Schauspiel
Faust. Eine Tragödie
von Johann Wolfgang von GoetheFaust, des ihm einen Sinn vorenthaltenden Lebens müder Universitätsgelehrter, wird Gegenstand einer Wette zwischen Gott und Teufel. Er geht einen Pakt mit dem Teufel Mephistopheles ein und jagt mit ihm erst durch "die kleine, dann die große Welt"; hinterlässt dabei auf seinem Weg etliche Leichen und greift verändernd in die sich ändernde Welt ein. Faust erlebt den Übergang vom Mittelalter zur Moderne aktiv und an eigener Person.
Seit zwölf Jahren steht Goethes "Faust" auf dem Spielplan der Uckermärkischen Bühnen Schwedt; seit acht Jahren sind es sogar beide Teile dieses in mehr als sechzig Jahren entstandenen Goetheschen Lebenswerkes. In all diesen Jahren wurde vor allem ein Schauspieler mit dem Schwedter Faust identifiziert -Uwe Heinrich , der in insgesamt 92 Vorstellungen - nein, nicht den Faust, sondern dessen Gegenspieler, Mephisto, den Teufel, spielte. Und zwar so, wie man sich einen Teufel eben vorstellt: mit Hörnern, Schwanz und Pferdefuß; gewitzt, unverschämt und voller Vergnügen an der eigenen Bosheit. Jetzt frischt Regisseur Gösta Knothe seine erfolgreiche Inszenierung auf: "Faust ist wichtig für unser Theater. Und eine Inszenierung ist nie so gut, dass man sie nicht noch besser machen könnte. Aber keine Angst: Vieles werden wir auch beibehalten und Sie werden die alte Inszenierung in der neuen ohne Schwierigkeiten wiedererkennen können!" Dennoch wird es natürlich einige Veränderungen geben und für kaum jemanden wird die Umstellung so groß sein wie für Uwe Heinrich - als Mephisto Publikumsliebling bei jungen und älteren Zuschauern. Denn er wird den roten Teufelsdress schon bald mit dem Mantel des alten Faust vertauschen. Den Part des jungen Faust übernimmt Wolfram Scheller . Diese Teilung der Hauptrolle, die sich durch beide Teile der Tragödie ziehen wird, ist eine Rückkehr zu Knothes allererster Schwedter Faust-Inszenierung von 1995. Die Dreiteilung des Mephisto, die es ebenfalls schon seit damals gibt, wird beibehalten und in Zukunft von Gerhard Kähling , Stephan von Soden und Uwe Schmiedel getragen werden. Auch sie soll konsequenter als bisher durch beide Teile Faust geführt werden. Und so wird Schauspieldirektor und Regisseur Knothe seinen "Faust" nicht neu erfinden, aber ihm neue Aspekte abgewinnen. Denn nach wie vor gilt für ihn eines, wenn er an sein - insbesondere das junge - Publikum denkt: "Wer unseren ‚Faust' gesehen hat, muss ihn nicht unbedingt gelesen haben. Und wer Goethes Text gelesen hat, wird ihn auf unserer Bühne mit Sicherheit wiedererkennen."
Bleibt die Frage:
"Wie machen wir's, daß alles frisch und neu
Und mit Bedeutung auch gefällig sei?"
Finden Sie es heraus!
Regie:Gösta Knothe
Premiere: 3. März 2007
Abgespielt.
Seit zwölf Jahren steht Goethes "Faust" auf dem Spielplan der Uckermärkischen Bühnen Schwedt; seit acht Jahren sind es sogar beide Teile dieses in mehr als sechzig Jahren entstandenen Goetheschen Lebenswerkes. In all diesen Jahren wurde vor allem ein Schauspieler mit dem Schwedter Faust identifiziert -
Bleibt die Frage:
"Wie machen wir's, daß alles frisch und neu
Und mit Bedeutung auch gefällig sei?"
Finden Sie es heraus!
Regie:
Premiere: 3. März 2007
Abgespielt.
Die Inszenierung geht vom vorliegenden (und im Interesse eines rezipierbaren Theaterabends eingestrichenen) authentischen Goethetext aus und wird in der Arbeit immer auf ihn zurückkommen und ihn nie aus den Augen verlieren. Sie will diesen Text für die Zuschauer der ubs auf der Bühne lebendig und sinnlich erlebbar machen.
