Schauspiel
Hallo Nazi!
Rudi und Jan verbringen den Samstagabend gemeinsam in einer Gefängniszelle, bevor sie ins nächste Polizeirevier überstellt werden. Jan ist Pole und arbeitet schwarz in einer deutschen KFZ-Werkstatt. Rudi ist ein deutscher Neonazi und hat mit seinen Kameraden die polnischen Mechaniker in der Werkstatt überfallen und verprügelt. Was beide noch nicht wissen: Es gab einen Toten.
Die Angst vor den/dem Fremden, die aus der Angst erwächst, durch das gesellschaftliche Netz zu fallen; fremd im eigenen Land zu werden, fremder als der Fremde. Diese Angst wird im Mittelpunkt unseres Theaterabends stehen.
In Verbindung mit unserer neuen Produktion "Hallo Nazi!" befinden sich die Uckermärkischen Bühnen Schwedt auf der Suche nach (digitalen) Fotos, die im weitesten Sinne Fremdenfeindlichkeit im Alltag thematisieren. Als Anregung und Orientierung können die Fotos dienen, aus denen Udo Krause das Plakat für diese Inszenierung zusammengesetzt hat.
Wir hoffen auf rege und phantasievolle Beteiligung, da wir planen, aus den uns zur Verfügung gestellten Bildern eine (digitale) Ausstellung vorzubereiten.
Premiere: 27. September 2002
Abgespielt.
Die Angst vor den/dem Fremden, die aus der Angst erwächst, durch das gesellschaftliche Netz zu fallen; fremd im eigenen Land zu werden, fremder als der Fremde. Diese Angst wird im Mittelpunkt unseres Theaterabends stehen.
In Verbindung mit unserer neuen Produktion "Hallo Nazi!" befinden sich die Uckermärkischen Bühnen Schwedt auf der Suche nach (digitalen) Fotos, die im weitesten Sinne Fremdenfeindlichkeit im Alltag thematisieren. Als Anregung und Orientierung können die Fotos dienen, aus denen Udo Krause das Plakat für diese Inszenierung zusammengesetzt hat.
Wir hoffen auf rege und phantasievolle Beteiligung, da wir planen, aus den uns zur Verfügung gestellten Bildern eine (digitale) Ausstellung vorzubereiten.
Premiere: 27. September 2002
Abgespielt.
Es geht uns - wie schon bei "Trainspotting" - darum, ein Problembewußtsein zu entwickeln; die Problematik und ihre immer noch unverminderte Existenz öffentlich zu machen, ohne zum Ankläger zu werden. In den Zeitungen (insbesondere in der MOZ) und auch in den übrigen Medien hat das Thema kaum noch einen Platz, da es in den Alltag eingegangen ist; ihm fehlt inzwischen weitestgehend das Besondere, das seine öffentliche Erwähnung noch rechtfertigen würde, wodurch es aber aus den Köpfen der meisten Menschen verschwunden ist, so lange sie nicht selbst direkt betroffen sind.
Fremdenfeindlichkeit soll dabei als Angst vor dem Fremden entlarvt werden, die entsteht aus einer unverhältnismäßigen Wahrnehmung des Fremden in der eigenen Umwelt, aus der Angst vor dem eigenen Fremdwerden in der Gesellschaft, der man angehört.
Es kann nicht allein um die Polemik gegen die Rechten gehen, deren Abschaffung das grundsätzliche Problem nicht lösen, nur verlagern würde: Die Angst vor dem Fremden ist ein der menschlichen Gesellschaft innewohnendes Problem, das sich stets auf die Randgruppen bezieht und aus der Angst erwächst, durch das gesellschaftliche Netz zu fallen; fremd im eigenen Land zu sein, fremder als der Fremde.
Das Regieteam
Fremdenfeindlichkeit soll dabei als Angst vor dem Fremden entlarvt werden, die entsteht aus einer unverhältnismäßigen Wahrnehmung des Fremden in der eigenen Umwelt, aus der Angst vor dem eigenen Fremdwerden in der Gesellschaft, der man angehört.
Es kann nicht allein um die Polemik gegen die Rechten gehen, deren Abschaffung das grundsätzliche Problem nicht lösen, nur verlagern würde: Die Angst vor dem Fremden ist ein der menschlichen Gesellschaft innewohnendes Problem, das sich stets auf die Randgruppen bezieht und aus der Angst erwächst, durch das gesellschaftliche Netz zu fallen; fremd im eigenen Land zu sein, fremder als der Fremde.
Das Regieteam
Der Psychiater Andreas Marneros über die Rolle der Ideologie bei rechtsextremer Gewalt, die Persönlichkeit von mordenden Neonazis und die Schamlosigkeit der Angeklagten
Marneros, 55, begutachtet seit 20 Jahren Gewaltverbrecher vor Gericht. Seit 1992 ist der gebürtige Zyprer Direktor der Psychiatrischen Uniklinik Halle. In der vergangenen Woche erschien sein Buch "Hitlers Urenkel", in dem er von Begegnungen mit rechtsradikalen Tätern berichtet.
SPIEGEL: Herr Marneros, beinahe täglich machen Neonazis mit brutalen Auftritten von sich reden. Als Gerichtsgutachter untersuchen Sie die Psyche von rechtsextremen Totschlägern und Mördern. Was verraten die Taten über die Psyche der Täter?
Marneros: Meistens fällt zunächst die ausgeprägte Grausamkeit ins Auge, mit der sich eine ganze Gruppe von Tätern ein Opfer vornimmt. In einem aktuellen Prozess begutachtete ich zum Beispiel drei Jugendliche. Sie hatten einen arbeitslosen Alkoholiker über zwei Tage hinweg zu Tode gequält - und die ganze Zeit spielten sie dazu laute Neonazi-Musik. Sie haben den Mann geschlagen, mit Springerstiefeln getreten, haben seine Haut verbrannt und eingeschnitten und Salz, Pfeffer, Paprika und Waschmittel in die Wunden gerieben. Sie haben ihn in eine brühheiße Badewanne gesetzt und ihn gezwungen, ein rohes Hähnchen aus dem Müll zu essen.
SPIEGEL: Kann ein gesunder Mensch überhaupt so viel sadistischen Erfindungsreichtum entwickeln?
Marneros: In der Regel wie auch in diesem Fall - sind es pathologische Persönlichkeiten. Über 70 Prozent haben eine traumatisierende Vorgeschichte. Wir haben zum Beispiel Täter mit einem IQ von 76 und solche, die von betrunkenen oder gewalttätigen Eltern unvorstellbar misshandelt worden sind. Mindestens die Hälfte hat krankheitswertige Persönlichkeitsstörungen, dissoziale Störungen, Versagensängste, Identitätsstörungen. Ich sehe in ihnen Verlierer und Verlorene.
SPIEGEL: Sind so schwer geschädigte Menschen schuldig für ihre Taten?
Marneros: Als Gutachter frage ich: Hat eine psychische Störung die Tat determiniert, oder konnte der Täter zur Tatzeit anders handeln, als er gehandelt hat? Unter den 56 rechtsextremen Tätern, die ich bisher in Halle begutachtet habe, hätte jeder Täter die Tat unterlassen oder abbrechen können. Alle waren verantwortlich für das, was sie getan haben.
SPIEGEL: Unterscheiden sich mordende Neonazis da von Sexual- oder Kindsmördern?
Marneros: Unter allen anderen Gewaltverbrechern sind nach unseren Untersuchungen etwa fünf Prozent komplett schuldunfähig. Sie leiden unter Wahnvorstellungen, Depressionen, Gehirnverletzungen oder Demenz. Auch Taten, bei denen der Täter nicht voll schuldfähig ist, weil er im Affekt gehandelt hat, kommen bei rechter Gewalt so gut wie nie vor. Im Gegenteil: Der Rechtsextremist provoziert ganz bewusst sein Opfer. Einigen rechten Tätern attestierte ich allerdings eingeschränkte Schuldfähigkeit, meist wegen Alkohol. Etwa ein Viertel ist bei der Tat stark betrunken, fast jeder Zehnte ist alkoholkrank. Solche Täter schickt das Gericht dann eventuell erst mal in den Entzug.
SPIEGEL: Wie erklären Sie sich das Zustandekommen regelrechter Gewaltexzesse?
Marneros: Für eine Studie, die im März erscheint, haben wir in Halle 80 rechte Gewalttäter wissenschaftlich untersucht. Alle Täter zeigten extrem hohe Aggressionswerte. Gleichzeitig fehlt diesen jungen Männern das Vermögen zur Einfühlung in andere Menschen und deren Leid. Dieses erschreckende Fehlen von Empathie ist ein echtes Merkmal rechter Gewalt. Typisch ist, was bei dem sehr grausamen Mord an Alberto Adriano vor rund zwei Jahren in Dessau geschah: Um noch den tödlich Verletzten zu demütigen, zogen ihm die Täter Hose und Unterhose aus.
SPIEGEL: Findet Vergleichbares außerhalb der rechten Szene überhaupt statt?
Marneros: Da gibt es eine Verschiebung. Ich erinnere mich an einen großen Mordprozess Anfang der 90er Jahre hier in Halle. Da hatten zwei Teenager auf einem Dachboden einen Obdachlosen gekreuzigt. Sie fanden ihn lebensunwürdig. Der Mann starb. Einen rechtsextremen Hintergrund gab es nicht. Solche grausamen Delikte sehen wir seit einigen Jahren deutlich häufiger innerhalb der Szene als anderswo.
SPIEGEL: Sind Neonazis also ein Sammelbecken für pathologisch Gewaltveranlagte?
Marneros: So ist es. Junge Menschen, die solche enormen sozialpsychologischen Defizite haben, sind auf der verzweifelten Suche nach einem persönlichen Image. In der rechten Gewaltszene finden sie eine ideale Plattform. Sie zieht Menschen mit brutalen, sadistischen Persönlichkeitsmustern an. Auch deshalb glaube ich, dass rechtsradikale Gewalt keine politische Gewalt ist. Anders als zum Beispiel der RAF-Terrorismus ist sie reiner Selbstzweck. Sie trägt lediglich ein ideologisches Mäntelchen. Die Täter sind ganz gewöhnliche kriminelle Gewalttäter.
