung noch wilder und zieht Fratzen.
LISASOPHIE
So zum Beispiel.
PIERRE
Das ist nicht hässlich.
LISASOPHIE
Oder so!
PIERRE
Auch nicht.
LISASOPHIE
Oder so!
PIERRE
Immer noch nicht. Mach mal: (macht Autogeräusche nach)
Lisasophie fällt drauf rein und macht es.
PIERRE
(lacht) Prinzessin Schleim als Auto. Das muss man gesehen haben.
LISASOPHIE
Was hast du gesagt?
PIERRE
Prinzessin... na, du weißt schon. Egal, ich wollte es nicht sagen.
LISASOPHIE
Prinzessin was?
PIERRE
Entschuldigung, es ist mir rausgerutscht. Ich weiß, dass es nicht witzig ist.
LISASOPHIE
Prinzessin Schleim?!
PIERRE
(plötzlich bestürzt) Kanntest du das nicht?
LISASOPHIE
Was?
PIERRE
Prinzessin... na, du weißt schon.
LISASOPHIE
Ich habe das noch nie gehört.
PIERRE
Dann vergiss es ganz schnell wieder.
LISASOPHIE
Wer kennt das? Wieso kenn ich das nicht? Los, sag!
PIERRE
(muss sich überwinden) Also, ich habe dich verteidigt. Ich habe gesagt: Lisasophie ist eben intelligent.
LISASOPHIE
Wann?
PIERRE
Einmal in der Frühstückspause, als du krank warst, haben alle zusammen geredet.
LISASOPHIE
Wer: „alle“?
PIERRE
Leon, Mike, Justin, Mohammed, Simon, Laurenz, Sahib, Mats und Sirin, Alina und Mia.
LISASOPHIE
Mädchen auch?
PIERRE
Es ging um die Prinzessin im Theaterstück. Als du die Prinzessin geworden bist.
LISASOPHIE
Na, und? Das hat Frau Kuhlig entschieden.
PIERRE
Ja. Aber Alina hat gesagt, du hast einen Kuchen gebacken, und Justin meinte, ein Smartieskuchen, und Mia und Jessica haben gesagt, dass es nur ein kleiner Kuchen war, aber du hast ihn zu Frau Kuhlig nach Hause gebracht, und Leon hat es gesehen, nein, Mike wusste es. Mats hat gesagt, Kuchen backen ist typisch Mädchen. Mia hat sich geärgert, weil sie auch die Prinzessin spielen wollte.
LISASOPHIE
Ich habe noch nie in meinem Leben einen Smartieskuchen gebacken.
PIERRE
Aber so bist du die Prinzessin geworden. Alina hat gesagt, dass es nicht stimmt, aber die meisten haben es trotzdem geglaubt.
LISASOPHIE
Wie bin ich die Prinzessin geworden?
PIERRE
Mit Schleim. Also einschleimen. Du hast Frau Kuhlig den Kuchen gebracht, sie hat sich gefreut, und darum durftest du die Prinzessin werden. Justin hat gesagt: Prinzessin Schleim. Da haben alle gelacht. Aber ich nicht, weil ich es gemein fand.
LISASOPHIE
Prinzessin Schleim?
PIERRE
Die anderen finden auch, dass du deswegen immer die guten Noten hast. Aber ich habe gesagt: Nein, die ist einfach intelligent.
LISASOPHIE
Prinzessin Schleim?
PIERRE
Und weil deine Eltern der Schulbücherei ein Sofa geschenkt haben, für die neue Leseecke.
LISASOPHIE
Das war die alte Couch aus der Kanzlei von meinem Vater!
PIERRE
Leon meinte, es wäre ein bisschen schleimig von deinen Eltern.
LISASOPHIE
Ich habe Frau Kuhlig keinen Kuchen gebracht!
PIERRE
Ich habe den anderen erklärt, dass du nicht immer nur Einsen hast. Sogar eine Vier hat Frau Kuhlig dir schon mal gegeben. (stutzt) Allerdings... war das ja eigentlich eine Sechs minus...
LISASOPHIE
Was redest du?!
PIERRE
... und du hast nie Nachhilfe. Und du isst Kekse...
LISASOPHIE
Ich wusste nicht, dass meine Eltern das Sofa verschenken. Da kann ich doch nichts für! Warum hat Alina mir nichts davon erzählt? Oder wenigstens Sirin? Ich habe nie gesagt, dass ich die Prinzessin sein wollte. (nach einer Pause) Das habe ich nie gesagt.
Lisasophie ist wie paralysiert. Das Handy klingelt, sie reagiert erst nicht.
ZEHN
PIERRE
Das Handy!
