Schauspiel
Hallo Nazi!
Wohlstand den Deutschen!
Wie rechtsextreme Positionen wieder salonfähig werden
Dietmar Fricke
(...) Seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 hat die rechtsextreme Szene besonders bei Jugendlichen großen Zulauf. Sie weitet sich zudem nicht nur quantitativ aus, sondern wird in ihren Aktionen auch immer aggressiver und brutaler. Dabei handelt es sich zunächst um ein gesamtdeutsches Phänomen, das aber in den neuen Bundesländern seine spezifische Ausprägung besitzt. Beim innerdeutschen Ländervergleich sind die ostdeutschen Bundesländer in den Statistiken über Delikte mit rechtsextremem Hintergrund führend, So ist z.B. trotz eines verschwindend geringen Ausländeranteils von ca. 1,8 Prozent in Ostdeutschland gegenüber ungefähr 10 Prozent in Westdeutschland das Risiko eines Ausländers, Opfer eines fremdenfeindlichen Gewaltverbrechens zu werden, in den neuen Bundesländern um ein Vielfaches höher als in den alten. Im Osten Deutschlands gibt es "national befreite Zonen", d.h. Gebiete in den Kommunen, die von rechten Jugendlichen nahezu kontrolliert und dominiert werden. Zudem scheint das "Rechts(außen)sein" bei vielen Jugendlichen zum Kultphänomen, also "in" zu werden. Hierfür gibt es Gründe und Erklärungsmuster, die im Folgenden thesenartig umrissen und geprüft werden sollen. Jugendliche existieren aber nicht unabhängig von der Gesellschaft, sondern sind in ihren Einstellungen und Handlungen Ausdruck von deren Entwicklung.
Ein häufig verwendetes Argument zur Erklärung rechtsextremer Übergriffe ist das der sozialen Deklassierung. Allerdings greift die Behauptung, Jugendarbeitslosigkeit und schlechte materielle Zukunftserwartungen seien für den Rechtsextremismus verantwortlich, insofern zu kurz, als sich empirisch zeigen lässt, dass diesbezüglich strafrechtlich auffällig gewordene Jugendliche in der Regel einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz besitzen, zur Schule gehen oder sonstwie sozialökonomisch integriert sind. Dieser Umstand bedeutet jedoch nicht, dass sie bar jeder sozialen Abstiegsängste und immun gegenüber den von Rechtsaußen propagierten einfachen Lösungen wären. Dennoch erscheint die Formel "Arbeitslosigkeit führt zu Rechtsextremismus" als zu simpel und ist für sich allein genommen wenig erklärungsrelevant. Gleiches gilt für die These vom "Westimport', also die Annahme, das Phänomen sei lediglich aus dem früheren Bundesgebiet übernommen und von dort schon länger ansässig gewesenen rechtsextremen Organisationen nach Osten befördert worden. Ebensowenig überzeugt - für sich allein genommen - das Argument, die mangelnden demokratischen Traditionen, der von oben "verordnete", aber nicht unbedingt gelebte Antifaschismus, autoritäre Einstellungsmuster und die fehlende Erfahrung mit anderen Kulturen in der DDR seien ursächlich für den ostdeutschen Rechtsextremismus. (...)
Mit der deutschen Einheit wurden die neuen Bundesländer in den Verteilerschlüssel für Asylbewerber/innen aufgenommen. Hierauf waren weder die Kommunen, was die infrastrukturelle und materielle Ebene betrifft, noch die Bürger/innen, was die mentale Ebene betrifft, vorbereitet. Eine diesbezügliche Unterstützung aus dem Westen unterblieb weitgehend. Was dann folgte, beschreibt Andrea Böhm als eine Parallelität der Ereignisse: Im Westen erreichte die Asyldebatte ihren Höhepunkt, nicht nur bei Politikern, sondern auch und gerade in den Medien. Hier wurde offen mit Überfremdungsängsten, rassistischen Stereotypen und völkischen Untertönen agiert, während im Osten diese so geschürten Ressentiments auf fruchtbaren Boden zu fallen schienen.