Wir gehen davon aus, dass der Faust ein nach wie vor aktuelles Stück ist, das nicht nur die Fragen des bürgerlichen Zeitalters, sondern der menschlichen Entwicklung überhaupt in einem großen Theatervorgang auf die Bühne bringt. Dabei stellt es Fragen, die jedes denkende Individuum mehr oder weniger bewegen: Fragen der subjektiven Existenz, nach dem Woher und Wohin dieser Existenz, nach der Begreifbarkeit oder Unbegreifbarkeit der Welt, des Universums, nach dem Wechselspiel von Leben und Verantwortung, von Individuum und Gesellschaft, Fragen, die um Schuld und Sühne, Moral und Unmoral, Vergebung und Verdammnis kreisen. Es ist ein Stück um Liebe, Tod und Teufel, und hinter jedem dieser drei Begriffe stecken eine Unzahl weiterer. Und weil es sich um ein aktuelles Stück handelt, gibt es keinen Grund, es aktualisieren zu wollen, ihm ein modisches Design verpassen zu wollen. Wir spielen den Goetheschen Faust, wir spielen ihn heute und hier für ein heutiges Publikum, aber wir spielen keine Variation über dieses Stück und keine ganz besonders interessante Sicht auf das Stück, sondern nehmen den Faust ganz einfach so, wie es ist. Und da Goethe anerkanntermaßen als ein guter Autor gilt, kann man das auch ganz beruhigt tun.
Die Inszenierung will "Eindrücke sinnlicher, lebensvoller, lieblicher, bunter, hundertfältiger Art" (Goethe) vermitteln, und das über eine klare, überschaubare Erzählung des Verlaufs der Wette zwischen Gott und Teufel, deren Gegenstand die Geschichte des Dr. Faust ist.
Diese Geschichte enthält viele Elemente, die direkt der volkstümlichen Überlieferung entnommen sind, sie erzählen die Geschichte naiv, sinnlich, derb, komödiantisch, zauberhaft, gespenstisch, erschreckend, anrührend, erregend, tragisch, brutal, blutig und immer für den Menschen Partei ergreifend. Diese volkstümlich / sinnliche Seite des Stücks interessiert uns besonders, und sie sollte die Inszenierung vorrangig bedienen, ohne die philosophischen Aspekte des Stücks zu unterschätzen oder sie gar zu eliminieren.
Gösta Knothe
Wir gehen davon aus, dass der Faust ein nach wie vor aktuelles Stück ist, das nicht nur die Fragen des bürgerlichen Zeitalters, sondern der menschlichen Entwicklung überhaupt in einem großen Theatervorgang auf die Bühne bringt. Dabei stellt es Fragen, die jedes denkende Individuum mehr oder weniger bewegen: Fragen der subjektiven Existenz, nach dem Woher und Wohin dieser Existenz, nach der Begreifbarkeit oder Unbegreifbarkeit der Welt, des Universums, nach dem Wechselspiel von Leben und Verantwortung, von Individuum und Gesellschaft, Fragen, die um Schuld und Sühne, Moral und Unmoral, Vergebung und Verdammnis kreisen. Es ist ein Stück um Liebe, Tod und Teufel, und hinter jedem dieser drei Begriffe stecken eine Unzahl weiterer. Und weil es sich um ein aktuelles Stück handelt, gibt es keinen Grund, es aktualisieren zu wollen, ihm ein modisches Design verpassen zu wollen. Wir spielen den Goetheschen Faust, wir spielen ihn heute und hier für ein heutiges Publikum, aber wir spielen keine Variation über dieses Stück und keine ganz besonders interessante Sicht auf das Stück, sondern nehmen den Faust ganz einfach so, wie es ist. Und da Goethe anerkanntermaßen als ein guter Autor gilt, kann man das auch ganz beruhigt tun.
Die Inszenierung will "Eindrücke sinnlicher, lebensvoller, lieblicher, bunter, hundertfältiger Art" (Goethe) vermitteln, und das über eine klare, überschaubare Erzählung des Verlaufs der Wette zwischen Gott und Teufel, deren Gegenstand die Geschichte des Dr. Faust ist.
Diese Geschichte enthält viele Elemente, die direkt der volkstümlichen Überlieferung entnommen sind, sie erzählen die Geschichte naiv, sinnlich, derb, komödiantisch, zauberhaft, gespenstisch, erschreckend, anrührend, erregend, tragisch, brutal, blutig und immer für den Menschen Partei ergreifend. Diese volkstümlich / sinnliche Seite des Stücks interessiert uns besonders, und sie sollte die Inszenierung vorrangig bedienen, ohne die philosophischen Aspekte des Stücks zu unterschätzen oder sie gar zu eliminieren.
Also FAUST, das sind beide Teile des Werkes, und nur den ersten spielen, ist verstümmeln.
