Mit dem Titel Fragmentenstreit wird die bedeutendste theologische Auseinandersetzung des 18. Jahrhunderts in Deutschland und die wohl wichtigste Kontroverse zwischen der Aufklärung und der orthodoxen lutherischen Theologie bezeichnet.

Seit 1774 gibt Lessing unter dem Titel Fragmente eines Ungenannten die christentumskritischen Schriften des Hamburger Orientalisten Hermann Samuel Reimarus (1694-1768) heraus. In diesen Schriften wird z.B. behauptet, die Leiche Jesu sei von den Jüngern nur gestohlen worden, die Auferstehung sei also nur vorgegaukelt, weil die Jünger einmal gewonnene Privilegien nicht haben aufgeben wollen. Lessing geht es bei der Herausgabe nicht so sehr um den Inhalt als vielmehr um den Anspruch, auf breiter Basis über religionskritische Thesen diskutieren zu dürfen. Daher stellt er den Fragmenten seine Gegensätze des Herausgebers zur Seite, in denen er sich kritisch von den Thesen distanziert und einen eigenen Deutungsweg entwickelt, der sich vor allem gegen als unantastbar zu gelten habende Wahrheiten richtet.
Dagegen und um die Frage, ob Lessings Veröffentlichungen der Fragmente überhaupt statthaft seien, dreht sich der erbitterte Streit, der sich in der Folge vor allem mit dem Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze (1717-1786) entwickelt. Auf dessen Kritik erwidert Lessing mit seinen polemischen Anti-Goeze-Briefen. Besonders deutlich wird die inhaltliche Position Lessings in Die Erziehung des Menschengeschlechts (1777/80) und in Über den Beweis des Geistes und der Kraft (1777). In Die Erziehung des Menschengeschlechts erklärt er den Verstand zum Leitorgan des Menschen und ist optimistisch, dass der Mensch das Gute nicht wegen in Aussicht gestellter Belohnungen, sondern des Guten wegen tun wird: "Nein; sie wird kommen, sie wird gewiß kommen, die Zeit der Vollendung, da der Mensch, je überzeugter sein Verstand einer immer bessern Zukunft sich fühlet, von dieser Zukunft gleichwohl Bewegungsgründe zu seinen Handlungen zu erborgen, nicht nötig haben wird; da er das Gute tun wird, weil es das Gute ist, nicht weil willkürliche Belohnungen darauf gesetzt sind, die seinen flatterhaften Blick ehedem bloß heften und stärken sollten, die inneren bessern Belohnungen desselben zu erkennen."
Lessings Hinweis auf die Bedeutung des Verstandes führt im Bezug zum Christentum zu einer kritischen Position, die aber nicht - so wie Reimarus es tut - alle religiösen Glaubenswahrheiten über Bord wirft.

Die publizistische Auseinandersetzung zwischen Lessing und Goeze wird schließlich durch das Zensuredikt vom 13.07.1778 verboten. Lessing wird darin vorgeworfen, er habe durch die Veröffentlichung von Schriften, die das Fundament des Christentums einzureißen drohen, öffentliches Ärgernis hervorgerufen: Die Schriften hätten die Absicht, "(...) die Religion in ihrem Grunde zu erschüttern, lächerlich und verächtlich machen zu wollen (...)".
In einem weiteren Edikt vom 03.08.1778 wird klargestellt, die Dispensation von der Zensur habe wegen des davon gemachten Missbrauchs aufgehoben werden müssen. Lessing hofft zunächst, dass sich diese Bestimmung nur auf Veröffentlichungen im Herzogtum Karls bezieht. Eine am 17.08.1778 nachgeschobene Verordnung untersagt ihm auch dieses, "(...) dass er in Religionssachen, so wenig hier als auswärts, auch weder unter seinem noch anderen angenommenen Namen, ohne vorherige Genehmigung (...)" publizieren darf.

Lessing reagiert auf die Zensuranordnung, indem er die Auseinandersetzung in literarischer Form weiterführt und auf die Bühne verlegt. In einem Brief an Karl Lessing vom 11.08.1778 erinnert er sich an seinen alten Plan und erkennt inhaltliche Gemeinsamkeiten mit den aktuellen Auseinandersetzungen. Außerdem klingt in diesem Brief an, dass auch finanzielle Gründe - möglicherweise sieht Lessing seine berufliche Stellung als Hofbibliothekar auf Dauer gefährdet - dafür verantwortlich sind, dass sich Lessing an die Abfassung eines neuen Stücks macht. In einem Brief an Elise Reimarus, die Tochter von Hermann Samuel Reimarus, schreibt er am 6.09.1778: "Ich muss versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater wenigstens, noch ungestört will predigen lassen."
Im November 1778 beginnt der Dichter mit der Arbeit am Nathan, im März 1779 beendet er bereits den fünften Aufzug; die Erstausgabe ist im Mai 1779 in den Händen der Subskribenten.

In dem Drama lassen sich zahlreiche Bezüge nachweisen, die auf die Lebensumstände hindeuten, in denen sich Lessing bei der Abfassung befunden hat. Neben der religionskritischen Auseinandersetzung, die das Thema und die Aussage des Dramas maßgeblich bereitgestellt hat, finden wir in der Geschichte Nathans, der seine Familie verliert, auch die leidvolle Erfahrung Lessings wieder, der kurz nach Geburt und Tod seines ersten Sohnes am 10.01.1778 auch noch den Tod seiner Ehefrau zu beklagen hat. Die Trauer um den Verlust der Familie, die gesellschaftliche Isolation in der Folge des Fragmentenstreits, das Zensuredikt und schließlich die eigene Erkrankung bestimmen die biografische "Atmosphäre", in der Lessing im zum Arbeitszimmer umgebauten Sterbezimmer seiner Frau den Nathan schreibt.
Mit der Figur des Nathan fühlt sich Lessing über das gemeinsame Schicksal hinaus verwandt. Die Gesinnung des Juden, die sich gegen den Absolutheitsanspruch von Religionen richtet, ist auch die Lessings. So schreibt er in einem Entwurf zur Vorrede zum Nathan: "Nathans Gesinnung gegen alle positive Religion ist von jeher die meinige gewesen."
Ein anderes Vorbild für die Figur des Nathan lässt sich auch in Lessings Freund Moses Mendelssohn ausmachen, der eine Tochter mit Namen Recha hat. Mendelssohn ist im Jahre 1769 vom Pietisten Johann Kaspar Lavater aufgefordert worden, sich zwischen der jüdischen und der christlichen Religion als einzig wahrer Religion zu entscheiden. Erst öffentlicher Druck hat Lavater später zum Einlenken veranlasst.

http://de.wikipedia.org/wiki/Fragmentenstreit
Thomas Möbius: Erläuterungen zu Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise, Königs Erläuterungen und Materialien, Band 10, C. Bange Verlag Hollfeld 2000, S. 13-19.