Lisasophie nimmt wieder ihre Umgebung wahr, springt auf, schnappt das Handy.
LISASOPHIE
Hallo? Mama! Weißt du was? Ich bin auf dem Klo, auf der Toilette. Und... Ja, aber... weißt du was? ... ja, du sollst mich auch abholen. Aber nicht bei Geige. Ich bin... Wieso darf ich nicht die hellgrüne Bluse anziehen? Ich wollte die doch mit den Engelflügeln zusammen... Ich will kein Kleid kaufen. Oma mag die Engelflügel bestimmt... Wem wollt ihr die CD denn alles schenken? ... Allen aus Papas Kanzlei? ... Mama, das ist angeberisch... Stolz, ja... Ich weiß, dass ihr stolz seid, aber... Was ist hier los? ... (kommt nicht zu Wort) ICH BIN KEIN AUTO!!
Sie legt auf und macht den Eihposa-Tritt.
PIERRE
Hast du gerade aufgelegt?
LISASOPHIE
(starrt ungläubig das Handy an) Sie will die CD, auf der ich Geige spiele, allen möglichen Leuten zu Weihnachten schenken.
PIERRE
Du hast aufgelegt!
LISASOPHIE
Fremden Leuten.
PIERRE
Was machen wir denn jetzt?
LISASOPHIE
Sie denkt bestimmt, es wäre ein Funkloch und ruft sofort wieder an.
PIERRE
Und wenn nicht?!
LISASOPHIE
Das ist angeberisch. Das ist so was von angeberisch. Die CD wildfremden Leuten schenken.
PIERRE
Meine Eltern wären auch gerne mal stolz auf mich.
LISASOPHIE
Sind die das nicht?
PIERRE
Das ist jetzt unwichtig, wir müssen hier raus!
LISASOPHIE
Was sind sie dann, wenn sie nicht stolz auf dich sind? Irgendwas müssen sie ja sein.
PIERRE
Deine Mutter ruft nicht mehr an.
LISASOPHIE
Woran denken deine Eltern, wenn sie an dich denken? Wenn sie hören: Pierre.
PIERRE
Keine Ahnung. Meistens machen sie sich Sorgen. Aber...
LISASOPHIE
Sorgen...
Das Handy klingelt. Lisasophie rührt sich nicht.
PIERRE
Geh ran!
Sie reagiert nicht.
PIERRE
Los, gleich hört es auf!
LISASOPHIE
Nein.
Da sie immer noch nichts unternimmt, versucht Pierre vergeblich, ihr das Handy wegzunehmen.
LISASOPHIE
Sie soll sich Sorgen machen.
PIERRE
Gib mir das Handy!
Sie drückt das Telefon aus.
LISASOPHIE
Pierre, wir bleiben hier. Wir sind zu zweit. Wir haben Wasser, wir haben eine Heizung. Wir machen uns ein Lager, und heute Nacht, da decken wir uns mit den Jacken zu. Wir schlagen uns alleine durch. Ich locke eine Taube an.
Das Telefon klingelt wieder. Als sie nicht rangeht, kommt Pierre auf sie zu, sie läuft mit dem Handy weg. Pierre verfolgt sie. Während es weiter klingelt, jagen sie sich durch die ganze Toilette.
PIERRE
Gib‘s her!
Er kriegt sie zu packen. Sie schubst ihn weg (beißt ihn in den Arm). Sie prügeln sich.
Es gelingt ihm, das Handy zu kriegen. Er rennt damit in die Kabine, drückt auf Tasten. Sie folgt ihm, zerrt am Handy. Beide kämpfen darum.
PIERRE
Hallo! Hallo? Hört mich jemand?
Handy fällt ins Klo. Das Klingeln verstummt. Einen Moment lang sind beide erstarrt. Dann angelt Pierre das Handy mit Hilfe von Klobürste, Klopapier usw. raus. Probiert, ob es geht.
PIERRE
Kaputt.
Heute ist Freitag. Verdammter Freitag. Weißt du, wann wieder jemand in dieses Klo kommt? Am Montag. Willst du verhungern? Hast du daran gedacht? Hast du an irgendwas gedacht? An mich? Du denkst, niemand wird merken, wenn ich fehle. Wer soll mich vermissen? Ich bin ein Sitzenbleiber. Alles, was ich mache, ist dumm oder geht kaputt. Aber ich bin trotzdem da. Ich bin da.
ELF
Lisasophie sperrt sich in einer Kabine ein. Ein Moment Stille. Dann läutet die Kirchenuhr fünf Mal. Es wird dunkler.
LISASOPHIE
Du hattest Recht.
PIERRE
Ich?