August Strindberg
Nachdem er sich in der Natur durch einen Schlaf erholt hat, wird Faust an den Hof des Kaisers gebracht. Das bedeutet, daß er nun von Macht und Reichtum in Versuchung geführt werden soll, denn das Ganze ist eine Prüfung, wie es im Prolog im Himmel ausgesprochen wird; da ist Faust beinahe ein Hiob, da ja auch die Szenerie aus dem Buche Hiob stammt. Nachdem er am Hof unter Staatsmännern und Narren teuere Erfahrungen gemacht hat, wird Faust zurückgeführt in sein Studierzimmer, das jetzt Wagners Laboratorium ist; dort wird Homunkulus geschaffen, eine Abstraktion des Menschen, von dessen Bedeutung man in den Fußnoten und im Kommentar lesen kann. Darauf folgt die klassische Walpurgisnacht. Mit dem dritten Akt findet sich Helena ein, und Faust erzeugt mit ihr das Kind Euphorion. Das soll bedeuten, daß Fausts Geist durch die Vermählung mit dem klassischen Altertum "die Anschauung der reinen Schönheit gewonnen hat, so daß er sich künftig über das Alltägliche zu erheben vermag". Mit dem vierten Akt tritt Faust endlich ins praktische Leben hinaus, und Mephistopheles, der im ersten Teil ein geistreicher Plauderer war, hat sich zum Versucher und gewaltigen Vertreter des Bösen ausgewachsen. Er führt Faust mit der Macht über eine große und glänzende Stadt in Versuchung. Aber Faust fällt nicht; er will hinaus zu großen nützlichen Taten; und darauf plant er, ein Land, das vom Meere bedroht wird, trocken zu legen. Den Strand soll er vom Kaiser bekommen, wenn er diesem in einem Kriege hilft, der auch glücklich endet. Im fünften Akt sitzt Faust in seinem neuen Haus auf dem neuen Boden, und seine Schiffe fahren nach fremden Ländern. Aber da ist ein kleines Gebiet, das er nicht besitzt; und da Faust sich nie begnügen kann, wird er von einem unreinen Verlangen ergriffen nach dem kleinen Stückchen Erde, wo Philemon und Baukis hausen. Mephistopheles, der Gedanken und Wünsche liest, kommt und steckt die Hütte der Alten in Brand. Zur Strafe wird Faust blind, setzt aber sein Werk fort. Ein Sumpf ist noch trocken zu legen, und die von Mephisto angeschafften Lemuren kommen, um zu graben. Aber es ist Fausts Grab, das sie graben. Nachdem er sich durch unermüdliches und nützliches Streben für die Menschheit mit dem Leben versöhnt hat, soll er nun von hinnen, und er stirbt. Böse und gute Mächte kämpfen um seine irdische Hülle und dann um seine Seele: die führen die siegreichen Engel fort, nachdem Gretchen ihre Fürbitte eingelegt hat.
August Strindberg, 1911
August Strindberg
Nachdem er sich in der Natur durch einen Schlaf erholt hat, wird Faust an den Hof des Kaisers gebracht. Das bedeutet, daß er nun von Macht und Reichtum in Versuchung geführt werden soll, denn das Ganze ist eine Prüfung, wie es im Prolog im Himmel ausgesprochen wird; da ist Faust beinahe ein Hiob, da ja auch die Szenerie aus dem Buche Hiob stammt. Nachdem er am Hof unter Staatsmännern und Narren teuere Erfahrungen gemacht hat, wird Faust zurückgeführt in sein Studierzimmer, das jetzt Wagners Laboratorium ist; dort wird Homunkulus geschaffen, eine Abstraktion des Menschen, von dessen Bedeutung man in den Fußnoten und im Kommentar lesen kann. Darauf folgt die klassische Walpurgisnacht. Mit dem dritten Akt findet sich Helena ein, und Faust erzeugt mit ihr das Kind Euphorion. Das soll bedeuten, daß Fausts Geist durch die Vermählung mit dem klassischen Altertum "die Anschauung der reinen Schönheit gewonnen hat, so daß er sich künftig über das Alltägliche zu erheben vermag". Mit dem vierten Akt tritt Faust endlich ins praktische Leben hinaus, und Mephistopheles, der im ersten Teil ein geistreicher Plauderer war, hat sich zum Versucher und gewaltigen Vertreter des Bösen ausgewachsen. Er führt Faust mit der Macht über eine große und glänzende Stadt in Versuchung. Aber Faust fällt nicht; er will hinaus zu großen nützlichen Taten; und darauf plant er, ein Land, das vom Meere bedroht wird, trocken zu legen. Den Strand soll er vom Kaiser bekommen, wenn er diesem in einem Kriege hilft, der auch glücklich endet. Im fünften Akt sitzt Faust in seinem neuen Haus auf dem neuen Boden, und seine Schiffe fahren nach fremden Ländern. Aber da ist ein kleines Gebiet, das er nicht besitzt; und da Faust sich nie begnügen kann, wird er von einem unreinen Verlangen ergriffen nach dem kleinen Stückchen Erde, wo Philemon und Baukis hausen. Mephistopheles, der Gedanken und Wünsche liest, kommt und steckt die Hütte der Alten in Brand. Zur Strafe wird Faust blind, setzt aber sein Werk fort. Ein Sumpf ist noch trocken zu legen, und die von Mephisto angeschafften Lemuren kommen, um zu graben. Aber es ist Fausts Grab, das sie graben. Nachdem er sich durch unermüdliches und nützliches Streben für die Menschheit mit dem Leben versöhnt hat, soll er nun von hinnen, und er stirbt. Böse und gute Mächte kämpfen um seine irdische Hülle und dann um seine Seele: die führen die siegreichen Engel fort, nachdem Gretchen ihre Fürbitte eingelegt hat.