SPIEGEL: Erst Mitte Februar hetzten Skins im Zug von Halle nach Eisenach ihren Kampfhund auf einen Äthiopier. Ist Fremdenfeindlichkeit kein politisches Motiv?
Marneros: Die Parolen der Neonazis richten sich zwar gegen Juden, Ausländer, Schwarze. Aber die meisten ihrer Opfer sind in Wirklichkeit Deutsche. Der Hass auf Andersfarbige ist nur vorgeschoben.
SPIEGEL: Wenn die rechte Szene in ein paar Wochen wieder Führers Geburtstag feiert, ist das für Sie kein politisches Statement?
Marneros: Bei anderen vielleicht, aber nicht bei diesen Tätern. Was bei ihnen auffällt, ist die floskelhafte Art, in der sie sprechen. Wir fragten in der Studie unter anderem nach politischen Kenntnissen. Das Ergebnis: Die allermeisten haben keinerlei Wissen, das eine politische Ideologie untermauern könnte. Ich erinnere mich an einen Angeklagten, der vermutete, Adolf Hitler sei 1988 gestorben.
SPIEGEL: Wollen Sie sagen, die rechte Ideologie spiele keine Rolle, wenn es zu Mord und Totschlag kommt?
Marneros: Doch. Als pures Vehikel der Gewalt ist sie sogar essenziell. Nehmen Sie als Beispiel die Neonazi-Lieder, in denen Juden vergast und Schwarze durchs Klo gespült werden: Sie legitimieren Gewalt; sie verlangen geradezu danach.
SPIEGEL: Ist Ihnen als Gutachter mit ausländischem Akzent schon einmal persönlicher Hass der Täter entgegengeschlagen?
Marneros: Nein, zumindest kein ausgedrückter Hass. Ich weiß natürlich nicht, was hinter meinem Rücken geschieht. Aber
in dem Moment, wo rechte Gewalttäter, die getötet oder einen Menschen schwer verletzt haben, mit mir alleine dasitzen, wirken sie extrem ängstlich auf mich. Die zittern regelrecht, wenn ich vor ihnen sitze. Sie haben Angst vor einer hohen Strafe. Zugleich bemerke ich auch eine spezielle Feigheit. Jeder versucht, die Schuld auf den anderen abzuschieben.
SPIEGEL: Schämen sich die Täter in solchen Momenten?
Marneros: Nein, und das ist ebenfalls kennzeichnend. Ihnen fehlt in extremer Weise das Schamgefühl. Ich habe nicht einen Täter getroffen, der Reue oder Scham gezeigt hätte. Scham ist ein sehr komplexes Gefühl. Es kommt genau dann auf, wenn durch eine schreckliche Tat oder eine unterlassene gute Tat mein positives Selbstbild zerstört ist. Viele dieser Täter haben aber kein positives Selbstbild. Andererseits rührt die Schamlosigkeit auch daher, dass die Täter glauben, es gebe eine Menge Leute in dieser Stadt, die sagen: "Bravo, gut gemacht."
SPIEGEL: Zumindest verblüfft selbst die Staatsgewalt mit einer gewissen Laxheit. Die Skinheads etwa, die ihren Hund auf einen Schwarzen hetzten, wurden von den Beamten des Bundesgrenzschutzes erst einmal laufen gelassen.
Marneros: Ich halte das für eine Katastrophe. Milde wird von diesen Tätern immer als Zustimmung ausgelegt. Nach meinem Eindruck dreht sich die öffentliche Diskussion viel zu sehr um präventive Lösungen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich wünsche mir sehr, dass Schullehrer die Biograflen der Täter in meinem Buch lesen, damit sie die Gefährdung dieser jungen Leute frühzeitig erkennen. Aber es wird immer Menschen geben, bei denen die präventive Ebene nichts bringt. Bei 36 Prozent der Täter, die wir, meist nach einem Mord, begutachtet haben, gab es zuvor Verwarnungen, Verurteilungen zu sozialer Arbeit, Reha- oder berufsbildende Maßnahmen. Doch all das verhinderte nicht, dass sie einen Menschen getötet haben.
SPIEGEL: Plädieren Sie als Psychiater für mehr Härte?
Marneros: Ich bin dafür, dass wir den Tätern von Anfang an zeigen, wo die Grenzen sind. Aus meiner Sicht sollten möglichst keine Bewährungsstrafen ausgesprochen werden. Wir haben schon genügend Fälle zu beklagen, in denen Neonazis, denen mit Milde begegnet wurde, neue Gewalttaten verübten, leider auch tödliche.
SPIEGEL: In Ihrem Buch bezeichnen Sie diese Täter als "lachende Angeklagte".
Marneros: Ja, solange sie in der Gruppe sind. Im Rudel triumphieren sie. Deswegen ist es auch für die Prognose der Täter fatal, wenn sie sich im Gefängnis alle wiedertreffen. Dort bilden sie eine Elite. Kaum jemand verbietet ihnen, in der Haft ihre Statussymbole wie Springerstiefel und Lonsdale-T-Shirts weiter zur Schau zu tragen.
SPIEGEL: Diese Täter bekunden Stolz darauf, Deutsche zu sein. Sie selbst bezeichnen sich als "Wahldeutschen". Rührt Ihr Bemühen um diese jungen Leute auch daher?
Marneros: Sagen wir so: Ich habe "Hitlers Urenkel" auch aus persönlicher Wut geschrieben. Als ich in den 70er Jahren meine Entscheidung traf, aus der damaligen Diktatur Griechenland nach Deutschland zu gehen, geschah das auch, weil ich große Bewunderung für Willy Brandt empfand. Wenn jetzt, wie vor ein paar Wochen, ein pakistanischer Gastprofessor in Halle auf der Straße zusammengeschlagen wird, spricht sich das sofort herum. Freunde in den USA fragen mich: "Die Deutschen verbrennen wieder Menschen, wie kannst du nur dort leben?" Am liebsten würde ich meine Jungs dann mitten auf den Times Square in New York stellen und sagen: Schaut sie euch an. Das sind sie: enorm einsam, enorm armselig. Aber es sind nicht die Deutschen.
Beate Lakotta: "Triumph im Rudel". Der Psychiater Andreas Marneros über die Rolle der Ideologie bei rechtsextrember Gewalt, die Persönlichkeit von mordenden Neonazis und die Schamlosigkeit der Angeklagten; in: Der Spiegel, 10/2002, S. 222ff.
Marneros, 55, begutachtet seit 20 Jahren Gewaltverbrecher vor Gericht. Seit 1992 ist der gebürtige Zyprer Direktor der Psychiatrischen Uniklinik Halle. In der vergangenen Woche erschien sein Buch "Hitlers Urenkel", in dem er von Begegnungen mit rechtsradikalen Tätern berichtet.
SPIEGEL: Herr Marneros, beinahe täglich machen Neonazis mit brutalen Auftritten von sich reden. Als Gerichtsgutachter untersuchen Sie die Psyche von rechtsextremen Totschlägern und Mördern. Was verraten die Taten über die Psyche der Täter?
Marneros: Meistens fällt zunächst die ausgeprägte Grausamkeit ins Auge, mit der sich eine ganze Gruppe von Tätern ein Opfer vornimmt. In einem aktuellen Prozess begutachtete ich zum Beispiel drei Jugendliche. Sie hatten einen arbeitslosen Alkoholiker über zwei Tage hinweg zu Tode gequält - und die ganze Zeit spielten sie dazu laute Neonazi-Musik. Sie haben den Mann geschlagen, mit Springerstiefeln getreten, haben seine Haut verbrannt und eingeschnitten und Salz, Pfeffer, Paprika und Waschmittel in die Wunden gerieben. Sie haben ihn in eine brühheiße Badewanne gesetzt und ihn gezwungen, ein rohes Hähnchen aus dem Müll zu essen.
SPIEGEL: Kann ein gesunder Mensch überhaupt so viel sadistischen Erfindungsreichtum entwickeln?
Marneros: In der Regel wie auch in diesem Fall - sind es pathologische Persönlichkeiten. Über 70 Prozent haben eine traumatisierende Vorgeschichte. Wir haben zum Beispiel Täter mit einem IQ von 76 und solche, die von betrunkenen oder gewalttätigen Eltern unvorstellbar misshandelt worden sind. Mindestens die Hälfte hat krankheitswertige Persönlichkeitsstörungen, dissoziale Störungen, Versagensängste, Identitätsstörungen. Ich sehe in ihnen Verlierer und Verlorene.
SPIEGEL: Sind so schwer geschädigte Menschen schuldig für ihre Taten?
Marneros: Als Gutachter frage ich: Hat eine psychische Störung die Tat determiniert, oder konnte der Täter zur Tatzeit anders handeln, als er gehandelt hat? Unter den 56 rechtsextremen Tätern, die ich bisher in Halle begutachtet habe, hätte jeder Täter die Tat unterlassen oder abbrechen können. Alle waren verantwortlich für das, was sie getan haben.
SPIEGEL: Unterscheiden sich mordende Neonazis da von Sexual- oder Kindsmördern?
Marneros: Unter allen anderen Gewaltverbrechern sind nach unseren Untersuchungen etwa fünf Prozent komplett schuldunfähig. Sie leiden unter Wahnvorstellungen, Depressionen, Gehirnverletzungen oder Demenz. Auch Taten, bei denen der Täter nicht voll schuldfähig ist, weil er im Affekt gehandelt hat, kommen bei rechter Gewalt so gut wie nie vor. Im Gegenteil: Der Rechtsextremist provoziert ganz bewusst sein Opfer. Einigen rechten Tätern attestierte ich allerdings eingeschränkte Schuldfähigkeit, meist wegen Alkohol. Etwa ein Viertel ist bei der Tat stark betrunken, fast jeder Zehnte ist alkoholkrank. Solche Täter schickt das Gericht dann eventuell erst mal in den Entzug.
SPIEGEL: Wie erklären Sie sich das Zustandekommen regelrechter Gewaltexzesse?