Nachdem der damalige CDU-Generalsekretär Volker Rühe seine Partei aufgefordert hatte, die SPD mit dem Thema "Asylmissbrauch" zu attackieren, kam es im September 1991 unter dem Beifall von Teilen der Bevölkerung und bei starker Medienpräsenz in Hoyerswerda zum ersten Pogrom gegen Asylbewerber/innen (Rostock-Lichtenhagen und Magdeburg folgten später). Die SPD wiederum versäumte es, die Diskussion zu entemotionalisieren und zu versachlichen, griff vielmehr - zumindest in Teilen - die verbreiteten Stereotype und Vorurteile auf. Was der Westen dem Osten vorlebte, war also zunächst, wie Andrea Böhm in Anlehnung an Bernd Wagner formuliert, weniger die Idee des modernen Rechts- und Verfassungsstaates, für den Menschen- und Bürgerrechte im Mittelpunkt stehen, sondern die einer wohlstandschauvinistischen Gemeinschaft, eines Staates, "der die sozialen Interessen der Deutschen gegen alle anderen sichert". Nach den Ereignissen von Hoyerswerda und anderswo konnte zudem der Eindruck entstehen, dass die politische Klasse im Hinblick auf ihre Exportinteressen mehr am Erscheinungsbild der Bundesrepublik im Ausland als an Ursachenforschung und selbstkritischer Reflexion interessiert sei. Das weitgehende Ausbleiben von Sanktionen auf inakzeptables Verhalten (gewalttätige Übergriffe auf Minderheiten) tragen aber erfahrungsgemäß nicht gerade dazu bei, es positiv zu verändern oder abzustellen, sondern verstärken solche Dispositionen.
Zudem dürfte die sich bald abzeichnende Enttäuschung über das Fehlschlagen der versprochenen schnellen sozialökonomischen Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West nicht gerade deeskalierend gewirkt haben. Dass aber die Asyldebatte, so wie sie in Form und Inhalt geführt wurde, entscheidenden Einfluss auf die Verfestigung oder Entstehung von Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland (und nicht nur dort!) gehabt hat, zeigt sich z.B. an dem spektakulären Wahlerfolg einer mit fremdenfeindlichen Parolen antretenden Partei wie der DVU auch noch fünf Jahre nach der De-facto-Abschaffung des Asylrechts und trotz eines verschwindend geringen Ausländeranteils in Sachsen-Anhalt oder an dem seither zu verzeichnenden Aufschwung rechter Jugendsubkulturen.
Es sollte auch zu denken geben, dass die Erstwählergruppe, die bei der genannten Landtagswahl in Sachsen-Anhalt überproportional zu den DVU-Wählern gehörte, Anfang der 90er Jahre gerade erst dabei war, dem Kindesalter zu entwachsen, und somit von den oben geschilderten gesamtdeutschen Entwicklungen mit geprägt wurde. So scheint es nicht gerade klug, wenn Teile der demokratischen Parteien im Hinblick auf Wahlen ähnliche Parolen und Stereotype aufgreifen.
Wie sich zeigen lässt, ist z.B. das vermehrte Auftreten von rechtsgerichteten gewalttätigen Jugendgruppen ein Ausdruck für veränderte Einstellungen in der Gesellschaft. Wenn diese Jugendlichen den Eindruck gewinnen, dass ihr Verhalten nur offen und teilweise gewalttätig zum Ausdruck bringt, was viele Bürger/innen denken, wenn sie sich gewissermaßen als Vollstrecker des "Volkswillens" fühlen können, gewinnt das Problem zusätzliche Brisanz. (...)
Dietmar Fricke: Wohlstand den Deutschen! - Wie rechtsextreme Positionen wieder salonfähig werden; in: Christoph Butterwegge / Georg Lohmann (Hrsg.): Jugend, Rechtsextremismus und Gewalt. Analysen und Argumente, Leske + Budrich Opladen 2000, S. 55ff..