August Strindberg, 1911
Die Deutschen sind übrigens wunderliche Leute! - Sie machen sich durch ihre tiefen Gedanken und Ideen, die sie überall suchen und überall hineinlegen, das Leben schwerer als billig. - Ei, so habt doch endlich einmal die Courage, Euch den Eindrücken hinzugeben, Euch ergötzen zu lassen, Euch rühren zu lassen, Euch erheben zu lassen, ja Euch belehren und zu etwas Großem entflammen und ermutigen zu lassen; aber denkt nur nicht immer, es wäre Alles eitel, wenn es nicht irgend abstrakter Gedanke und Idee wäre!
Da kommen sie und fragen, welche Idee ich in meinem Faust zu verkörpern gesucht? - Als ob ich das selber wüßte und aussprechen könnte! - Vom Himmel durch die Welt zur Hölle (Vers 242), das wäre zur Not etwas; aber das ist keine Idee, sondern Gang der Handlung. Und ferner, daß der Teufel die Wette verliert, und daß ein aus schweren Verirrungen immerfort zum Besseren aufstrebender Mensch zu erlösen sei, das ist zwar ein wirksamer, Manches erklärender guter Gedanke, aber es ist keine Idee, die dem Ganzen und jeder einzelnen Szene im Besonderen zu Grunde liege. Es hätte auch in der Tat ein schönes Ding werden müssen, wenn ich ein so reiches, buntes und so höchst mannigfaltiges Leben, wie ich es im Faust zur Anschauung gebracht, auf die magere Schnur einer einzigen durchgehenden Idee hätte reihen wollen!
Es war im ganzen nicht meine Art, als Poet nach Verkörperung von etwas Abstraktem zu streben. Ich empfing in meinem Innern Eindrücke, und zwar Eindrücke sinnlicher, lebensvoller, lieblicher, bunter, hundertfältiger Art, wie eine rege Einbildungskraft es mir darbot; und ich hatte als Poet weiter nichts zu tun, als solche Anschauungen und Eindrücke in mir künstlerisch zu runden und auszubilden und durch eine lebendige Darstellung so zum Vorschein zu bringen, daß andere dieselbigen Eindrücke erhielten, wenn sie mein Dargestelltes hörten oder lasen. (...) je inkommensurabler und für den Verstand unfaßlicher eine poetische Produktion, desto besser.
Goethe gegenüber Eckermann am 6. Mai 1827
Da kommen sie und fragen, welche Idee ich in meinem Faust zu verkörpern gesucht? - Als ob ich das selber wüßte und aussprechen könnte! - Vom Himmel durch die Welt zur Hölle (Vers 242), das wäre zur Not etwas; aber das ist keine Idee, sondern Gang der Handlung. Und ferner, daß der Teufel die Wette verliert, und daß ein aus schweren Verirrungen immerfort zum Besseren aufstrebender Mensch zu erlösen sei, das ist zwar ein wirksamer, Manches erklärender guter Gedanke, aber es ist keine Idee, die dem Ganzen und jeder einzelnen Szene im Besonderen zu Grunde liege. Es hätte auch in der Tat ein schönes Ding werden müssen, wenn ich ein so reiches, buntes und so höchst mannigfaltiges Leben, wie ich es im Faust zur Anschauung gebracht, auf die magere Schnur einer einzigen durchgehenden Idee hätte reihen wollen!
Es war im ganzen nicht meine Art, als Poet nach Verkörperung von etwas Abstraktem zu streben. Ich empfing in meinem Innern Eindrücke, und zwar Eindrücke sinnlicher, lebensvoller, lieblicher, bunter, hundertfältiger Art, wie eine rege Einbildungskraft es mir darbot; und ich hatte als Poet weiter nichts zu tun, als solche Anschauungen und Eindrücke in mir künstlerisch zu runden und auszubilden und durch eine lebendige Darstellung so zum Vorschein zu bringen, daß andere dieselbigen Eindrücke erhielten, wenn sie mein Dargestelltes hörten oder lasen. (...) je inkommensurabler und für den Verstand unfaßlicher eine poetische Produktion, desto besser.