Marneros: Für eine Studie, die im März erscheint, haben wir in Halle 80 rechte Gewalttäter wissenschaftlich untersucht. Alle Täter zeigten extrem hohe Aggressionswerte. Gleichzeitig fehlt diesen jungen Männern das Vermögen zur Einfühlung in andere Menschen und deren Leid. Dieses erschreckende Fehlen von Empathie ist ein echtes Merkmal rechter Gewalt. Typisch ist, was bei dem sehr grausamen Mord an Alberto Adriano vor rund zwei Jahren in Dessau geschah: Um noch den tödlich Verletzten zu demütigen, zogen ihm die Täter Hose und Unterhose aus.
SPIEGEL: Findet Vergleichbares außerhalb der rechten Szene überhaupt statt?
Marneros: Da gibt es eine Verschiebung. Ich erinnere mich an einen großen Mordprozess Anfang der 90er Jahre hier in Halle. Da hatten zwei Teenager auf einem Dachboden einen Obdachlosen gekreuzigt. Sie fanden ihn lebensunwürdig. Der Mann starb. Einen rechtsextremen Hintergrund gab es nicht. Solche grausamen Delikte sehen wir seit einigen Jahren deutlich häufiger innerhalb der Szene als anderswo.
SPIEGEL: Sind Neonazis also ein Sammelbecken für pathologisch Gewaltveranlagte?
Marneros: So ist es. Junge Menschen, die solche enormen sozialpsychologischen Defizite haben, sind auf der verzweifelten Suche nach einem persönlichen Image. In der rechten Gewaltszene finden sie eine ideale Plattform. Sie zieht Menschen mit brutalen, sadistischen Persönlichkeitsmustern an. Auch deshalb glaube ich, dass rechtsradikale Gewalt keine politische Gewalt ist. Anders als zum Beispiel der RAF-Terrorismus ist sie reiner Selbstzweck. Sie trägt lediglich ein ideologisches Mäntelchen. Die Täter sind ganz gewöhnliche kriminelle Gewalttäter.
SPIEGEL: Erst Mitte Februar hetzten Skins im Zug von Halle nach Eisenach ihren Kampfhund auf einen Äthiopier. Ist Fremdenfeindlichkeit kein politisches Motiv?
Marneros: Die Parolen der Neonazis richten sich zwar gegen Juden, Ausländer, Schwarze. Aber die meisten ihrer Opfer sind in Wirklichkeit Deutsche. Der Hass auf Andersfarbige ist nur vorgeschoben.
SPIEGEL: Wenn die rechte Szene in ein paar Wochen wieder Führers Geburtstag feiert, ist das für Sie kein politisches Statement?
Marneros: Bei anderen vielleicht, aber nicht bei diesen Tätern. Was bei ihnen auffällt, ist die floskelhafte Art, in der sie sprechen. Wir fragten in der Studie unter anderem nach politischen Kenntnissen. Das Ergebnis: Die allermeisten haben keinerlei Wissen, das eine politische Ideologie untermauern könnte. Ich erinnere mich an einen Angeklagten, der vermutete, Adolf Hitler sei 1988 gestorben.
SPIEGEL: Wollen Sie sagen, die rechte Ideologie spiele keine Rolle, wenn es zu Mord und Totschlag kommt?
Marneros: Doch. Als pures Vehikel der Gewalt ist sie sogar essenziell. Nehmen Sie als Beispiel die Neonazi-Lieder, in denen Juden vergast und Schwarze durchs Klo gespült werden: Sie legitimieren Gewalt; sie verlangen geradezu danach.
SPIEGEL: Ist Ihnen als Gutachter mit ausländischem Akzent schon einmal persönlicher Hass der Täter entgegengeschlagen?
Marneros: Nein, zumindest kein ausgedrückter Hass. Ich weiß natürlich nicht, was hinter meinem Rücken geschieht. Aber
in dem Moment, wo rechte Gewalttäter, die getötet oder einen Menschen schwer verletzt haben, mit mir alleine dasitzen, wirken sie extrem ängstlich auf mich. Die zittern regelrecht, wenn ich vor ihnen sitze. Sie haben Angst vor einer hohen Strafe. Zugleich bemerke ich auch eine spezielle Feigheit. Jeder versucht, die Schuld auf den anderen abzuschieben.
SPIEGEL: Schämen sich die Täter in solchen Momenten?
Marneros: Nein, und das ist ebenfalls kennzeichnend. Ihnen fehlt in extremer Weise das Schamgefühl. Ich habe nicht einen Täter getroffen, der Reue oder Scham gezeigt hätte. Scham ist ein sehr komplexes Gefühl. Es kommt genau dann auf, wenn durch eine schreckliche Tat oder eine unterlassene gute Tat mein positives Selbstbild zerstört ist. Viele dieser Täter haben aber kein positives Selbstbild. Andererseits rührt die Schamlosigkeit auch daher, dass die Täter glauben, es gebe eine Menge Leute in dieser Stadt, die sagen: "Bravo, gut gemacht."
SPIEGEL: Zumindest verblüfft selbst die Staatsgewalt mit einer gewissen Laxheit. Die Skinheads etwa, die ihren Hund auf einen Schwarzen hetzten, wurden von den Beamten des Bundesgrenzschutzes erst einmal laufen gelassen.
Marneros: Ich halte das für eine Katastrophe. Milde wird von diesen Tätern immer als Zustimmung ausgelegt. Nach meinem Eindruck dreht sich die öffentliche Diskussion viel zu sehr um präventive Lösungen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich wünsche mir sehr, dass Schullehrer die Biograflen der Täter in meinem Buch lesen, damit sie die Gefährdung dieser jungen Leute frühzeitig erkennen. Aber es wird immer Menschen geben, bei denen die präventive Ebene nichts bringt. Bei 36 Prozent der Täter, die wir, meist nach einem Mord, begutachtet haben, gab es zuvor Verwarnungen, Verurteilungen zu sozialer Arbeit, Reha- oder berufsbildende Maßnahmen. Doch all das verhinderte nicht, dass sie einen Menschen getötet haben.
SPIEGEL: Plädieren Sie als Psychiater für mehr Härte?
Marneros: Ich bin dafür, dass wir den Tätern von Anfang an zeigen, wo die Grenzen sind. Aus meiner Sicht sollten möglichst keine Bewährungsstrafen ausgesprochen werden. Wir haben schon genügend Fälle zu beklagen, in denen Neonazis, denen mit Milde begegnet wurde, neue Gewalttaten verübten, leider auch tödliche.
SPIEGEL: In Ihrem Buch bezeichnen Sie diese Täter als "lachende Angeklagte".
Marneros: Ja, solange sie in der Gruppe sind. Im Rudel triumphieren sie. Deswegen ist es auch für die Prognose der Täter fatal, wenn sie sich im Gefängnis alle wiedertreffen. Dort bilden sie eine Elite. Kaum jemand verbietet ihnen, in der Haft ihre Statussymbole wie Springerstiefel und Lonsdale-T-Shirts weiter zur Schau zu tragen.
SPIEGEL: Diese Täter bekunden Stolz darauf, Deutsche zu sein. Sie selbst bezeichnen sich als "Wahldeutschen". Rührt Ihr Bemühen um diese jungen Leute auch daher?
Marneros: Sagen wir so: Ich habe "Hitlers Urenkel" auch aus persönlicher Wut geschrieben. Als ich in den 70er Jahren meine Entscheidung traf, aus der damaligen Diktatur Griechenland nach Deutschland zu gehen, geschah das auch, weil ich große Bewunderung für Willy Brandt empfand. Wenn jetzt, wie vor ein paar Wochen, ein pakistanischer Gastprofessor in Halle auf der Straße zusammengeschlagen wird, spricht sich das sofort herum. Freunde in den USA fragen mich: "Die Deutschen verbrennen wieder Menschen, wie kannst du nur dort leben?" Am liebsten würde ich meine Jungs dann mitten auf den Times Square in New York stellen und sagen: Schaut sie euch an. Das sind sie: enorm einsam, enorm armselig. Aber es sind nicht die Deutschen.
Beate Lakotta: "Triumph im Rudel". Der Psychiater Andreas Marneros über die Rolle der Ideologie bei rechtsextrember Gewalt, die Persönlichkeit von mordenden Neonazis und die Schamlosigkeit der Angeklagten; in: Der Spiegel, 10/2002, S. 222ff.
Wohlstand den Deutschen!
Wie rechtsextreme Positionen wieder salonfähig werden
Dietmar Fricke
(...) Seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 hat die rechtsextreme Szene besonders bei Jugendlichen großen Zulauf. Sie weitet sich zudem nicht nur quantitativ aus, sondern wird in ihren Aktionen auch immer aggressiver und brutaler. Dabei handelt es sich zunächst um ein gesamtdeutsches Phänomen, das aber in den neuen Bundesländern seine spezifische Ausprägung besitzt. Beim innerdeutschen Ländervergleich sind die ostdeutschen Bundesländer in den Statistiken über Delikte mit rechtsextremem Hintergrund führend, So ist z.B. trotz eines verschwindend geringen Ausländeranteils von ca. 1,8 Prozent in Ostdeutschland gegenüber ungefähr 10 Prozent in Westdeutschland das Risiko eines Ausländers, Opfer eines fremdenfeindlichen Gewaltverbrechens zu werden, in den neuen Bundesländern um ein Vielfaches höher als in den alten. Im Osten Deutschlands gibt es "national befreite Zonen", d.h. Gebiete in den Kommunen, die von rechten Jugendlichen nahezu kontrolliert und dominiert werden. Zudem scheint das "Rechts(außen)sein" bei vielen Jugendlichen zum Kultphänomen, also "in" zu werden. Hierfür gibt es Gründe und Erklärungsmuster, die im Folgenden thesenartig umrissen und geprüft werden sollen. Jugendliche existieren aber nicht unabhängig von der Gesellschaft, sondern sind in ihren Einstellungen und Handlungen Ausdruck von deren Entwicklung.