Wie rechtsextreme Positionen wieder salonfähig werden
Dietmar Fricke
(...) Seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 hat die rechtsextreme Szene besonders bei Jugendlichen großen Zulauf. Sie weitet sich zudem nicht nur quantitativ aus, sondern wird in ihren Aktionen auch immer aggressiver und brutaler. Dabei handelt es sich zunächst um ein gesamtdeutsches Phänomen, das aber in den neuen Bundesländern seine spezifische Ausprägung besitzt. Beim innerdeutschen Ländervergleich sind die ostdeutschen Bundesländer in den Statistiken über Delikte mit rechtsextremem Hintergrund führend, So ist z.B. trotz eines verschwindend geringen Ausländeranteils von ca. 1,8 Prozent in Ostdeutschland gegenüber ungefähr 10 Prozent in Westdeutschland das Risiko eines Ausländers, Opfer eines fremdenfeindlichen Gewaltverbrechens zu werden, in den neuen Bundesländern um ein Vielfaches höher als in den alten. Im Osten Deutschlands gibt es "national befreite Zonen", d.h. Gebiete in den Kommunen, die von rechten Jugendlichen nahezu kontrolliert und dominiert werden. Zudem scheint das "Rechts(außen)sein" bei vielen Jugendlichen zum Kultphänomen, also "in" zu werden. Hierfür gibt es Gründe und Erklärungsmuster, die im Folgenden thesenartig umrissen und geprüft werden sollen. Jugendliche existieren aber nicht unabhängig von der Gesellschaft, sondern sind in ihren Einstellungen und Handlungen Ausdruck von deren Entwicklung.
Ein häufig verwendetes Argument zur Erklärung rechtsextremer Übergriffe ist das der sozialen Deklassierung. Allerdings greift die Behauptung, Jugendarbeitslosigkeit und schlechte materielle Zukunftserwartungen seien für den Rechtsextremismus verantwortlich, insofern zu kurz, als sich empirisch zeigen lässt, dass diesbezüglich strafrechtlich auffällig gewordene Jugendliche in der Regel einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz besitzen, zur Schule gehen oder sonstwie sozialökonomisch integriert sind. Dieser Umstand bedeutet jedoch nicht, dass sie bar jeder sozialen Abstiegsängste und immun gegenüber den von Rechtsaußen propagierten einfachen Lösungen wären. Dennoch erscheint die Formel "Arbeitslosigkeit führt zu Rechtsextremismus" als zu simpel und ist für sich allein genommen wenig erklärungsrelevant. Gleiches gilt für die These vom "Westimport', also die Annahme, das Phänomen sei lediglich aus dem früheren Bundesgebiet übernommen und von dort schon länger ansässig gewesenen rechtsextremen Organisationen nach Osten befördert worden. Ebensowenig überzeugt - für sich allein genommen - das Argument, die mangelnden demokratischen Traditionen, der von oben "verordnete", aber nicht unbedingt gelebte Antifaschismus, autoritäre Einstellungsmuster und die fehlende Erfahrung mit anderen Kulturen in der DDR seien ursächlich für den ostdeutschen Rechtsextremismus. (...)
Mit der deutschen Einheit wurden die neuen Bundesländer in den Verteilerschlüssel für Asylbewerber/innen aufgenommen. Hierauf waren weder die Kommunen, was die infrastrukturelle und materielle Ebene betrifft, noch die Bürger/innen, was die mentale Ebene betrifft, vorbereitet. Eine diesbezügliche Unterstützung aus dem Westen unterblieb weitgehend. Was dann folgte, beschreibt Andrea Böhm als eine Parallelität der Ereignisse: Im Westen erreichte die Asyldebatte ihren Höhepunkt, nicht nur bei Politikern, sondern auch und gerade in den Medien. Hier wurde offen mit Überfremdungsängsten, rassistischen Stereotypen und völkischen Untertönen agiert, während im Osten diese so geschürten Ressentiments auf fruchtbaren Boden zu fallen schienen.