LISASOPHIE
In unserem Garten steht ein Baum. Oben in dem Baum ist mein Geheimnis: der Prinz von Sigurien.
PIERRE
Mit dem hast du geredet?
LISASOPHIE
Ja.
PIERRE
Okay.
LISASOPHIE
Sigurien ist das schönste Land der Welt, doch eines Tages gab es dort einen großen Sturm, der alles zerstört hat. Als einziger konnte der Prinz entkommen. Er flüchtete bis zu unserem Garten und lebt seitdem dort, alleine und versteckt im Baum. Nur ich weiß, dass es ihn gibt. Wenn ich Zeit habe, klettere ich hoch, bringe Essen und erzähle ihm, was in der Welt passiert.
PIERRE
Was heißt Eihposa?
LISASOPHIE
So nennt er mich. Das ist Sigurisch. Wir wollen zusammen zurück nach Sigurien. Der Weg dorthin ist weit, und wir müssen uns ganz alleine durchschlagen. Aber wenn wir das schöne Land erreicht haben, können wir dort machen, was wir wollen.
Der Prinz hat mir sogar Bogenschießen beigebracht. Und wenn ich in den Wäldern angegriffen werde, soll ich treten. So:
Es rumst in der Kabine.
PIERRE
Warum hast du einen Freund auf dem Baum? Du hast doch schon so viele Freundinnen.
LISASOPHIE
Der Prinz von Sigurien ist anders.
PIERRE
Als du?
LISASOPHIE
Nein. Das alles ist geheim, hörst du?
PIERRE
Deine Mutter weiß nichts davon?
LISASOPHIE
Nein.
PIERRE
Und deine Freundinnen?
LISASOPHIE
Keiner.
Pierre denkt nach. Dann holt er ein zerknittertes Geschenk aus seiner Tasche und schiebt es unter der Kabinentür durch.
LISASOPHIE
Was ist das?
PIERRE
Als ich dich im Garten gesehen habe, wollte ich nicht hinterherschleichen. Ich wollte dir das da geben.
LISASOPHIE
Ein Geschenk?
PIERRE
Eigentlich ist es ein Ersatz. Für deine Haarspange.
LISASOPHIE
Auf die du draufgetreten bist?
PIERRE
Sie war mit Glitzer.
LISASOPHIE
Das ist schon ewig her.
PIERRE
Es gab nie den richtigen Moment, um es dir zu geben.
Rascheln aus der Kabine.
PIERRE
Die ist von einer Mandarinente. Indianer stecken sich so was in die Haare. Ich habe sie selbst gefunden, im Zoo.
Lisasophie kommt raus, mit einer Entenfeder im Haar. Sie umarmt Pierre.
Verlegenheit.
LISASOPHIE
Danke.
Sie stylt sich vorm Spiegel fertig als Eihposa. (durch die Aktionen vorher sieht sie schon ziemlich wild aus, jetzt vollendet sie die Verwandlung)
LISASOPHIE
Eihposa hat wilde Haare. Und sie hat viele Sachen an ihrem Gürtel.
PIERRE
Wie schreibt man das eigentlich?
Er schreibt an den Spiegel EIPOSA. Überlegt. Wischt es ab und schreibt
EIHPOSA.
PIERRE
Mit „H“?
LISASOPHIE
(ungläubig) Woher...?
Er schreibt: ASOPHIE.
PIERRE
Geht Sigurisch rückwärts? ASOPHIE - EIHPOSA.
Er schreibt davor drei Buchstaben: LIS.
PIERRE
LISASOPHIE.
LISASOPHIE
Wie hast du das rausgekriegt?
PIERRE
Ist mir nur so eingefallen.
LISASOPHIE
Du bist ein Superhirn.
PIERRE
(betrachtet sich lachend im Spiegel) Superhirn!
Sie schauen sich beide im Spiegel an. Ein Magen knurrt.
LISASOPHIE
War das mein Bauch?
PIERRE
Ich glaube, es war meiner.
Lisasophie kippt ihre Tasche aus.
LISASOPHIE
Vier Kekse, ein Apfel.
PIERRE
Ich habe noch neun Nüsse.
LISASOPHIE
Wir teilen es ein. Dann können wir uns bis Montag damit durchschlagen.
PIERRE
Schaffen wir das?
LISASOPHIE
Jeder kriegt jetzt eine Nuss.
Sie essen die jeweilige Nuss. Pierre macht das Licht an. Lisasophie guckt aus dem Fenster.
PIERRE
Es wird dunkel.
LISASOPHIE
Draußen sind auch schon die Laternen an. Der Schulhof sieht traurig aus. Total leer.
PIERRE
Der Boden ist hart. Hoffentlich können wir da überhaupt einschlafen.