Goethe gegenüber Eckermann am 6. Mai 1827
Wilhelm Böhm hatte 1933 mit seinem Buch "Faust der Nichtfaustische" das Losungswort ausgegeben. In scharfer Frontstellung gegen die Deutungen der ‚Perfektibilisten', wie er sie nannte, zeichnete er Faust als einen haltlosen, pathologischen Versager. Wenngleich sich dieses Bild in seiner Extremform nicht durchsetzen konnte, so trat doch an die Stelle des Vervollkommnungsschemas mehr und mehr die Auffassung, dass das Leben dieser Figur eher durch ihr Scheitern, ihre Verblendung und ihr Zerstörungspotential gekennzeichnet ist - mit dem Folgeproblem, dass die schlussendliche ‚Himmelfahrt' drastisch an Plausibilität verliert. Was bleibt dann noch? An die Stelle von Gesamtbegriffen des ‚Faustischen' sind wechselnde Teilaspekte getreten, scharfe und zuweilen eher literaturferne Selektionsschablonen, vornehmlich Komposita mit ‚Kritik' (Kapitalismus-, Zivilisations-, Technik- usw.), die kalt staunenden Besuch ermöglichen, und die Festredenhinweise, dass Goethe dieses oder jenes Problem schon damals wahrgenommen oder keine Ahnung gehabt habe.
Aber muss die Einheit immer eine des Aufstiegs sein? In einer der wenigen selbstpublizierten Bemerkungen Goethes über den Faust, in der Ankündigung der Helena in ‚Kunst und Altertum', hat er die Einheit der Figur und der Handlung selbst charakterisiert: Faust wird immer unglücklicher.
Fausts Charakter, auf der Höhe, wohin die neue Ausbildung aus dem alten rohen Volksmährchen denselben hervorgehoben hat, stellt einen Mann dar, welcher, in den allgemeinen Erdeschranken sich ungeduldig und unbehaglich fühlend, den Besitz des höchsten Wissens, den Genuß der schönsten Güter für unzulänglich achtet seine Sehnsucht auch nur im mindesten zu befriedigen, einen Geist, welcher deßhalb nach allen Seiten hin sich wendend immer unglücklicher zurückkehrt.
Diese Gesinnung ist dem modernen Wesen so analog, daß mehrere gute Köpfe die Lösung einer solchen Aufgabe zu unternehmen sich gedrungen fühlten.
Faust, so können wir sagen, ist in der goetheschen Konzeption der Typus der freigesetzten Exklusionsindividualität. Er will sehen, was die Welt im Innersten zusammenhält, und auch in Gretchens Bett sucht er nur im ersten Anfall der Leidenschaft den schnellen Sex; in Wirklichkeit sucht er auch da das Ganze. Findet es aber nicht, und damit ist die ‚Ewigkeit' schon vorbei.
Die funktionale Differenzierung und damit die Exklusion der Individualität und die offene oder latente Konkurrenz von Subsystemen gehen einher mit einer drastischen Steigerung von Kontingenz, d. h. dem Bewusstsein, dass nichts notwendig so ist, wie es ist, und dass alles ebenso gut anders sein könnte. Es sind zwei Dimensionen, die solche Kontingenz aus der Sicht des Subjekts annehmen kann, eine euphorische und eine depressive. Die euphorische besteht im Gefühl von Freiheit. Wenn nichts notwendig ist und nichts unmöglich, dann unterliegt alles dem menschlichen Gestaltungswillen. Die depressive Dimension aber besteht darin, dass auf nichts mehr Verlass ist, dass die Welt immer unberechenbarer wird.
Damit wird sichtbar, was Faust eigentlich erstrebt: Nicht um ‚Wissen' geht es, sondern um die Verankerung seiner Existenz in einem Notwendigen. ‚Wissen' ist das moderne Fundierungsmittel, das an die Stelle der alten Glaubensgewissheiten treten soll. Damit wird dem Wissen aber eine Begründungslast auferlegt, der es nicht gewachsen ist - es sei denn, es träte wieder in Gestalt von Heilswissen auf. Daran gemessen ist das Wissen der vier Fakultäten tatsächlich nur kontingenter Partikularkram. Faust will "nicht mehr in Worten kramen". Die Wortfeindlichkeit ist sicheres Indiz des Wissensfundamentalismus, dem es nicht um Repräsentation der Welt im Gedanken geht, sondern um den direkten Zugang zu den Dingen, "die Empfindung von der Gegenwart der Dinge", Weltpräsenz.