Ein häufig verwendetes Argument zur Erklärung rechtsextremer Übergriffe ist das der sozialen Deklassierung. Allerdings greift die Behauptung, Jugendarbeitslosigkeit und schlechte materielle Zukunftserwartungen seien für den Rechtsextremismus verantwortlich, insofern zu kurz, als sich empirisch zeigen lässt, dass diesbezüglich strafrechtlich auffällig gewordene Jugendliche in der Regel einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz besitzen, zur Schule gehen oder sonstwie sozialökonomisch integriert sind. Dieser Umstand bedeutet jedoch nicht, dass sie bar jeder sozialen Abstiegsängste und immun gegenüber den von Rechtsaußen propagierten einfachen Lösungen wären. Dennoch erscheint die Formel "Arbeitslosigkeit führt zu Rechtsextremismus" als zu simpel und ist für sich allein genommen wenig erklärungsrelevant. Gleiches gilt für die These vom "Westimport', also die Annahme, das Phänomen sei lediglich aus dem früheren Bundesgebiet übernommen und von dort schon länger ansässig gewesenen rechtsextremen Organisationen nach Osten befördert worden. Ebensowenig überzeugt - für sich allein genommen - das Argument, die mangelnden demokratischen Traditionen, der von oben "verordnete", aber nicht unbedingt gelebte Antifaschismus, autoritäre Einstellungsmuster und die fehlende Erfahrung mit anderen Kulturen in der DDR seien ursächlich für den ostdeutschen Rechtsextremismus. (...)
Mit der deutschen Einheit wurden die neuen Bundesländer in den Verteilerschlüssel für Asylbewerber/innen aufgenommen. Hierauf waren weder die Kommunen, was die infrastrukturelle und materielle Ebene betrifft, noch die Bürger/innen, was die mentale Ebene betrifft, vorbereitet. Eine diesbezügliche Unterstützung aus dem Westen unterblieb weitgehend. Was dann folgte, beschreibt Andrea Böhm als eine Parallelität der Ereignisse: Im Westen erreichte die Asyldebatte ihren Höhepunkt, nicht nur bei Politikern, sondern auch und gerade in den Medien. Hier wurde offen mit Überfremdungsängsten, rassistischen Stereotypen und völkischen Untertönen agiert, während im Osten diese so geschürten Ressentiments auf fruchtbaren Boden zu fallen schienen.
Nachdem der damalige CDU-Generalsekretär Volker Rühe seine Partei aufgefordert hatte, die SPD mit dem Thema "Asylmissbrauch" zu attackieren, kam es im September 1991 unter dem Beifall von Teilen der Bevölkerung und bei starker Medienpräsenz in Hoyerswerda zum ersten Pogrom gegen Asylbewerber/innen (Rostock-Lichtenhagen und Magdeburg folgten später). Die SPD wiederum versäumte es, die Diskussion zu entemotionalisieren und zu versachlichen, griff vielmehr - zumindest in Teilen - die verbreiteten Stereotype und Vorurteile auf. Was der Westen dem Osten vorlebte, war also zunächst, wie Andrea Böhm in Anlehnung an Bernd Wagner formuliert, weniger die Idee des modernen Rechts- und Verfassungsstaates, für den Menschen- und Bürgerrechte im Mittelpunkt stehen, sondern die einer wohlstandschauvinistischen Gemeinschaft, eines Staates, "der die sozialen Interessen der Deutschen gegen alle anderen sichert". Nach den Ereignissen von Hoyerswerda und anderswo konnte zudem der Eindruck entstehen, dass die politische Klasse im Hinblick auf ihre Exportinteressen mehr am Erscheinungsbild der Bundesrepublik im Ausland als an Ursachenforschung und selbstkritischer Reflexion interessiert sei. Das weitgehende Ausbleiben von Sanktionen auf inakzeptables Verhalten (gewalttätige Übergriffe auf Minderheiten) tragen aber erfahrungsgemäß nicht gerade dazu bei, es positiv zu verändern oder abzustellen, sondern verstärken solche Dispositionen.
Zudem dürfte die sich bald abzeichnende Enttäuschung über das Fehlschlagen der versprochenen schnellen sozialökonomischen Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West nicht gerade deeskalierend gewirkt haben. Dass aber die Asyldebatte, so wie sie in Form und Inhalt geführt wurde, entscheidenden Einfluss auf die Verfestigung oder Entstehung von Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland (und nicht nur dort!) gehabt hat, zeigt sich z.B. an dem spektakulären Wahlerfolg einer mit fremdenfeindlichen Parolen antretenden Partei wie der DVU auch noch fünf Jahre nach der De-facto-Abschaffung des Asylrechts und trotz eines verschwindend geringen Ausländeranteils in Sachsen-Anhalt oder an dem seither zu verzeichnenden Aufschwung rechter Jugendsubkulturen.
Es sollte auch zu denken geben, dass die Erstwählergruppe, die bei der genannten Landtagswahl in Sachsen-Anhalt überproportional zu den DVU-Wählern gehörte, Anfang der 90er Jahre gerade erst dabei war, dem Kindesalter zu entwachsen, und somit von den oben geschilderten gesamtdeutschen Entwicklungen mit geprägt wurde. So scheint es nicht gerade klug, wenn Teile der demokratischen Parteien im Hinblick auf Wahlen ähnliche Parolen und Stereotype aufgreifen.
Wie sich zeigen lässt, ist z.B. das vermehrte Auftreten von rechtsgerichteten gewalttätigen Jugendgruppen ein Ausdruck für veränderte Einstellungen in der Gesellschaft. Wenn diese Jugendlichen den Eindruck gewinnen, dass ihr Verhalten nur offen und teilweise gewalttätig zum Ausdruck bringt, was viele Bürger/innen denken, wenn sie sich gewissermaßen als Vollstrecker des "Volkswillens" fühlen können, gewinnt das Problem zusätzliche Brisanz. (...)
Dietmar Fricke: Wohlstand den Deutschen! - Wie rechtsextreme Positionen wieder salonfähig werden; in: Christoph Butterwegge / Georg Lohmann (Hrsg.): Jugend, Rechtsextremismus und Gewalt. Analysen und Argumente, Leske + Budrich Opladen 2000, S. 55ff..
Wie rechtsextreme Positionen wieder salonfähig werden
Dietmar Fricke
(...) Seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 hat die rechtsextreme Szene besonders bei Jugendlichen großen Zulauf. Sie weitet sich zudem nicht nur quantitativ aus, sondern wird in ihren Aktionen auch immer aggressiver und brutaler. Dabei handelt es sich zunächst um ein gesamtdeutsches Phänomen, das aber in den neuen Bundesländern seine spezifische Ausprägung besitzt. Beim innerdeutschen Ländervergleich sind die ostdeutschen Bundesländer in den Statistiken über Delikte mit rechtsextremem Hintergrund führend, So ist z.B. trotz eines verschwindend geringen Ausländeranteils von ca. 1,8 Prozent in Ostdeutschland gegenüber ungefähr 10 Prozent in Westdeutschland das Risiko eines Ausländers, Opfer eines fremdenfeindlichen Gewaltverbrechens zu werden, in den neuen Bundesländern um ein Vielfaches höher als in den alten. Im Osten Deutschlands gibt es "national befreite Zonen", d.h. Gebiete in den Kommunen, die von rechten Jugendlichen nahezu kontrolliert und dominiert werden. Zudem scheint das "Rechts(außen)sein" bei vielen Jugendlichen zum Kultphänomen, also "in" zu werden. Hierfür gibt es Gründe und Erklärungsmuster, die im Folgenden thesenartig umrissen und geprüft werden sollen. Jugendliche existieren aber nicht unabhängig von der Gesellschaft, sondern sind in ihren Einstellungen und Handlungen Ausdruck von deren Entwicklung.
Ein häufig verwendetes Argument zur Erklärung rechtsextremer Übergriffe ist das der sozialen Deklassierung. Allerdings greift die Behauptung, Jugendarbeitslosigkeit und schlechte materielle Zukunftserwartungen seien für den Rechtsextremismus verantwortlich, insofern zu kurz, als sich empirisch zeigen lässt, dass diesbezüglich strafrechtlich auffällig gewordene Jugendliche in der Regel einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz besitzen, zur Schule gehen oder sonstwie sozialökonomisch integriert sind. Dieser Umstand bedeutet jedoch nicht, dass sie bar jeder sozialen Abstiegsängste und immun gegenüber den von Rechtsaußen propagierten einfachen Lösungen wären. Dennoch erscheint die Formel "Arbeitslosigkeit führt zu Rechtsextremismus" als zu simpel und ist für sich allein genommen wenig erklärungsrelevant. Gleiches gilt für die These vom "Westimport', also die Annahme, das Phänomen sei lediglich aus dem früheren Bundesgebiet übernommen und von dort schon länger ansässig gewesenen rechtsextremen Organisationen nach Osten befördert worden. Ebensowenig überzeugt - für sich allein genommen - das Argument, die mangelnden demokratischen Traditionen, der von oben "verordnete", aber nicht unbedingt gelebte Antifaschismus, autoritäre Einstellungsmuster und die fehlende Erfahrung mit anderen Kulturen in der DDR seien ursächlich für den ostdeutschen Rechtsextremismus. (...)
Mit der deutschen Einheit wurden die neuen Bundesländer in den Verteilerschlüssel für Asylbewerber/innen aufgenommen. Hierauf waren weder die Kommunen, was die infrastrukturelle und materielle Ebene betrifft, noch die Bürger/innen, was die mentale Ebene betrifft, vorbereitet. Eine diesbezügliche Unterstützung aus dem Westen unterblieb weitgehend. Was dann folgte, beschreibt Andrea Böhm als eine Parallelität der Ereignisse: Im Westen erreichte die Asyldebatte ihren Höhepunkt, nicht nur bei Politikern, sondern auch und gerade in den Medien. Hier wurde offen mit Überfremdungsängsten, rassistischen Stereotypen und völkischen Untertönen agiert, während im Osten diese so geschürten Ressentiments auf fruchtbaren Boden zu fallen schienen.