LISASOPHIE
Was machen wir morgen den ganzen Tag? Und am Sonntag?
PIERRE
Ich habe immer noch Hunger.
LISASOPHIE
Haallooooo!
Keine Reaktion von draußen.
LISASOPHIE
(resigniert) Wir müssten lauter sein. Viel, viel lauter.
ZWÖLF
PIERRE
Welcher Ton auf deiner Geige ist der lauteste?
LISASOPHIE
Keine Ahnung.
PIERRE
Probier mal.
LISASOPHIE
Ich habe keine Lust mehr zu üben.
PIERRE
Das ist nicht Üben!
Lisasophie packt die Geige aus, probiert Töne, die immer schiefer und aggressiver werden.
LISASOPHIE
Der vielleicht?
Pierre macht das Licht aus.
LISASOPHIE
Hilfe!
PIERRE
SOS. Ich hab‘s! Wir machen SOS! Kurzkurzkurz - langlanglang - kurzkurzkurz. Das gilt auf der ganzen Welt: wenn einer in Not ist, macht er den Rettungsruf!
LISASOPHIE
Kurzkurzkurz - langlanglang - kurzkurzkurz?
Er öffnet das Fenster so weit wie möglich.
PIERRE
Du an der Geige, ich am Licht.
LISASOPHIE
Super Idee, Superhirn. Kam das jetzt, weil du die Nuss gegessen hast?
PIERRE
SOS. Auf die Plätze, fertig, los!
Sie machen gemeinsam SOS, er am Lichtschalter, sie mit der Geige, beide machen noch weiteren Krach mit Gegenständen und Füßen. Nach jedem Durchgang rufen sie gemeinsam: „Hilfe!“. Nach und nach entsteht daraus ein Beat und das SOS verwandelt sich in einen Technosong. Dazu eine Techno-Lightshow von Pierre am Lichtschalter. Sie spielen den kompletten (lauten!) Song lange mit Variationen, verwandeln den Zuschauerraum in einen Technoclub.
LISASOPHIE
Was war das?
Beide halten inne. Dann stürmen sie ans Fenster.
LISASOPHIE
In der Turnhalle ist Licht angegangen!
PIERRE
Und da am Fenster steht Herr Zagel. Er guckt zu uns. Haaaalloooo hiiiieeeer!
LISASOPHIE
Er hat uns gesehen. Er winkt! Oh, und jetzt macht er sich auf den Weg.
PIERRE
Zu uns.
LISASOPHIE
Es hat geklappt!
PIERRE
Gleich sind wir frei.
LISASOPHIE
So schnell.
PIERRE
Wir haben überlebt.
LISASOPHIE
Jetzt können wir machen, was wir wollen.
Ein Gluckern aus dem kaputten Klo. Die beiden laufen hin.
LISASOPHIE
Uuuhh!
PIERRE
So ein Matschbrei.
Lisasophie drückt auf die Spülung.
PIERRE
Nein!!
LISASOPHIE
Guck.
PIERRE
(guckt ins Klo) Futsch.
Sie beginnt, ihre Sachen zu packen.
PIERRE
Willst du dich nicht kämmen?
Die beiden betrachten sich im Spiegel, Lisasophie in wildestem Eihposa-Outfit.
LISASOPHIE
Hast du Angst?
PIERRE
Und du?
LISASOPHIE
Ich bleibe so.
PIERRE
Meine Mutter wird weinen.
LISASOPHIE
Sollen wir zusammen gehen?
PIERRE
Zu deinen Eltern?
LISASOPHIE
Und zu deinen. Pscht! Ich hab was gehört. Herr Zagel ist im Treppenhaus!
Sie ziehen die Jacken an, nehmen ihre Taschen.
PIERRE
Dein Bogen.
Er holt den Geigenbogen, den sie vergessen hatte. Dabei tritt er auf irgendwas, das kaputtgeht.
LISASOPHIE
Pierre!
Beide müssen lachen. Sie nimmt den Bogen, überlegt kurz, steckt dann den Bogen in die Jacke wie in einen Köcher.
PIERRE
Gleich geht die Tür auf.
LISASOPHIE
(liebevoll) Komm, Schulversager.
Lisasophie reicht ihm die Hand. Er nimmt sie.
ENDE.
Darsteller und Darstellerinnen | |
---|---|
Pierre | Lennart Olafsson |
Lisasophie | Theresa Löhle |
Inszenierungsteam | |
Regie | Anke Salzmann |
Ausstattung | Roy Spahn |
Dramaturgie | |
Regieassistenz | |
Inspizienz | |
Soufflage | |
Stand vom 15.02.2022