Schauspiel

Elling

Schauspiel von Axel Hellstenius (unter Mitwirkung von Petter Næss) nach dem Roman „Blutsbrüder“ von Ingvar Ambjørnsen, Übersetzt aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
Elling über Telefone

Mutter hatte das Telefon benutzt. Nicht oft, aber sie hatte es benutzt. Sie hatte ja hier und dort Bekannte gehabt, und da ihr Sinn für Geselligkeit nicht sehr ausgeprägt gewesen war, hatte der Kontakt mit ihnen vorwiegend durch den grauen Apparat stattgefunden. Ich selbst hatte mich für die Erfindung des alten Bell nie besonders erwärmen können. Derjenige, der hier den richtigen Zifferncode gewählt hatte, hatte sich in seinem Inneren bereits ein Bild von mir gemacht. Wenn man erst einmal den Hörer abgenommen und das einleitende „Hallo“ gesagt hatte, dann hatte man sich damit bloßgestellt. Man war auf Gedeih und Verderb mit seinem Namen verbunden. Hier ist Elling, und Elling sitzt jetzt an Ort und Stelle im Block. Mit anderen Worten: Elling ist da, wo er hingehört. Ich will ja nicht behaupten, daß dieses Eingeständnis nicht zutreffend gewesen wäre, aber ich konnte nicht sicher sein, inwieweit dieses Geständnis außer mir noch anderen anvertraut werden sollte. Ging es andere etwas an, ob ich zu Hause war oder vielleicht gerade einen kleinen Spaziergang ins Einkaufszentrum machte? Im Grunde nicht. Ich war auch schon zweimal falsch angerufen worden. Ein äußerst zweifelhaftes Erlebnis. Zuerst der Zweifel bei dem Anruf überhaupt. Soll ich hingehen, oder soll ich es lassen? Schweißnasse Handflächen. Runden durchs Zimmer. Dann trägt die Entschlossenheit den Sieg davon. Man nimmt den Hörer ab und sagt höflich hallo. Ob das Ole sei? Nein, hier ist nicht Ole. Hier ist Elling, und Mutter ist einkaufen gegangen. Ich weiß nicht, wer schlimmer ist. Die, die einfach in einer Geste von geballter Unhöflichkeit den Hörer auf die Gabel knallen, oder die, die kriecherisch um Entschuldigung bitten. Die Sache ist nämlich die, daß mich beide in einem Zustand der Unsicherheit zurücklassen. Denn stand es wirklich fest, daß diese fremde Stimme mit Ole hatte sprechen wollen? War es nicht eher so, daß der Anrufer sich davon hatte überzeugen wollen, daß ein gewisser Elling zu Hause war? Nach solchen Anrufen stand ich lange am Fenster und beobachtete genau, was sich unten, auf Bodenniveau, so tat. ... Das Telefonklingeln ist schon schlimm. Aber das Geräusch der Türklingel ist tausendmal schlimmer. „Ein freundliches Dingdong“ hatte Mutter dieses Geräusch genannt. Ja danke! Ich wüßte wirklich gern, was an diesem Dingdong so freundlich sein sollte. Bedrohlich war es. Wie das Geräusch der Glocken in einer Friedhofskapelle. ... Wieder schellte es. Diesmal hitziger. Ich schrie lautlos auf und preßte mir die Handflächen auf die Ohren. Ein gewaltiger Druck entstand, einen Moment lang fürchtete ich, mein Trommelfell könnte von innen her gesprengt werden oder meine Augen aus dem Kopf quellen. Voller Galgenhumor, wie ich schließlich bin, sah ich vor mir, wie meine Augäpfel durchs Zimmer schossen und mit unisonem Klatschen den Spiegel über dem Waschbecken trafen.
(Ausblick auf das Paradies, S. 161f. und 170)