Kein Zweifel, Goethe verstößt gegen das Prinzip der poetischen Gerechtigkeit, gegen das unausrottbare Bedürfnis, dass es wenigstens auf dem Theater gerecht zugehen möge. Man kann den Verstoß dadurch heilen, dass man die Geschichte Fausts doch noch zur Erfolgsgeschichte umdichtet, indem man ihn zum Vollstrecker ‚geschichtlicher Notwendigkeit' (die Lösung der ‚materialistischen' Geschichtsphilosophen) oder einer ‚Dasein-ist-Schuldigsein'-Ideologie macht. Man kann den Verstoß aber auch stehen lassen und auf seine semantische Dimension abhorchen. Er ist dann Index für einen Ebenenwechsel: Wir befinden uns gar nicht mehr auf der Ebene von Strafe und Belohnung für normenwidriges und normenkonformes Handeln, sondern auf einer tieferen (oder höheren), auf der der Wert oder Sinn des menschlichen Lebens überhaupt abgehandelt wird und auf der es dann heißen kann: "Wie es auch sei, das Leben, es ist gut" - nicht nur das der Heiligen, sondern jedes, auch das Fausts.
Karl Eibl
Aber muss die Einheit immer eine des Aufstiegs sein? In einer der wenigen selbstpublizierten Bemerkungen Goethes über den Faust, in der Ankündigung der Helena in ‚Kunst und Altertum', hat er die Einheit der Figur und der Handlung selbst charakterisiert: Faust wird immer unglücklicher.
Fausts Charakter, auf der Höhe, wohin die neue Ausbildung aus dem alten rohen Volksmährchen denselben hervorgehoben hat, stellt einen Mann dar, welcher, in den allgemeinen Erdeschranken sich ungeduldig und unbehaglich fühlend, den Besitz des höchsten Wissens, den Genuß der schönsten Güter für unzulänglich achtet seine Sehnsucht auch nur im mindesten zu befriedigen, einen Geist, welcher deßhalb nach allen Seiten hin sich wendend immer unglücklicher zurückkehrt.
Diese Gesinnung ist dem modernen Wesen so analog, daß mehrere gute Köpfe die Lösung einer solchen Aufgabe zu unternehmen sich gedrungen fühlten.
Faust, so können wir sagen, ist in der goetheschen Konzeption der Typus der freigesetzten Exklusionsindividualität. Er will sehen, was die Welt im Innersten zusammenhält, und auch in Gretchens Bett sucht er nur im ersten Anfall der Leidenschaft den schnellen Sex; in Wirklichkeit sucht er auch da das Ganze. Findet es aber nicht, und damit ist die ‚Ewigkeit' schon vorbei.
Die funktionale Differenzierung und damit die Exklusion der Individualität und die offene oder latente Konkurrenz von Subsystemen gehen einher mit einer drastischen Steigerung von Kontingenz, d. h. dem Bewusstsein, dass nichts notwendig so ist, wie es ist, und dass alles ebenso gut anders sein könnte. Es sind zwei Dimensionen, die solche Kontingenz aus der Sicht des Subjekts annehmen kann, eine euphorische und eine depressive. Die euphorische besteht im Gefühl von Freiheit. Wenn nichts notwendig ist und nichts unmöglich, dann unterliegt alles dem menschlichen Gestaltungswillen. Die depressive Dimension aber besteht darin, dass auf nichts mehr Verlass ist, dass die Welt immer unberechenbarer wird.
Damit wird sichtbar, was Faust eigentlich erstrebt: Nicht um ‚Wissen' geht es, sondern um die Verankerung seiner Existenz in einem Notwendigen. ‚Wissen' ist das moderne Fundierungsmittel, das an die Stelle der alten Glaubensgewissheiten treten soll. Damit wird dem Wissen aber eine Begründungslast auferlegt, der es nicht gewachsen ist - es sei denn, es träte wieder in Gestalt von Heilswissen auf. Daran gemessen ist das Wissen der vier Fakultäten tatsächlich nur kontingenter Partikularkram. Faust will "nicht mehr in Worten kramen". Die Wortfeindlichkeit ist sicheres Indiz des Wissensfundamentalismus, dem es nicht um Repräsentation der Welt im Gedanken geht, sondern um den direkten Zugang zu den Dingen, "die Empfindung von der Gegenwart der Dinge", Weltpräsenz.
Kein Zweifel, Goethe verstößt gegen das Prinzip der poetischen Gerechtigkeit, gegen das unausrottbare Bedürfnis, dass es wenigstens auf dem Theater gerecht zugehen möge. Man kann den Verstoß dadurch heilen, dass man die Geschichte Fausts doch noch zur Erfolgsgeschichte umdichtet, indem man ihn zum Vollstrecker ‚geschichtlicher Notwendigkeit' (die Lösung der ‚materialistischen' Geschichtsphilosophen) oder einer ‚Dasein-ist-Schuldigsein'-Ideologie macht. Man kann den Verstoß aber auch stehen lassen und auf seine semantische Dimension abhorchen. Er ist dann Index für einen Ebenenwechsel: Wir befinden uns gar nicht mehr auf der Ebene von Strafe und Belohnung für normenwidriges und normenkonformes Handeln, sondern auf einer tieferen (oder höheren), auf der der Wert oder Sinn des menschlichen Lebens überhaupt abgehandelt wird und auf der es dann heißen kann: "Wie es auch sei, das Leben, es ist gut" - nicht nur das der Heiligen, sondern jedes, auch das Fausts.
