"Ausländer und Asylmissbrauch" als Medienthema:
Verantwortung und Versagen von Journalist(inn)en
Christoph Butterwegge / Gudrun Hentges

(...)
1. Migrant(inn)en im Zerrspiegel der Massenmedien: Wie aus Zuwanderern "Fremde" gemacht werden
Massenmedien filtern für die Meinungsbildung wichtige Informationen und beeinflussen auf diese Weise das Bewusstsein vieler, vor allem junger Menschen, für die sich Realität zunehmend über die Rezeption von Medien erschließt. Während beispielsweise die Berichterstattung über Fluchtursachen und deren Hintergründe (von der ungerechten Weltwirtschaftsordnung und den Ausbeutungspraktiken industrieller Großkonzerne über den Ökokolonialismus bis zu den Waffenexporten "unserer" Rüstungsindustrie) mehr als defizitär zu nennen ist, behandeln Reportagen aus der sog. Dritten Welt überwiegend Kriege und Bürgerkriege, Natur- und Technokatastrophen, Militärputsche und Palastrevolutionen, wodurch das Vorurteil genährt wird, "die Afrikaner"‚ "die Asiaten", "die Südamerikaner" und "die Osteuropäer" seien zwar Nutznießer der westlichen Zivilisation und modernster Technologien, zu rationaler Daseinsgestaltung und demokratischer Selbstverwaltung allerdings unfähig.
Über die ca. 7,5 Millionen Ausländer/innen in der Bundesrepublik berichten die Massenmedien ähnlich, wie sie über das Ausland berichten, also praktisch nur im Ausnahmefall, der möglichst spektakulär sein und katastrophische Züge tragen sollte, wodurch Zuwanderer mit Unordnung, Chaos und Gewalt in Verbindung gebracht werden. Der medial konstruierte und deformierte "Fremde" ist überflüssig und/oder gefährlich, zu bedauern oder zu fürchten - meistens allerdings beides zugleich. Dies gilt heute vor allem im Hinblick auf Musliminnen und Muslime aus der Türkei, die größte Zuwanderergruppe Deutschlands.
Durch die Art und Weise, wie sie über Ausländer/innen, Flüchtlinge und Zuwanderer berichten, zementieren die Medien eine im Bewusstsein der Bundesbürger/innen ausgebildete Hierarchie, wonach bestimmte Gruppen von Ausländern "Fremde"‚ andere willkommene Gäste sind. In der Lokal- und der Boulevardpresse ist dieser Dualismus besonders stark ausgeprägt, weil sie das "Ausländerproblem" oftmals mit einer angeblich drohenden "Übervölkerung" sowie einer Gefährdung der Inneren Sicherheit in Verbindung bringen. Aus der Lokalzeitung erfährt man nur wenig Positives über Ausländer/innen. Mord und Totschlag, (Banden-)Raub und (Asyl-)Betrug sind typische Delikte, über die im Zusammenhang mit ethnischen Minderheiten berichtet wird. "Für Zeitungsleser und Fernsehzuschauer sieht es leicht so aus, als sei ‚multikulturell' oft eng mit ‚multikriminell' verbunden. Wenn man die Geschichten über Ausländer auf ihre Grundstruktur reduziert, so sind es häufig stark polarisierte, schablonenhafte Bilder, die einem in den Medien von den ‚Fremden' präsentiert werden."
Ein angelsächsisches Bonmot ("Only bad news are good news") abwandelnd, kann man sagen: Nur böse Ausländer sind gute Ausländer! Georg Ruhrmann spricht von einem "Negativsyndrom", das die deutsche Medienberichterstattung kennzeichne: "Folgen weltweiter Migrationsprozesse und das Entstehen multikultureller Tendenzen werden in einer Semantik der Gefahren präsentiert. Die vorhandenen und zukünftigen sozialen Veränderungen werden nicht als entscheid- und gestaltbar, sondern als katastrophal und schicksalhaft dargestellt."
Häufig spielt die Bedrohung deutscher Ressourcen durch ethnische Minderheiten, vor allem jedoch durch "Asylbetrüger", eine Rolle. Teun A. van Dijk gelangt aufgrund diskursanalytischer Untersuchungen in Großbritannien und den Niederlanden zu dem Schluss, dass Rassismus durch den Elite- und Mediendiskurs induziert bzw. verstärkt wird, wobei er die Presse selbst als Teil des genannten Problems identifiziert: "Die Strategien, Strukturen und Verfahren der Nachrichtenbeschaffung, die Themenauswahl, der Blickwinkel, die Wiedergabe von Meinungen, Stil und Rhetorik richten sich alle darauf, ‚uns' positiv und ‚sie' negativ darzustellen. Minderheiten haben zudem einen relativ schwierigen Zugang zur Presse; sie werden als weniger glaubwürdig angesehen; ihre Sache gilt nur dann als berichtenswert, wenn sie Probleme verursachen, in Kriminalität oder Gewalt verstrickt sind oder wenn sie als Bedrohung der weißen Vorherrschaft dargestellt werden können.
Der "kriminelle Ausländer" repräsentiert für Rainer Geißler die grellste Facette des Zerrbildes vom "bedrohlichen Ausländer": "Es knüpft an bestehende Vorurteile gegenüber ethnischen Minderheiten an, verstärkt diese gleichzeitig und bereitet damit sozialpsychologisch den Boden für Aktionen gegen ethnische Minderheiten - im harmloseren Fall für politische Beschränkungen, im schlimmeren Fall für Fremdenhaß und brutale Gewaltausbrüche gegen ethnische Minderheiten."
Problematisch ist die Nennung der nichtdeutschen Herkunft von Tatverdächtigen und Straftätern in Zeitungsartikeln über Verbrechen, wodurch der Eindruck vermittelt wird, die Amoralität eines Gesetzesbrechers hänge mit dessen Abstammung zusammen. Identifizierende Hinweise auf Nationalität und Hautfarbe sind nur dann zu rechtfertigen, wenn die aktuelle Fahndung sie erfordert. Allerdings bedarf es keiner Schlagzeile wie "Tod im Gemüseladen: Türke erschoß Libanesen" auf der Titelseite, um den Rassismus zu stimulieren. Schon eine nur scheinbar "objektive" Polizeistatistik zur Ausländerkriminalität, die nicht kommentiert oder falsch interpretiert wird, enthält die Botschaft, Menschen anderer Hautfarbe/Herkunft seien aufgrund ihrer biologischen und/oder kulturellen Disposition für Straftaten anfälliger. Tatsächlich sind Ausländer/innen jedoch nicht krimineller als Deutsche, und es gibt kaum ein rechtes "Argument", das durch kritische Reflexion und fundierte Analysen überzeugender zu widerlegen wäre.

Christoph Butterwegge / Gudrun Hentges: "Ausländer und Asylmissbrauch" als Medienthema: Verantwortung und Versagen von Journalist(inn)en; in: Christoph Butterwegge / Georg Lohmann (Hrsg.): Jugend, Rechtsextremismus und Gewalt. Analysen und Argumente, Leske + Budrich Opladen 2000, S. 84ff.