Nachdem der damalige CDU-Generalsekretär Volker Rühe seine Partei aufgefordert hatte, die SPD mit dem Thema "Asylmissbrauch" zu attackieren, kam es im September 1991 unter dem Beifall von Teilen der Bevölkerung und bei starker Medienpräsenz in Hoyerswerda zum ersten Pogrom gegen Asylbewerber/innen (Rostock-Lichtenhagen und Magdeburg folgten später). Die SPD wiederum versäumte es, die Diskussion zu entemotionalisieren und zu versachlichen, griff vielmehr - zumindest in Teilen - die verbreiteten Stereotype und Vorurteile auf. Was der Westen dem Osten vorlebte, war also zunächst, wie Andrea Böhm in Anlehnung an Bernd Wagner formuliert, weniger die Idee des modernen Rechts- und Verfassungsstaates, für den Menschen- und Bürgerrechte im Mittelpunkt stehen, sondern die einer wohlstandschauvinistischen Gemeinschaft, eines Staates, "der die sozialen Interessen der Deutschen gegen alle anderen sichert". Nach den Ereignissen von Hoyerswerda und anderswo konnte zudem der Eindruck entstehen, dass die politische Klasse im Hinblick auf ihre Exportinteressen mehr am Erscheinungsbild der Bundesrepublik im Ausland als an Ursachenforschung und selbstkritischer Reflexion interessiert sei. Das weitgehende Ausbleiben von Sanktionen auf inakzeptables Verhalten (gewalttätige Übergriffe auf Minderheiten) tragen aber erfahrungsgemäß nicht gerade dazu bei, es positiv zu verändern oder abzustellen, sondern verstärken solche Dispositionen.
Zudem dürfte die sich bald abzeichnende Enttäuschung über das Fehlschlagen der versprochenen schnellen sozialökonomischen Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West nicht gerade deeskalierend gewirkt haben. Dass aber die Asyldebatte, so wie sie in Form und Inhalt geführt wurde, entscheidenden Einfluss auf die Verfestigung oder Entstehung von Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland (und nicht nur dort!) gehabt hat, zeigt sich z.B. an dem spektakulären Wahlerfolg einer mit fremdenfeindlichen Parolen antretenden Partei wie der DVU auch noch fünf Jahre nach der De-facto-Abschaffung des Asylrechts und trotz eines verschwindend geringen Ausländeranteils in Sachsen-Anhalt oder an dem seither zu verzeichnenden Aufschwung rechter Jugendsubkulturen.
Es sollte auch zu denken geben, dass die Erstwählergruppe, die bei der genannten Landtagswahl in Sachsen-Anhalt überproportional zu den DVU-Wählern gehörte, Anfang der 90er Jahre gerade erst dabei war, dem Kindesalter zu entwachsen, und somit von den oben geschilderten gesamtdeutschen Entwicklungen mit geprägt wurde. So scheint es nicht gerade klug, wenn Teile der demokratischen Parteien im Hinblick auf Wahlen ähnliche Parolen und Stereotype aufgreifen.
Wie sich zeigen lässt, ist z.B. das vermehrte Auftreten von rechtsgerichteten gewalttätigen Jugendgruppen ein Ausdruck für veränderte Einstellungen in der Gesellschaft. Wenn diese Jugendlichen den Eindruck gewinnen, dass ihr Verhalten nur offen und teilweise gewalttätig zum Ausdruck bringt, was viele Bürger/innen denken, wenn sie sich gewissermaßen als Vollstrecker des "Volkswillens" fühlen können, gewinnt das Problem zusätzliche Brisanz. (...)
Dietmar Fricke: Wohlstand den Deutschen! - Wie rechtsextreme Positionen wieder salonfähig werden; in: Christoph Butterwegge / Georg Lohmann (Hrsg.): Jugend, Rechtsextremismus und Gewalt. Analysen und Argumente, Leske + Budrich Opladen 2000, S. 55ff..
"Ausländer und Asylmissbrauch" als Medienthema:
Verantwortung und Versagen von Journalist(inn)en
Christoph Butterwegge / Gudrun Hentges
(...)
1. Migrant(inn)en im Zerrspiegel der Massenmedien: Wie aus Zuwanderern "Fremde" gemacht werden
Massenmedien filtern für die Meinungsbildung wichtige Informationen und beeinflussen auf diese Weise das Bewusstsein vieler, vor allem junger Menschen, für die sich Realität zunehmend über die Rezeption von Medien erschließt. Während beispielsweise die Berichterstattung über Fluchtursachen und deren Hintergründe (von der ungerechten Weltwirtschaftsordnung und den Ausbeutungspraktiken industrieller Großkonzerne über den Ökokolonialismus bis zu den Waffenexporten "unserer" Rüstungsindustrie) mehr als defizitär zu nennen ist, behandeln Reportagen aus der sog. Dritten Welt überwiegend Kriege und Bürgerkriege, Natur- und Technokatastrophen, Militärputsche und Palastrevolutionen, wodurch das Vorurteil genährt wird, "die Afrikaner"‚ "die Asiaten", "die Südamerikaner" und "die Osteuropäer" seien zwar Nutznießer der westlichen Zivilisation und modernster Technologien, zu rationaler Daseinsgestaltung und demokratischer Selbstverwaltung allerdings unfähig.
Über die ca. 7,5 Millionen Ausländer/innen in der Bundesrepublik berichten die Massenmedien ähnlich, wie sie über das Ausland berichten, also praktisch nur im Ausnahmefall, der möglichst spektakulär sein und katastrophische Züge tragen sollte, wodurch Zuwanderer mit Unordnung, Chaos und Gewalt in Verbindung gebracht werden. Der medial konstruierte und deformierte "Fremde" ist überflüssig und/oder gefährlich, zu bedauern oder zu fürchten - meistens allerdings beides zugleich. Dies gilt heute vor allem im Hinblick auf Musliminnen und Muslime aus der Türkei, die größte Zuwanderergruppe Deutschlands.
Durch die Art und Weise, wie sie über Ausländer/innen, Flüchtlinge und Zuwanderer berichten, zementieren die Medien eine im Bewusstsein der Bundesbürger/innen ausgebildete Hierarchie, wonach bestimmte Gruppen von Ausländern "Fremde"‚ andere willkommene Gäste sind. In der Lokal- und der Boulevardpresse ist dieser Dualismus besonders stark ausgeprägt, weil sie das "Ausländerproblem" oftmals mit einer angeblich drohenden "Übervölkerung" sowie einer Gefährdung der Inneren Sicherheit in Verbindung bringen. Aus der Lokalzeitung erfährt man nur wenig Positives über Ausländer/innen. Mord und Totschlag, (Banden-)Raub und (Asyl-)Betrug sind typische Delikte, über die im Zusammenhang mit ethnischen Minderheiten berichtet wird. "Für Zeitungsleser und Fernsehzuschauer sieht es leicht so aus, als sei ‚multikulturell' oft eng mit ‚multikriminell' verbunden. Wenn man die Geschichten über Ausländer auf ihre Grundstruktur reduziert, so sind es häufig stark polarisierte, schablonenhafte Bilder, die einem in den Medien von den ‚Fremden' präsentiert werden."
Ein angelsächsisches Bonmot ("Only bad news are good news") abwandelnd, kann man sagen: Nur böse Ausländer sind gute Ausländer! Georg Ruhrmann spricht von einem "Negativsyndrom", das die deutsche Medienberichterstattung kennzeichne: "Folgen weltweiter Migrationsprozesse und das Entstehen multikultureller Tendenzen werden in einer Semantik der Gefahren präsentiert. Die vorhandenen und zukünftigen sozialen Veränderungen werden nicht als entscheid- und gestaltbar, sondern als katastrophal und schicksalhaft dargestellt."
Häufig spielt die Bedrohung deutscher Ressourcen durch ethnische Minderheiten, vor allem jedoch durch "Asylbetrüger", eine Rolle. Teun A. van Dijk gelangt aufgrund diskursanalytischer Untersuchungen in Großbritannien und den Niederlanden zu dem Schluss, dass Rassismus durch den Elite- und Mediendiskurs induziert bzw. verstärkt wird, wobei er die Presse selbst als Teil des genannten Problems identifiziert: "Die Strategien, Strukturen und Verfahren der Nachrichtenbeschaffung, die Themenauswahl, der Blickwinkel, die Wiedergabe von Meinungen, Stil und Rhetorik richten sich alle darauf, ‚uns' positiv und ‚sie' negativ darzustellen. Minderheiten haben zudem einen relativ schwierigen Zugang zur Presse; sie werden als weniger glaubwürdig angesehen; ihre Sache gilt nur dann als berichtenswert, wenn sie Probleme verursachen, in Kriminalität oder Gewalt verstrickt sind oder wenn sie als Bedrohung der weißen Vorherrschaft dargestellt werden können.
Der "kriminelle Ausländer" repräsentiert für Rainer Geißler die grellste Facette des Zerrbildes vom "bedrohlichen Ausländer": "Es knüpft an bestehende Vorurteile gegenüber ethnischen Minderheiten an, verstärkt diese gleichzeitig und bereitet damit sozialpsychologisch den Boden für Aktionen gegen ethnische Minderheiten - im harmloseren Fall für politische Beschränkungen, im schlimmeren Fall für Fremdenhaß und brutale Gewaltausbrüche gegen ethnische Minderheiten."
Problematisch ist die Nennung der nichtdeutschen Herkunft von Tatverdächtigen und Straftätern in Zeitungsartikeln über Verbrechen, wodurch der Eindruck vermittelt wird, die Amoralität eines Gesetzesbrechers hänge mit dessen Abstammung zusammen. Identifizierende Hinweise auf Nationalität und Hautfarbe sind nur dann zu rechtfertigen, wenn die aktuelle Fahndung sie erfordert. Allerdings bedarf es keiner Schlagzeile wie "Tod im Gemüseladen: Türke erschoß Libanesen" auf der Titelseite, um den Rassismus zu stimulieren. Schon eine nur scheinbar "objektive" Polizeistatistik zur Ausländerkriminalität, die nicht kommentiert oder falsch interpretiert wird, enthält die Botschaft, Menschen anderer Hautfarbe/Herkunft seien aufgrund ihrer biologischen und/oder kulturellen Disposition für Straftaten anfälliger. Tatsächlich sind Ausländer/innen jedoch nicht krimineller als Deutsche, und es gibt kaum ein rechtes "Argument", das durch kritische Reflexion und fundierte Analysen überzeugender zu widerlegen wäre.
Christoph Butterwegge / Gudrun Hentges: "Ausländer und Asylmissbrauch" als Medienthema: Verantwortung und Versagen von Journalist(inn)en; in: Christoph Butterwegge / Georg Lohmann (Hrsg.): Jugend, Rechtsextremismus und Gewalt. Analysen und Argumente, Leske + Budrich Opladen 2000, S. 84ff.