Karl Eibl
Der Mensch ist eine erstaunliche Maschine, göttlich und infernalisch. Er lebt in einer seltsamen Umgebung; unermeßlicher Reichtum, Recht und Schlechtigkeit, Güte und Lumperei. Er ist frei, im Eis der Pole wie in der Glut der Tropen. Aber er kann an Kälte oder Hitze sterben. Er muß sich verteidigen und daher angreifen. Er braucht Stille, und der Lärm umgibt ihn. Er braucht Liebe, und der Teufel ist überall. Um zu leben, muß er essen; um sein Brot zu bezahlen, verdient er Geld; und das Geld hängt oft zusammen mit Lüge, Verstellung, Gier und Gemeinheit. Usw., usw. Was für ein Kampf!
Daher stellen sich die Menschen gerne unter: Häuser, Gesetze und Verordnungen, Brauch, Mode, Moral. Ebensoviel Geländer, Gefängnisse, Enge. Feigheit liegt nahe. Der Mut aber auch!
Der Mensch ist frei. Viel Glück!
Le Corbusier
Für unsere moderne Gesellschaft ist charakteristisch, was Soziologen in ihrer spröden Terminologie die Ausdifferenzierung von Funktionssystemen nennen. Das Gute, das Wahre und das Schöne, Recht und Macht fallen beziehungslos auseinander und werden zum Gegenstand von Spezialkulturen, von Professionals. Und sie alle haben sich nichts mehr zu sagen: Der Wissenschaftler weiß nichts vom Pragma der Macht, der Ethiker ist unsensibel für Kunst, der Theologe verkennt den Positivismus des Rechts u.s.f. Max Weber hat in diesem Zusammenhang von einem Polytheismus der Wertreihen gesprochen; jedes Teilsystem der Gesellschaft hat seinen eigenen God-Term. Und wie der antike Mensch auf den Stationen einer Reise den unterschiedlichsten Göttern opferte, so unterwirft sich der moderne Mensch je und je den unterschiedlichen Wertlogiken von Wissenschaft, Kunst, Politik, Wirtschaft. [...]
Doch wie hängt das alles zusammen? Wo ist das Ganze, die Einheit? Keine Antwort. Hier tut sich eine Leere auf, die die Sinnsucher ansaugt. Hinter dem Sinnlosigkeitsgefühl steckt also die Ausdifferenzierung von Eigenarten, Sondersphären und Eigenlogiken von Teilsystemen. Und offenbar wird jede funktionale Ausdifferenzierung als Sinnverlust erfahren. [...]
Je stärker unsere Kultur differenziert, desto allgemeiner müssen nun aber die Einheitssymbole sein; d. h., man muß immer "schrecklicher" simplifizieren, um überhaupt noch Einheit symbolisieren zu können.
Dabei lernen wir, daß jede Einheit die "Gabe", die Zu-Gabe eines Beobachters ist - es gibt keine Einheit "an sich". Bei jedem Satz, der beginnt: Es gibt ein ..., muß man fragen: Wer "es"? Und die Antwort kann immer nur lauten: Das System! [...]
Was manche als Sinnlosigkeit erfahren, ist nichts anderes als die Offenheit des Sinnhorizonts, die Fülle der Optionen. Paradoxerweise wird das Mangelgefühl des Sinnlosigkeitsverdachts durch ein Überangebot kultureller Sinnformen erzeugt. Es ist alles voller Sinn! Und deshalb heißt "Sinnlosigkeit" eigentlich nur: leiden daran, daß alles auch anders möglich wäre. Also letztlich: leiden an der eigenen Freiheit, an der Kontingenz. Sinnlosigkeit heißt, die eigene Freiheit als Bedrohung zu empfinden.
Norbert Bolz
Daher stellen sich die Menschen gerne unter: Häuser, Gesetze und Verordnungen, Brauch, Mode, Moral. Ebensoviel Geländer, Gefängnisse, Enge. Feigheit liegt nahe. Der Mut aber auch!
Der Mensch ist frei. Viel Glück!