Nachdem der damalige CDU-Generalsekretär Volker Rühe seine Partei aufgefordert hatte, die SPD mit dem Thema "Asylmissbrauch" zu attackieren, kam es im September 1991 unter dem Beifall von Teilen der Bevölkerung und bei starker Medienpräsenz in Hoyerswerda zum ersten Pogrom gegen Asylbewerber/innen (Rostock-Lichtenhagen und Magdeburg folgten später). Die SPD wiederum versäumte es, die Diskussion zu entemotionalisieren und zu versachlichen, griff vielmehr - zumindest in Teilen - die verbreiteten Stereotype und Vorurteile auf. Was der Westen dem Osten vorlebte, war also zunächst, wie Andrea Böhm in Anlehnung an Bernd Wagner formuliert, weniger die Idee des modernen Rechts- und Verfassungsstaates, für den Menschen- und Bürgerrechte im Mittelpunkt stehen, sondern die einer wohlstandschauvinistischen Gemeinschaft, eines Staates, "der die sozialen Interessen der Deutschen gegen alle anderen sichert". Nach den Ereignissen von Hoyerswerda und anderswo konnte zudem der Eindruck entstehen, dass die politische Klasse im Hinblick auf ihre Exportinteressen mehr am Erscheinungsbild der Bundesrepublik im Ausland als an Ursachenforschung und selbstkritischer Reflexion interessiert sei. Das weitgehende Ausbleiben von Sanktionen auf inakzeptables Verhalten (gewalttätige Übergriffe auf Minderheiten) tragen aber erfahrungsgemäß nicht gerade dazu bei, es positiv zu verändern oder abzustellen, sondern verstärken solche Dispositionen.
Zudem dürfte die sich bald abzeichnende Enttäuschung über das Fehlschlagen der versprochenen schnellen sozialökonomischen Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West nicht gerade deeskalierend gewirkt haben. Dass aber die Asyldebatte, so wie sie in Form und Inhalt geführt wurde, entscheidenden Einfluss auf die Verfestigung oder Entstehung von Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland (und nicht nur dort!) gehabt hat, zeigt sich z.B. an dem spektakulären Wahlerfolg einer mit fremdenfeindlichen Parolen antretenden Partei wie der DVU auch noch fünf Jahre nach der De-facto-Abschaffung des Asylrechts und trotz eines verschwindend geringen Ausländeranteils in Sachsen-Anhalt oder an dem seither zu verzeichnenden Aufschwung rechter Jugendsubkulturen.
Es sollte auch zu denken geben, dass die Erstwählergruppe, die bei der genannten Landtagswahl in Sachsen-Anhalt überproportional zu den DVU-Wählern gehörte, Anfang der 90er Jahre gerade erst dabei war, dem Kindesalter zu entwachsen, und somit von den oben geschilderten gesamtdeutschen Entwicklungen mit geprägt wurde. So scheint es nicht gerade klug, wenn Teile der demokratischen Parteien im Hinblick auf Wahlen ähnliche Parolen und Stereotype aufgreifen.
Wie sich zeigen lässt, ist z.B. das vermehrte Auftreten von rechtsgerichteten gewalttätigen Jugendgruppen ein Ausdruck für veränderte Einstellungen in der Gesellschaft. Wenn diese Jugendlichen den Eindruck gewinnen, dass ihr Verhalten nur offen und teilweise gewalttätig zum Ausdruck bringt, was viele Bürger/innen denken, wenn sie sich gewissermaßen als Vollstrecker des "Volkswillens" fühlen können, gewinnt das Problem zusätzliche Brisanz. (...)
Dietmar Fricke: Wohlstand den Deutschen! - Wie rechtsextreme Positionen wieder salonfähig werden; in: Christoph Butterwegge / Georg Lohmann (Hrsg.): Jugend, Rechtsextremismus und Gewalt. Analysen und Argumente, Leske + Budrich Opladen 2000, S. 55ff..