Verantwortung und Versagen von Journalist(inn)en
Christoph Butterwegge / Gudrun Hentges
(...)
1. Migrant(inn)en im Zerrspiegel der Massenmedien: Wie aus Zuwanderern "Fremde" gemacht werden
Massenmedien filtern für die Meinungsbildung wichtige Informationen und beeinflussen auf diese Weise das Bewusstsein vieler, vor allem junger Menschen, für die sich Realität zunehmend über die Rezeption von Medien erschließt. Während beispielsweise die Berichterstattung über Fluchtursachen und deren Hintergründe (von der ungerechten Weltwirtschaftsordnung und den Ausbeutungspraktiken industrieller Großkonzerne über den Ökokolonialismus bis zu den Waffenexporten "unserer" Rüstungsindustrie) mehr als defizitär zu nennen ist, behandeln Reportagen aus der sog. Dritten Welt überwiegend Kriege und Bürgerkriege, Natur- und Technokatastrophen, Militärputsche und Palastrevolutionen, wodurch das Vorurteil genährt wird, "die Afrikaner"‚ "die Asiaten", "die Südamerikaner" und "die Osteuropäer" seien zwar Nutznießer der westlichen Zivilisation und modernster Technologien, zu rationaler Daseinsgestaltung und demokratischer Selbstverwaltung allerdings unfähig.
Über die ca. 7,5 Millionen Ausländer/innen in der Bundesrepublik berichten die Massenmedien ähnlich, wie sie über das Ausland berichten, also praktisch nur im Ausnahmefall, der möglichst spektakulär sein und katastrophische Züge tragen sollte, wodurch Zuwanderer mit Unordnung, Chaos und Gewalt in Verbindung gebracht werden. Der medial konstruierte und deformierte "Fremde" ist überflüssig und/oder gefährlich, zu bedauern oder zu fürchten - meistens allerdings beides zugleich. Dies gilt heute vor allem im Hinblick auf Musliminnen und Muslime aus der Türkei, die größte Zuwanderergruppe Deutschlands.
Durch die Art und Weise, wie sie über Ausländer/innen, Flüchtlinge und Zuwanderer berichten, zementieren die Medien eine im Bewusstsein der Bundesbürger/innen ausgebildete Hierarchie, wonach bestimmte Gruppen von Ausländern "Fremde"‚ andere willkommene Gäste sind. In der Lokal- und der Boulevardpresse ist dieser Dualismus besonders stark ausgeprägt, weil sie das "Ausländerproblem" oftmals mit einer angeblich drohenden "Übervölkerung" sowie einer Gefährdung der Inneren Sicherheit in Verbindung bringen. Aus der Lokalzeitung erfährt man nur wenig Positives über Ausländer/innen. Mord und Totschlag, (Banden-)Raub und (Asyl-)Betrug sind typische Delikte, über die im Zusammenhang mit ethnischen Minderheiten berichtet wird. "Für Zeitungsleser und Fernsehzuschauer sieht es leicht so aus, als sei ‚multikulturell' oft eng mit ‚multikriminell' verbunden. Wenn man die Geschichten über Ausländer auf ihre Grundstruktur reduziert, so sind es häufig stark polarisierte, schablonenhafte Bilder, die einem in den Medien von den ‚Fremden' präsentiert werden."
Ein angelsächsisches Bonmot ("Only bad news are good news") abwandelnd, kann man sagen: Nur böse Ausländer sind gute Ausländer! Georg Ruhrmann spricht von einem "Negativsyndrom", das die deutsche Medienberichterstattung kennzeichne: "Folgen weltweiter Migrationsprozesse und das Entstehen multikultureller Tendenzen werden in einer Semantik der Gefahren präsentiert. Die vorhandenen und zukünftigen sozialen Veränderungen werden nicht als entscheid- und gestaltbar, sondern als katastrophal und schicksalhaft dargestellt."
Häufig spielt die Bedrohung deutscher Ressourcen durch ethnische Minderheiten, vor allem jedoch durch "Asylbetrüger", eine Rolle. Teun A. van Dijk gelangt aufgrund diskursanalytischer Untersuchungen in Großbritannien und den Niederlanden zu dem Schluss, dass Rassismus durch den Elite- und Mediendiskurs induziert bzw. verstärkt wird, wobei er die Presse selbst als Teil des genannten Problems identifiziert: "Die Strategien, Strukturen und Verfahren der Nachrichtenbeschaffung, die Themenauswahl, der Blickwinkel, die Wiedergabe von Meinungen, Stil und Rhetorik richten sich alle darauf, ‚uns' positiv und ‚sie' negativ darzustellen. Minderheiten haben zudem einen relativ schwierigen Zugang zur Presse; sie werden als weniger glaubwürdig angesehen; ihre Sache gilt nur dann als berichtenswert, wenn sie Probleme verursachen, in Kriminalität oder Gewalt verstrickt sind oder wenn sie als Bedrohung der weißen Vorherrschaft dargestellt werden können.
Der "kriminelle Ausländer" repräsentiert für Rainer Geißler die grellste Facette des Zerrbildes vom "bedrohlichen Ausländer": "Es knüpft an bestehende Vorurteile gegenüber ethnischen Minderheiten an, verstärkt diese gleichzeitig und bereitet damit sozialpsychologisch den Boden für Aktionen gegen ethnische Minderheiten - im harmloseren Fall für politische Beschränkungen, im schlimmeren Fall für Fremdenhaß und brutale Gewaltausbrüche gegen ethnische Minderheiten."
Problematisch ist die Nennung der nichtdeutschen Herkunft von Tatverdächtigen und Straftätern in Zeitungsartikeln über Verbrechen, wodurch der Eindruck vermittelt wird, die Amoralität eines Gesetzesbrechers hänge mit dessen Abstammung zusammen. Identifizierende Hinweise auf Nationalität und Hautfarbe sind nur dann zu rechtfertigen, wenn die aktuelle Fahndung sie erfordert. Allerdings bedarf es keiner Schlagzeile wie "Tod im Gemüseladen: Türke erschoß Libanesen" auf der Titelseite, um den Rassismus zu stimulieren. Schon eine nur scheinbar "objektive" Polizeistatistik zur Ausländerkriminalität, die nicht kommentiert oder falsch interpretiert wird, enthält die Botschaft, Menschen anderer Hautfarbe/Herkunft seien aufgrund ihrer biologischen und/oder kulturellen Disposition für Straftaten anfälliger. Tatsächlich sind Ausländer/innen jedoch nicht krimineller als Deutsche, und es gibt kaum ein rechtes "Argument", das durch kritische Reflexion und fundierte Analysen überzeugender zu widerlegen wäre.
Christoph Butterwegge / Gudrun Hentges: "Ausländer und Asylmissbrauch" als Medienthema: Verantwortung und Versagen von Journalist(inn)en; in: Christoph Butterwegge / Georg Lohmann (Hrsg.): Jugend, Rechtsextremismus und Gewalt. Analysen und Argumente, Leske + Budrich Opladen 2000, S. 84ff.
Falsche Freunde schon mit 13 ... oder:
Wie rechtsextreme Organisationen Jugendliche rekrutieren
Jörg Fischer
(...) Dies war also mein erster "offizieller" Kontakt zur rechten Szene. Warum ist es nicht mein einziger geblieben, warum bin ich auch zum nächsten Stamrntisch gegangen? Es gab dafür mehrere Gründe, die zunächst nichts oder nur wenig mit den politischen Vorstellungen der NPD zu tun hatten. Plötzlich zeigten Leute größeres Interesse an mir und ließen erkennen, dass ich zu ihnen passen würde. Sie kamen für mich aus einer neuen, faszinierenden Welt, und mir als 13-Jährigem war es sehr wichtig, zu einer Gemeinschaft von Älteren Zugang gefunden zu haben und von ihnen aufgenommen zu werden. Schon bei meinem zweiten Besuch wurde ich begrüßt, als ob ich dazugehören würde.
Gerade bei Neuzugängen und jüngeren Menschen wird sehr großer Wert darauf gelegt, ihnen möglichst bald ein Gefühl von Dazugehörigkeit und Geborgenheit zu vermitteln. Im Mittelpunkt steht das Erleben von "Kameradschaft" - logisch, dass dies sehr schnell auf das gesamte Leben übergreift. Schon bald setzt sich das soziale Umfeld, also der Freundes- und Bekanntenkreis, fast nur noch aus Szeneangehörigen zusammen. Entsprechend sieht dann auch die Freizeitgestaltung auch außerhalb der gemeinsamen politischen Aktivitäten aus.
Verstärkt wird diese Entwicklung - die durchaus Parallelen zu religiösen Sekten hat - durch das elitäre Selbst- und das damit verbundene rassistische Weltbild der rechten Szene. Der "Arier" ist die Elite der Menschheit, der "Deutsche" ist die Elite der "Arier", die "volks- und nationalbewussten Patrioten" wiederum sind die Elite der "Deutschen". (Junge) Nationaldemokraten verstehen sich selbst als Avantgarde; wer zu ihnen gehört, bildet somit die "Speerspitze der Elite der Elite der Elite", umgeben von Feinden - "Umerziehern", "Überfremdern"‚ "Volksschädlingen" usw. Die Reihe der rechten Verschwörungstheorien ist lang.
Aufgrund der schnellen Integration beginnt die Identifizierung mit der Gruppe, zumal man sich ja in erster Linie nicht als Individuum, sondern als Teil des völkischen Kollektivs sieht. Dieses Selbstverständnis lässt sich am besten in dem in NPD-Kreisen gängigen Satz zusammenfassen: "Du bist nichts - dein Volk ist alles!" In diesem Selbstbild liegt auch begründet, warum sich beispielsweise ein junger Neonazi in einer ostdeutschen Kleinstadt ganz persönlich von der angeblichen "Überfremdung" bedroht fühlt, obwohl dort und in der ganzen Region der Anteil nichtdeutscher Menschen an der Bevölkerung unter zwei Prozent liegt. Das subjektive Empfinden des Betreffenden wurzelt in dem Glauben, das "eigene Volk" sei in seinem "biologischen Bestand" gefährdet. Aus dieser Wahnvorstellung einer persönlichen und kollektiven Bedrohungssituation resultiert dann auch die pseudomoralische Legitimation eines Rechtsextremisten zu "Notwehrhandlungen", wie etwa der Drangsalierung oder gar Ermordung von Menschen, die nicht in sein Weltbild hineinpassen. Reue und Sühne für begangene Verbrechen kann von den Tätern daher nur in den seltensten Fällen ernsthaft erwartet werden - ein Umstand den sie mit ihren historischen Vorbildern aus der Waffen-SS gemein haben.