Le Corbusier
Für unsere moderne Gesellschaft ist charakteristisch, was Soziologen in ihrer spröden Terminologie die Ausdifferenzierung von Funktionssystemen nennen. Das Gute, das Wahre und das Schöne, Recht und Macht fallen beziehungslos auseinander und werden zum Gegenstand von Spezialkulturen, von Professionals. Und sie alle haben sich nichts mehr zu sagen: Der Wissenschaftler weiß nichts vom Pragma der Macht, der Ethiker ist unsensibel für Kunst, der Theologe verkennt den Positivismus des Rechts u.s.f. Max Weber hat in diesem Zusammenhang von einem Polytheismus der Wertreihen gesprochen; jedes Teilsystem der Gesellschaft hat seinen eigenen God-Term. Und wie der antike Mensch auf den Stationen einer Reise den unterschiedlichsten Göttern opferte, so unterwirft sich der moderne Mensch je und je den unterschiedlichen Wertlogiken von Wissenschaft, Kunst, Politik, Wirtschaft. [...]
Doch wie hängt das alles zusammen? Wo ist das Ganze, die Einheit? Keine Antwort. Hier tut sich eine Leere auf, die die Sinnsucher ansaugt. Hinter dem Sinnlosigkeitsgefühl steckt also die Ausdifferenzierung von Eigenarten, Sondersphären und Eigenlogiken von Teilsystemen. Und offenbar wird jede funktionale Ausdifferenzierung als Sinnverlust erfahren. [...]
Je stärker unsere Kultur differenziert, desto allgemeiner müssen nun aber die Einheitssymbole sein; d. h., man muß immer "schrecklicher" simplifizieren, um überhaupt noch Einheit symbolisieren zu können.
Dabei lernen wir, daß jede Einheit die "Gabe", die Zu-Gabe eines Beobachters ist - es gibt keine Einheit "an sich". Bei jedem Satz, der beginnt: Es gibt ein ..., muß man fragen: Wer "es"? Und die Antwort kann immer nur lauten: Das System! [...]
Was manche als Sinnlosigkeit erfahren, ist nichts anderes als die Offenheit des Sinnhorizonts, die Fülle der Optionen. Paradoxerweise wird das Mangelgefühl des Sinnlosigkeitsverdachts durch ein Überangebot kultureller Sinnformen erzeugt. Es ist alles voller Sinn! Und deshalb heißt "Sinnlosigkeit" eigentlich nur: leiden daran, daß alles auch anders möglich wäre. Also letztlich: leiden an der eigenen Freiheit, an der Kontingenz. Sinnlosigkeit heißt, die eigene Freiheit als Bedrohung zu empfinden.
Norbert Bolz
Darsteller und Darstellerinnen | |
---|---|
Alter Faust | Uwe Heinrich |
Junger Faust | Wolfram Scheller |
Mephistopheles I | Gerhard Kähling |
Dichter / Mephistopheles II u.a. | Renate Pick |
Lustige Person / Mephistopheles III | Uwe Schmiedel |
Margarethe / Knabe Wagenlenker / Schuld u.a. | Nadine Aßmann |
Marthe Schwerdtlein / Manto / Euphorion / Eilebeute u.a. | Saskia Dreyer |
Der Herr / Kanzler / Philemon u.a. | Manfred Schulz |
Direktor / Siebel / Kaiser u.a. | Udo Schneider |
Schüler / Turmwärter Lynceus / Kundschafter / Wandrer u.a. | Peter-Benjamin Eichhorn |
Anaxagoras / Habebald u.a. | Peter Fabers |
Wagner / Thales u.a. | Daniel Heinz |
Michael / Marschalk / Dickteufel u.a. | Ireneusz Rosiński |
Schatzmeister / Proteus u.a. | Gerd Opitz |
Heermeister / Turmwärter Lynceus u.a. | Benjamin Oeser |
Hexe / Homunculus / Baucis u.a. | Elisabeth Zwieg |
Lieschen / Böser Geist / Helena / Sorge u.a. | Ines Venus Heinrich |
Sphinx / Phorkyade / Mangel u.a. | Alexandra-Magdalena Heinrich |
Valentin / Narr / Paris / Haltefest u.a. | Conrad Waligura |
Furcht / Sirene / Lamie / Not u.a. | Claire Varga |
Komparserie | Maria Adriana Albu |
Inszenierungsteam | |
Regie | Gösta Knothe |
Bühnenbild und Kostüme | |
Musik | Christina Schütz |
Andreas van den Brandt | |
Christina Schütz | |
Andreas van den Brandt | |
Bühnenmusik | Christina Schütz |
Andreas van den Brandt | |
Musikal. Einstudierung | Christina Schütz |
Dramaturgie | Sandra Zabelt |
Choreographie | |
Regieassistenz / Komparserieleitung | Alexandra-Magdalena Heinrich |
Inspizienz | Maren Rögner / Betty Dittmann |
Soufflage |
Stand vom 03.03.2007