So aberwitzig und irrational dieses Gedankengebäude erscheint, aus heutiger Sicht auch für mich selbst, so logisch und in sich geschlossen stellt es sich aber für den dar, der ihm verhaftet ist. Verstärkt wird diese Situation vor allem durch zwei weitere Faktoren.
Der eine ist die mystische, fast schon religiöse Selbstverklärung der rechtsextremen Szene. Das beginnt schon bei der Inszenierung von Veranstaltungen. (...)
Vieles, was zunächst für mich neu war und für Außenstehende ungewöhnlich ist, wurde schnell zur Routine: jeden Montag der Stammtisch, wöchentliche Redaktionstreffen für diverse JN-Publikationen, "Kameradschaftsabende", Schulungen und die täglichen Treffen mit den "Kameraden". Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, echte Freunde gefunden zu haben und akzeptiert zu sein. Daneben verfehlte die Anerkennung, die ich erhielt, auch nicht ihre Wirkung. So durfte ich 1987 das "Nationaldemokratische Bildungs-Zentrum" (NBZ) in Iseo/Norditalien besuchen und den "Grundlehrgang" für Nachwuchskader absolvieren. (...)
Den zweiten, zu oft unterschätzten Faktor bildet der Umstand, dass man als Rechtsextremist eben nicht außerhalb der Gesellschaft steht. Ich war nie der "einsame Steppenwolf" ‚ der stigmatisiert und geächtet ist. Ganz im Gegenteil. Besonders jugendliche Rechtsextremisten werden in ihren ideologischen Überzeugungen durch Vorurteile und Meinungen bestärkt, die in der Gesellschaft weit verbreitet, teilweise sogar mehrheitsfähig sind. Viele fühlen sich letztendlich als "Vollstrecker des Volkswillens". Durch politische Kampagnen gegen Minderheiten - wie etwa zur doppelten Staatsangehörigkeit für Migrant(inn)en oder zur Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben - entsteht nicht nur ein gesellschaftliches Klima, in dem die Hemmschwelle für Gewaltanwendung sinkt, sondern das Rechtsextremisten auch in ihrer Meinung bestärkt.
Die fast schon psychische Abhängigkeit vieler Szeneangehöriger, der Elitewahn, das Bedrohungsszenario - alles das erschwert den Zugang zu ihnen und die Möglichkeit des Herauslösens solcher Menschen. Ohnehin ist es schwierig, jugendliche Rechtsextremist(inn)en von der Falschheit und Gefährlichkeit ihrer Ideologie zu überzeugen, solange sie sich beispielsweise hinsichtlich der angeblichen "Überfremdung" auf prominente und völlig unverdächtige Mitbürger/innen berufen können. Es ist kein Wunder, dass in der rechtsextremen Publizistik entsprechende Äußerungen hauptsächlich von Politikern der Unionsparteien ausführlich zitiert werden.
Nicht nur wurde Rechtsextremist(inn)en zumindest bis zum Sommer 2000 kaum vermittelt, wie inakzeptabel ihre Überzeugungen sind, sondern man begegnete Jugendlichen aus dieser Szene vor allem in Ostdeutschland im Rahmen der "akzeptierenden Sozialarbeit" mit einem Höchstmaß an Verständnis. Mit allen nur erdenklichen Mitteln wurden sie regelrecht gehätschelt, ganze Jugendzentren auf ihre Bedürfnisse abgestimmt und ihnen im wahrsten Sinne des Wortes als Rekrutierungsfeld überlassen.
Mein Ablösungsprozess aus der rechtsextremen Szene, der ich neun Jahre lang angehörte, war nicht das Ergebnis von "Verständnis" und "Akzeptanz" der Gesellschaft, vielmehr das Resultat einer längeren, von vielen inneren Widersprüchen und Kämpfen begleiteten Entwicklung. Immer wieder kamen mir Zweifel an der Richtigkeit meiner Überzeugungen und Handlungen. Aber nein, es durfte nicht sein! Ich war doch kein "Verräter", kein "Fahnenflüchtiger". Genauso wie die Szene ihre Angehörigen mit Begriffen wie "Treue", "Ehre" ‚ "Kameradschaft" bei der Stange hält - oder besser gesagt: an die Stange fesselt -‚ so gilt auch der logische Umkehrschluss: Wer die "Gesinnungsgemeinschaft" verlässt, lässt seine "Kameraden im Stich". Aus dem einstigen "Kameraden" kann dann sehr schnell ein Feind werden, zumal man ja nicht nur zum "Verräter" an den Kampfgefährten und der "Bewegung" wird, sondern zum "Verräter am eigenen Volk". Das mindeste, was dann passiert, ist der Wegfall des gesamten sozialen Umfelds, zumal Freundschaften das Ende der "Kameradschaft" nicht überleben. Schlimmstenfalls kann es, wie bisher bereits zwei Mal geschehen, zur physischen Vernichtung kommen. Das Wissen um die Konsequenzen eines Ausstiegs ist ein weiterer Faktor, warum so wenige bereit sind, die Szene zu verlassen. Es darf auch nicht vergessen werden, dass es bis heute keine oder kaum Hilfestellungen für Ausstiegswillige gibt.
Für mich kam das "Ende der Fahnenstange" nicht plötzlich. Ich bin nicht am Sonntagabend als Nazi ins Bett gegangen, um nach einer nächtlichen Eingebung am Montagmorgen als Demokrat aufzuwachen. Zwei Umstände waren hauptverantwortlich dafür, dass der ganze psychische Druck und der Verdrängungsmechanismus bei mir nicht mehr wirkten. Bei meinem Rückzug aus der rechtsextremen Szene war ich 22 Jahre alt. Seit meinem 17. Lebensjahr, also seit damals fünf Jahren, wusste ich definitiv, dass ich homosexuell bin. Als Schwuler - der nicht am "biologischen Uberlebenskampf der arischen Rasse" teilnimmt - gehörte ich selbst zu einer den Neonazis verhassten Minderheit. Manche ertragen diese Lebenslüge. Mir fiel dies zunehmend schwerer, letztendlich schaffte ich es nicht mehr. Ich hatte viele Fragen und keine Antworten. Der zweite Umstand war, dass 1990 im wiedervereinigten Deutschland mehrere Ausländer/innen ermordet wurden. Im Herbst 1991 nahmen Überfälle auf Einwanderer, Pogrome und Brandanschläge auf Asylbewerberheime drastisch zu. Sie eskalierten vom 17. bis 21. September im sächsischen Hoyerswerda, wo es drei Tage lang zu schweren Ausschreitungen rechtsradikaler Jugendlicher gegen Ausländerwohnheime kam - oft unter dem Beifall eines Großteils der Bevölkerung. Gleichzeitig regte sich erster Protest, und zwar auch in mir. Ich begann mich zu fragen, wohin das führen sollte. Was würde am Ende stehen?
Die Tragweite meiner Entscheidung, "raus zu gehen, wurde mir rasch deutlich. In den neun Jahren war ich vom Außenseiter zum "Nachwuchs-Star" geworden, hatte viel Aufmerksamkeit bekommen, war herumgereicht und um Mitarbeit gefragt worden. Mein ganzes Leben fand innerhalb der Szene statt, und für Freunde "außerhalb" gab es weder Zeit noch Raum. Für meine ehemaligen "Kameraden" und "Freunde" bin ich heute der "Verräter". Das NPD-Blättchen "Frankenspiegel" bezeichnete mich Anfang 1998 als "erbärmlichen, skrupellosen Charakter".
Jörg Fischer: Falsche Freunde schon mit 13 ... oder: Wie rechtsextreme Organisationen Jugendliche rekrutieren; in: Christoph Butterwegge / Georg Lohmann (Hrsg.): Jugend, Rechtsextremismus und Gewalt. Analysen und Argumente, Leske + Budrich Opladen 2000, S. 103ff.
Wie rechtsextreme Organisationen Jugendliche rekrutieren
Jörg Fischer
(...) Dies war also mein erster "offizieller" Kontakt zur rechten Szene. Warum ist es nicht mein einziger geblieben, warum bin ich auch zum nächsten Stamrntisch gegangen? Es gab dafür mehrere Gründe, die zunächst nichts oder nur wenig mit den politischen Vorstellungen der NPD zu tun hatten. Plötzlich zeigten Leute größeres Interesse an mir und ließen erkennen, dass ich zu ihnen passen würde. Sie kamen für mich aus einer neuen, faszinierenden Welt, und mir als 13-Jährigem war es sehr wichtig, zu einer Gemeinschaft von Älteren Zugang gefunden zu haben und von ihnen aufgenommen zu werden. Schon bei meinem zweiten Besuch wurde ich begrüßt, als ob ich dazugehören würde.
Gerade bei Neuzugängen und jüngeren Menschen wird sehr großer Wert darauf gelegt, ihnen möglichst bald ein Gefühl von Dazugehörigkeit und Geborgenheit zu vermitteln. Im Mittelpunkt steht das Erleben von "Kameradschaft" - logisch, dass dies sehr schnell auf das gesamte Leben übergreift. Schon bald setzt sich das soziale Umfeld, also der Freundes- und Bekanntenkreis, fast nur noch aus Szeneangehörigen zusammen. Entsprechend sieht dann auch die Freizeitgestaltung auch außerhalb der gemeinsamen politischen Aktivitäten aus.
Verstärkt wird diese Entwicklung - die durchaus Parallelen zu religiösen Sekten hat - durch das elitäre Selbst- und das damit verbundene rassistische Weltbild der rechten Szene. Der "Arier" ist die Elite der Menschheit, der "Deutsche" ist die Elite der "Arier", die "volks- und nationalbewussten Patrioten" wiederum sind die Elite der "Deutschen". (Junge) Nationaldemokraten verstehen sich selbst als Avantgarde; wer zu ihnen gehört, bildet somit die "Speerspitze der Elite der Elite der Elite", umgeben von Feinden - "Umerziehern", "Überfremdern"‚ "Volksschädlingen" usw. Die Reihe der rechten Verschwörungstheorien ist lang.
Aufgrund der schnellen Integration beginnt die Identifizierung mit der Gruppe, zumal man sich ja in erster Linie nicht als Individuum, sondern als Teil des völkischen Kollektivs sieht. Dieses Selbstverständnis lässt sich am besten in dem in NPD-Kreisen gängigen Satz zusammenfassen: "Du bist nichts - dein Volk ist alles!" In diesem Selbstbild liegt auch begründet, warum sich beispielsweise ein junger Neonazi in einer ostdeutschen Kleinstadt ganz persönlich von der angeblichen "Überfremdung" bedroht fühlt, obwohl dort und in der ganzen Region der Anteil nichtdeutscher Menschen an der Bevölkerung unter zwei Prozent liegt. Das subjektive Empfinden des Betreffenden wurzelt in dem Glauben, das "eigene Volk" sei in seinem "biologischen Bestand" gefährdet. Aus dieser Wahnvorstellung einer persönlichen und kollektiven Bedrohungssituation resultiert dann auch die pseudomoralische Legitimation eines Rechtsextremisten zu "Notwehrhandlungen", wie etwa der Drangsalierung oder gar Ermordung von Menschen, die nicht in sein Weltbild hineinpassen. Reue und Sühne für begangene Verbrechen kann von den Tätern daher nur in den seltensten Fällen ernsthaft erwartet werden - ein Umstand den sie mit ihren historischen Vorbildern aus der Waffen-SS gemein haben.
So aberwitzig und irrational dieses Gedankengebäude erscheint, aus heutiger Sicht auch für mich selbst, so logisch und in sich geschlossen stellt es sich aber für den dar, der ihm verhaftet ist. Verstärkt wird diese Situation vor allem durch zwei weitere Faktoren.
Der eine ist die mystische, fast schon religiöse Selbstverklärung der rechtsextremen Szene. Das beginnt schon bei der Inszenierung von Veranstaltungen. (...)
Vieles, was zunächst für mich neu war und für Außenstehende ungewöhnlich ist, wurde schnell zur Routine: jeden Montag der Stammtisch, wöchentliche Redaktionstreffen für diverse JN-Publikationen, "Kameradschaftsabende", Schulungen und die täglichen Treffen mit den "Kameraden". Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, echte Freunde gefunden zu haben und akzeptiert zu sein. Daneben verfehlte die Anerkennung, die ich erhielt, auch nicht ihre Wirkung. So durfte ich 1987 das "Nationaldemokratische Bildungs-Zentrum" (NBZ) in Iseo/Norditalien besuchen und den "Grundlehrgang" für Nachwuchskader absolvieren. (...)
Den zweiten, zu oft unterschätzten Faktor bildet der Umstand, dass man als Rechtsextremist eben nicht außerhalb der Gesellschaft steht. Ich war nie der "einsame Steppenwolf" ‚ der stigmatisiert und geächtet ist. Ganz im Gegenteil. Besonders jugendliche Rechtsextremisten werden in ihren ideologischen Überzeugungen durch Vorurteile und Meinungen bestärkt, die in der Gesellschaft weit verbreitet, teilweise sogar mehrheitsfähig sind. Viele fühlen sich letztendlich als "Vollstrecker des Volkswillens". Durch politische Kampagnen gegen Minderheiten - wie etwa zur doppelten Staatsangehörigkeit für Migrant(inn)en oder zur Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben - entsteht nicht nur ein gesellschaftliches Klima, in dem die Hemmschwelle für Gewaltanwendung sinkt, sondern das Rechtsextremisten auch in ihrer Meinung bestärkt.
Die fast schon psychische Abhängigkeit vieler Szeneangehöriger, der Elitewahn, das Bedrohungsszenario - alles das erschwert den Zugang zu ihnen und die Möglichkeit des Herauslösens solcher Menschen. Ohnehin ist es schwierig, jugendliche Rechtsextremist(inn)en von der Falschheit und Gefährlichkeit ihrer Ideologie zu überzeugen, solange sie sich beispielsweise hinsichtlich der angeblichen "Überfremdung" auf prominente und völlig unverdächtige Mitbürger/innen berufen können. Es ist kein Wunder, dass in der rechtsextremen Publizistik entsprechende Äußerungen hauptsächlich von Politikern der Unionsparteien ausführlich zitiert werden.
Nicht nur wurde Rechtsextremist(inn)en zumindest bis zum Sommer 2000 kaum vermittelt, wie inakzeptabel ihre Überzeugungen sind, sondern man begegnete Jugendlichen aus dieser Szene vor allem in Ostdeutschland im Rahmen der "akzeptierenden Sozialarbeit" mit einem Höchstmaß an Verständnis. Mit allen nur erdenklichen Mitteln wurden sie regelrecht gehätschelt, ganze Jugendzentren auf ihre Bedürfnisse abgestimmt und ihnen im wahrsten Sinne des Wortes als Rekrutierungsfeld überlassen.
Mein Ablösungsprozess aus der rechtsextremen Szene, der ich neun Jahre lang angehörte, war nicht das Ergebnis von "Verständnis" und "Akzeptanz" der Gesellschaft, vielmehr das Resultat einer längeren, von vielen inneren Widersprüchen und Kämpfen begleiteten Entwicklung. Immer wieder kamen mir Zweifel an der Richtigkeit meiner Überzeugungen und Handlungen. Aber nein, es durfte nicht sein! Ich war doch kein "Verräter", kein "Fahnenflüchtiger". Genauso wie die Szene ihre Angehörigen mit Begriffen wie "Treue", "Ehre" ‚ "Kameradschaft" bei der Stange hält - oder besser gesagt: an die Stange fesselt -‚ so gilt auch der logische Umkehrschluss: Wer die "Gesinnungsgemeinschaft" verlässt, lässt seine "Kameraden im Stich". Aus dem einstigen "Kameraden" kann dann sehr schnell ein Feind werden, zumal man ja nicht nur zum "Verräter" an den Kampfgefährten und der "Bewegung" wird, sondern zum "Verräter am eigenen Volk". Das mindeste, was dann passiert, ist der Wegfall des gesamten sozialen Umfelds, zumal Freundschaften das Ende der "Kameradschaft" nicht überleben. Schlimmstenfalls kann es, wie bisher bereits zwei Mal geschehen, zur physischen Vernichtung kommen. Das Wissen um die Konsequenzen eines Ausstiegs ist ein weiterer Faktor, warum so wenige bereit sind, die Szene zu verlassen. Es darf auch nicht vergessen werden, dass es bis heute keine oder kaum Hilfestellungen für Ausstiegswillige gibt.
Für mich kam das "Ende der Fahnenstange" nicht plötzlich. Ich bin nicht am Sonntagabend als Nazi ins Bett gegangen, um nach einer nächtlichen Eingebung am Montagmorgen als Demokrat aufzuwachen. Zwei Umstände waren hauptverantwortlich dafür, dass der ganze psychische Druck und der Verdrängungsmechanismus bei mir nicht mehr wirkten. Bei meinem Rückzug aus der rechtsextremen Szene war ich 22 Jahre alt. Seit meinem 17. Lebensjahr, also seit damals fünf Jahren, wusste ich definitiv, dass ich homosexuell bin. Als Schwuler - der nicht am "biologischen Uberlebenskampf der arischen Rasse" teilnimmt - gehörte ich selbst zu einer den Neonazis verhassten Minderheit. Manche ertragen diese Lebenslüge. Mir fiel dies zunehmend schwerer, letztendlich schaffte ich es nicht mehr. Ich hatte viele Fragen und keine Antworten. Der zweite Umstand war, dass 1990 im wiedervereinigten Deutschland mehrere Ausländer/innen ermordet wurden. Im Herbst 1991 nahmen Überfälle auf Einwanderer, Pogrome und Brandanschläge auf Asylbewerberheime drastisch zu. Sie eskalierten vom 17. bis 21. September im sächsischen Hoyerswerda, wo es drei Tage lang zu schweren Ausschreitungen rechtsradikaler Jugendlicher gegen Ausländerwohnheime kam - oft unter dem Beifall eines Großteils der Bevölkerung. Gleichzeitig regte sich erster Protest, und zwar auch in mir. Ich begann mich zu fragen, wohin das führen sollte. Was würde am Ende stehen?
Die Tragweite meiner Entscheidung, "raus zu gehen, wurde mir rasch deutlich. In den neun Jahren war ich vom Außenseiter zum "Nachwuchs-Star" geworden, hatte viel Aufmerksamkeit bekommen, war herumgereicht und um Mitarbeit gefragt worden. Mein ganzes Leben fand innerhalb der Szene statt, und für Freunde "außerhalb" gab es weder Zeit noch Raum. Für meine ehemaligen "Kameraden" und "Freunde" bin ich heute der "Verräter". Das NPD-Blättchen "Frankenspiegel" bezeichnete mich Anfang 1998 als "erbärmlichen, skrupellosen Charakter".
Jörg Fischer: Falsche Freunde schon mit 13 ... oder: Wie rechtsextreme Organisationen Jugendliche rekrutieren; in: Christoph Butterwegge / Georg Lohmann (Hrsg.): Jugend, Rechtsextremismus und Gewalt. Analysen und Argumente, Leske + Budrich Opladen 2000, S. 103ff.
Darsteller und Darstellerinnen | |
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Rudi | Wolfram Scheller |
Jan | Stephan von Soden |
Alex | Alexandra-Magdalena Heinrich |
Christian | Rüdiger Daas |
Inszenierungsteam | |
Regie / Musik | Olaf Hilliger |
Ausstattung | |
Dramaturgie | Sandra Pagel |
Theaterpädagogische Mitarbeit | |
Regieassistenz / Inspizienz | |
Soufflage |
Stand vom 27.09.2002